Ulhwa, die Schamanin – Kim Dongni

  • Über das Buch:
    Ulhwa, eine Schamanin, sieht ihren Sohn Yongsul nach jahrelanger Trennung wieder. Seine Abkehr vom Buddhismus und Hinwendung zum Christentum löst eine tiefe Krise innerhalb der Familie aus. Yongsul will nun auch seine Mutter und Schwester vom Wert des neuen Glaubens und der Rückständigkeit ihres Aberglaubens überzeugen und sie bekehren. In dieser Konstellation ist der Ausbruch eines schweren Konflikts zwischen traditionellen und neuen Werten, zwischen der alten und der jungen Generation, schon angelegt.


    Über den Autor:
    Kim Dongni, geboren 1913, verstorben 1995, entstammt ärmlichen Verhältnissen. Er gilt als moderner Klassiker der koreanischen Literatur.


    Übersetzt wurde der Roman von Kim Sun-Hi und Edeltrud Kim.



    Meine Meinung:
    Gebundenes Buch, insgesamt 218 Seiten, davon Romantext bis Seite 199, gefolgt von sehr ausführlichen und informativen Anmerkungen und einem ebensolchen Nachwort, das nicht nur Erklärungen zum koreanischen Schamanismus, sondern auch zu Autor, Werk und Übersetzern bietet.


    Ulhwa und ihre Tochter Wolhi führen ein zurückgezogenes Leben nicht gerade in der Mitte der Gesellschaft, ruhig verläuft es, wenn auch durch nicht vorhandenen Reichtum geprägt. Der Sohn der Schamanin, im Alter von zehn Jahren in ein buddhistisches Kloster gegeben, kehrt nach erneuten zehn Jahren zurück mit einer klaren Vorstellung, wie er Mutter und Schwester begegnen, wie er sie überzeugen will, denn er ist zum christlichen Glauben übergetreten. Dass die Geschichte katastrophal enden wird, ahnt man schnell, Kim Dongni vermag die entstehenden Konflikte zu genau zu benennen.


    Kims Roman hat mich mehrfach überrascht, einerseits in seiner Detailfülle, was Leben, Wirken und Akzeptanz einer Schamanin, aber auch der koreanischen Gesellschaft in ihrer hierarchischen Abstufung zur Zeit der japanischen Herrschaft anbetrifft, andererseits in der feinen Zeichnung der Charaktere, den Gewissensnöten und -qualen der beiden sich gegenüberstehenden Protagonisten. Nicht nur Anklänge an die koreanische Sagen- und Mythenwelt finden sich, sonderen auch deren unmittelbares Weiterleben innerhalb der Gellschaft; ebenso wurde der Konflikt der unterschiedlichen Religionen und Glaubenswelten, einerseits des Schamanismus, andererseits des Christentums, sowohl für die Lebenden als auch die Toten in seiner ganzen Komplexität für mich deutlich. Die Brüche, die sich innerhalb der koreanischen Gesellschaft allmählich auftun, finden hier schon ihren Niederschlag.


    Sehr interessant fand ich die Erzählweise Kims, sie nimmt Momente aus der Erzähltradition auf, zum Beispiel in Wiederholungen, um etwas zu verdeutlichen, ist aber auch sehr ruhig und in ihrer Beschreibung fast schon sachlich. Mir hat dieser Stil sehr gut gefallen, ich hatte stellenweise mehr das Gefühl, etwas erzählt zu bekommen anstatt es „nur“ zu lesen.


    Der Roman wird linear erzählt, mit kurzen erklärenden Rückblicken, und bietet viel Raum für eigenes Nachspüren. Die Figuren habe ich als realistisch und plastisch gestaltet empfunden, sie haben ihre eigene Stimme und Eigenständigkeit, es fällt leicht, sie anzunehmen oder abzulehnen. Auch wenn die Geschichte sich um den Konflikt zwischen Mutter und Sohn dreht, habe ich doch die Tochter resp. Schwester Wolhi als die zentrale Figur angesehen, vordergründig um sie dreht sich das Werben der Schamanin und des Christen. Wolhi ist für mich zum Sinnbild des koreanischen Volkes geworden, dem die Verführung bzw. Überzeugungskraft der religiösen Riten und Worte galt, wobei die bunte, auf mich schon fast theatralische Wirkung einer Kut-Zeremonie im krassen Gegensatz zu der Nüchternheit und Einfachheit des protestantischen Gottesdienstes stand. Die große Crux, dass beide religiöse Vertreter eine eindeutige Wahl fordern, führt zum tödlichen Konflikt; ein vielleicht erwünschtes oder erstrebtes Neben- und Miteinander, das sich für mich in dem Nichtfestlegen Wolhis für eine der Seiten findet, hat bei dieser geforderten Hingabe keine Chance.


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