• Boccia


    Fuß vor Fuß setzen, Fuß vor Fuß, ganz langsam. So mißt Reni den Abstand zwischen den Kugeln, den großen gelben und grünen, roten und blauen und der kleinen schwarzen. Ihre Waden ragen aus den Ringelsöckchen, dünn und sehr lang, Jungmädchenwaden mit knubbeligen Knien darüber. Ein wenig gebräunt von der Sommersonne. Haut wie Omas Schmandsauce, und Anne möchte darüberstreichen, um zu wissen, ob es sich auch so warm und samtig anfühlt wie die Sauce vom letzten Sonntag.
    »Ich bin näher dran.« Reni winkt, strahlt über das ganze stupsnasige Gesicht.
    Gestern hat sie einen Jungen geküßt. Zum ersten Mal. Naß sei es gewesen, nach Minze und kaltem Rauch habe es geschmeckt, als er die Zunge in ihren Mund steckte, und dann schleimig. Das erzählte sie Anne kichernd auf den Weg zum Bocciaplatz. Und Anne hatte milde gelächelt. Schließlich war sie die Ältere. Abgeklärter und klüger. Während Reni die Beine warf wie ein Funkemariechen und den Cancan trällerte, bis Anne einstimmte, bis sie glucksten, sich die Seiten hielten und lachten, und Reni fiel auf ihren Hintern, streckte die Beine in die Luft, daß ihr Rock flog. Unterwäsche mit Fischen. O Jesus! Haut wie Schmandsauce. Dann sprang sie wieder auf die Füße – »Gut, daß keine Jungs hier sind.« – und hakte sich bei Anne ein. »Der Flori wollte mir sogar richtig an die Wäsche. Ein bißchen hab ich ihn ja gelassen, aber der war vielleicht grob.«
    Als denke sie, Anne wisse mehr von diesen Dingen. Anne verzieht das Gesicht. Schmandsauce muß man behutsam behandeln, nicht zu heiß werden lassen, sagt Oma, langsam erwärmen und mit einem Holzlöffel sanft verrühren, damit nichts stockt oder gerinnt, sonst ist alles verdorben. Am besten wäre es wohl, mit den Fingern ganz sacht darüberzustreichen.
    Anne schwingt den Arm nach hinten, nach vorn, gibt die Kugel frei, die gelbe, die fliegt, fliegt in weitem Bogen, an Reni vorbei, plumpst auf die hellbraune Erde, läßt Sand aufspritzen, hüpft, rollt, rollt aus. Berührt die kleine schwarze. Drückt sie aus dem Ring der blauen und roten. Kommt mit ihr zum Stehen. Und Anne macht einen Satz.
    Mit schräggelegtem Kopf schaut Reni sie an, schenkt ihren Augen ein leicht gebräuntes Gesicht. Sommerhaut. Schmandsaucenhaut. Dann wirbelt sie herum mit ihrer letzten blauen Kugel, die fliegt und hüpft und rollt und meterweit hinter Annes gelber liegenbleibt. Reni stemmt die Hände in die Hüften, runzelt die Stirn, baut sich vor Anne auf, dicht, sehr dicht, und sie bläst ihr den Atem ins Gesicht, warmen, süßen Atem.
    Dahinten vor dem Kiosk, das wird Anne deutlich bewußt, sitzen Männer und spielen Karten, Renis Onkel ist dabei, der alle Mädchen in den Po kneift. Reni tut noch einen Schritt und schon berühren sich ihre beiden Körper vom Schlüsselbein bis zur ... zur ...
    Scham, denkt Anne und kriegt so heiße Ohren, daß sie heilfroh ist über den Bubikopf, den sie sich letztens schneiden ließ, während Reni sie mit einem weiteren Schritt vor sich her schiebt. »Ich fordere Revanche.«
    Kann sie haben, soll sie haben, denkt Anne, die Renis Atem schon schmecken kann, warm und süß. Noch ein Schritt und sie gerät ins Wanken, hält sich an Renis Mini fest, legt die Hand auf Sommerhaut, Schmandsaucenhaut, streicht ganz behutsam darüber, bis die Fingerspitzen auf einen Saum stoßen, darunter schlüpfen, unter den Slip, immer noch Sommerhaut, Schmandsaucenhaut, rund und gut, da hat sie schon Renis Lippen auf ihrem Mund, weich und feucht, öffnen sie sich wie eine Blüte. Darf man das?
    Sie müssen doch die Kugeln holen, Annes gelbe und grüne, Renis blaue und rote und die schwarze, die kleine harte, hart wie die Knospen, die in Renis Handflächen brennen, haben sich deren Hände doch unter Annes Hemd gestohlen. Und was sucht diese Zunge in ihrem Mund, reibt sich an ihrer, gleitet über ihre Zähne, und der sanfte Druck gegen ihre ...
    Warum zur Hölle dieses blöde Wort? Scham. Renis Finger kneten ihre Brüste, und die Männer spielen Karten vor dem Kiosk, während die Sonne durch die Zweige herabsticht. Dann springt Reni rücklings weg, läßt Anne mit hochgeschobenem Shirt stehen, schauen, sie lacht, ergreift ihre Hand und rennt mit ihr zum Bootshaus, da ist es kühl, da können sie ihre Schmandsaucenhäute schmecken.


    ©2005, Iris Kammerer

  • hm... soll ich was sagen... ich hasse dieses Bocciaspiel..... :lache


    Aber die Geschichte ist trotzdem fein... auch wenn ich das Ende irgendwie.... hmmm...komisch(??) fand

  • seltsam irgendwie.... kanns auch nicht beschreiben... ich hatte irgendwie das Gefühl, da fehlt was ....


    habs mri nochmal durchgelesen und weiß was es ist... das geht mir irgendwie zu schnell..... :-]

  • Hallo,


    wirklich schön zu lesen, einige der Geschichten hier wollte ich mir sowieso schon ausdrucken und sammeln (längere Texte lese ich lieber vom Papier). Diese Geschichte wird auf jeden Fall dabei sein.


    Mir hat am Ende nichts gefehlt - im Gegenteil - endet für meinen Geschmack genau richtig :-]


    Liebe Grüße :wave