Ich bin ein Geschichtenerzähler – Otfried Preußler

  • HrsgInnen: Susanne Preußler-Bitsch, Regine Stigloher


    Dieser 2010 erschiene Band enthält, ausgewählt von zwei Töchtern Otfried Preußlers, achtunddreißig Artikel, Essays und Reden des Schriftstellers zwischen 1972 und 2009. Die meisten davon stammen aus den 1980er und 90er Jahren.
    Eingeteilt sind sie thematisch-biographisch in größere Abschnitte, von Erinnerungen an die Kindheit Preußlers in Böhmen, den zweiten Weltkrieg, das neue Leben in Bayern bis zur Entwicklung zum Schriftsteller und dem Leben als Autor, vom Schreiben, von der Bedeutung der Kinderliteratur. Zu jedem größeren Abschnitt gibt es ein Vorwort der Herausgeberinnen und eine Handvoll Fotos, Porträts des Autors sowie das eine oder andere Bild aus dem Privatleben.


    Das Buch ist weder Biographie noch Autobiographie, im Gegenteil, muß man sagen. Beim ersten Lesen entzieht der Autor sich immer wieder. Man muß die Texte ein wenig abklopfen, gegen den Strich lesen und hinter die Zeilen sehen, um ihn zu entdecken. Vor allem muß man die Details im Verlauf der Lektüre zusammensetzen. Trotzdem bleibt so manches bruchstückhaft.


    Die Kindheits– und Jugenderinnerungen sind ein wenig verklärt, kritisch wird es in den Kriegsjahren. Da finden sich Bemerkungen über Heimat und Deutschsein, die das eine oder andere Fragezeichen beim Lesen auslösen. Eine offenen Auseinandersetzung mit dem Thema darf man nicht erwarten, bei ähnlichen Themen später im Buch, etwa einem Besuch ‚im guten alten Rußland‘ 1989, wird’s ein bißchen arg sentimental und weltfremd, etwas, das man bei diesem Autor eben nicht gewöhnt ist.


    So manche zunächst etwa fragwürdige Darstellung, z.B. während der Kriegsgefangenschaft, wird viele Seiten später plötzlich revidiert, wenn Preußler in einem Satz, quasi nebenbei, erklärt, daß er nie mehr ein Gewehr in die Hand genommen hat, nicht einmal auf Jahrmärkten. Auf solche Details muß man achten beim Lesen, auf einzelne Ausdrücke, mal einen Satz, bei denen der sonst glatte Text mit einem Mal aufreißt und jemanden zeigt, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, auch wenn er damit nie fertig geworden ist. Sein Rückblick auf seine Altersgenossen, auf das Schicksal einer Generation, gewinnt unter diesem Aspekt beträchtlich.


    Deutlicher wird Preußler, wenn es ums Schreiben und um Kinder geht. Vom Schreiben handeln die Texte immer wieder, vom Erzählen und wie sich das Eine zum Anderen verhält. Der eine oder andere Text liest sich für sich genommen erst einmal nett, gewinnt dann aber, wenn man Texte mit ähnlicher Thematik gelesen hat, beträchtlich. Preußlers häufig geäußerte Forderungen, Kinder als Publikum ernst zu nehmen und sie nicht mit Oberflächlichem, Flüchtigen oder gar schlecht Geschriebenen abzuspeisen, weil sie ein Recht auf Qualität haben, zeigen einen engagierten Autor, der ein Schriftstellerleben lang gelernt und sich entwickelt hat und immer bereit war, seine Einsichten umzusetzen.


    Preußlers Liebe zum Laienschauspiel, seine Anfänge beim Kinderfunk in Stuttgart, seine Erfahrungen als Volksschullehrer, die Geschichten seiner Großmutter, seine Kinderzeit, all das fließt bei diesem Thema zusammen. Das Erzählen als erzieherisches Mittel, im Unterricht, wie in der Freizeit, um die Phantasie und das Nachdenken bei Kindern anzuregen, sind ein wesentlich für ihn. Phantasie und freie Zeit für Kinder sind ihm grundsätzlich sehr wichtig, sein Wettern gegen den Fernsehkonsum, der Phantasie tötet und Zeit raubt, ist immer mit Argumenten belegt, gleich, wie kurz der Text ist.
    Es gibt einige wenige Informationen zum Entstehen seiner Figuren, seine Arbeitsweise, Einblicke in das Verlagswesen vor fünfzig Jahren, die überraschenderweise ziemlich aktuell klingen.
    Ein Werkverzeichnis, einschließlich Theater-, Hörspiel- und Filmfassungen seiner Geschichten runden das Buch ab.


    Die Texte bieten in ihrer Gesamtheit spannende und aufschlußreiche Einblicke, vor allem, wenn man sich nicht mit einer einzigen Lektüre zufriedengibt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus