Über das Buch:
Peter Englund schildert die Geschichte des Ersten Weltkriegs aus der Perspektive von neunzehn meist unbekannten Menschen.Sie alle erfahren den Krieg als eine Macht, die ihnen etwas Entscheidendes raubt: ihre Jugend, ihre Illusionen, ihre Hoffnung, ihre Mitmenschlichkeit – ihr Leben. Es sind erschütternde Episoden, die sich wie nebenbei zu einem Gesamtbild fügen, romanhaft erzählt und doch auf zahllosen Selbstzeugnissen basierend.
Über den Autor:
Peter Englund wurde 1957 in Nordschweden geboren. Er arbeitete als Kriegsreporter, ist Historiker und seit 2009 ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie.
Für die Übersetzung sorgte Wolfgang Butt.
Meine Meinung:
Taschenbuchausgabe, insgesamt ca. 700 Seiten. Nach einer Widmung ein Vorwort „An den Leser", anschließend zwei Zitate von Rainer Maria Rilke und Stefan Zweig, Personenverzeichnis („Dramatis personae“). Die – linear erzählten - Kriegsjahre 1914 bis 1918 werden jeweils durch eine „Chronologie der Ereignisse“ begonnen und durch zahlreiche Fotografien abgeschlossen. Abgeschlossen wird der Hauptteil durch einen Auszug aus einem Buch eines gewissen Adolf Hitler, der bekanntermaßen großen Wert darauf legte, als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg bezeichnet zu werden. Beendet wird das Buch durch einen umfangreichen Anhang, bestehend aus sehr ausführlichen Anmerkungen, Hinweisen zu Literatur, ein Register, Bildnachweisen sowie zwei Landkarten „Die Welt 1914“ und „Der Erste Weltkrieg in Europa“.
In diesem Jahr erscheinen Bücher zum Thema zuhauf; zu diesem habe ich ob des mir interessant erscheinenden Ansatzes gegriffen: Der Erste Weltkrieg erzählt von denen, die an ihm teilnahmen, die nicht zu den Spitzen der Hierarchien gehörten, die Granaten und Gasangriffe aus nächster Nähe erlebten, die durch die Kämpfe geprägt und gezeichnet wurden. 19 Menschen begleitet man als Leser durch diese vier Jahre, dabei sind ein deutsches Schulmädchen, ein Ingenieursoffizier der russischen Armee, ein französischer Beamter, ein Südamerikaner, der seine Dienste vergeblich den westlichen Mächten anbot, also wurde er Kavallerist in der osmanischen Armee, ein Gebirgsjäger und ein Infanterist der italienischen Armee, zwei Krankenschwestern, eine auf Seiten der serbischen Armee, eine der russischen Armee, ein Schiffsmatrose, ein Artellerist und ein Soldat auf deutscher Seite und andere mehr. Globales Personal für einen globalen Krieg. Zwei von ihnen werden den Krieg nicht überleben, was mir angesichts der Opferzahlen, egal auf welcher Seite, fast wie eine statistische Schieflage erschien.
Erfunden sei nichts, so Englund, sondern der Text basiere auf Briefen, Tagebüchern und anderen Aufzeichnungen. Die Recherchearbeit muss trotzdem immens gewesen sein, die Fülle dessen, was man über Krieg, Ausstattungen, Waffen, Verpflegung, Aufwendungen in welcher Hinsicht auch immer, Verschuldungen etc. erfährt, erscheint mir groß. Vieles habe ich erfahren, viele Details, die zusammen ein genaueres Bild über die Situation der Menschen in jenen Jahren ergeben, sei es die Einführung der Kurzhaarfrisur und des Stahlhelms, sei es die Todeszahlen allein bei den Pferden, die Abgabe von Tabak an die Soldaten, aber auch das Können der Ärzte, die Ernährungssituation, die sich so verheerend auswirkenden Missverständnisse in den Armeen und Hierarchien, der Völkermord an den Armeniern, die Revolution in Russland, Kriegsbegeisterung und Kriegsmüdigkeit.
Englunds Buch habe ich gerne und mit Gewinn gelesen, gleichwohl bin ich nicht wirklich glücklich damit geworden. Dem großen und umfangreichen Wissensgewinn steht das gegenüber, was für mich das Problem des Buches ausmacht und was ich einmal als die Gleichförmigkeit unterschiedlicher Stimmen bezeichnen möchte. Die 19 Menschen, darunter immerhin ein 1914 zwölf Jahre altes Mädchen sowie ein zum selben Zeitpunkt 45 Jahre alter Beamter, kann man nur anhand dessen unterscheiden, was berichtet wird, an ihrer Begeisterung oder Nachdenklichkeit, aber nicht, weil sie einen eigenen Raum für ihre eigene Stimme bekämen (abgesehen von kurzen Ausschnitten aus Briefen oder Tagebüchern). Ich habe nicht recht erkennen können, ob Englund nun in seinem Erzählen, in den Episoden die jeweiligen Stimmen mit eingewoben hat oder ob jede Episode als Erzähltes der jeweiligen Person zu gelten hat – in letzterem Fall hätten sie jedenfalls stellenweise ein ganz erstaunliches Wissen bzw. eine ganz erstaunliche menschliche Reife gehabt (wobei Englund mehrfach darauf hinweist, dass viele Details, Opferzahlen etc. erst nach Beendigung des Krieges an die Öffentlichkeit gelangten). Ein Schönheitsfehler, klein, aber für mich nicht unbedeutend.
Beeindruckt und auch gefesselt hat mich die Arbeit Englunds aber allemal, wobei es keinen Bereich gab, der mein Interesse nicht zu wecken wusste. Ein Bild des Krieges "von unten", von denen, die sich nicht verstecken konnten, sondern den Ereignissen standzuhalten versuchten.
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