Originell und herzerfrischend!
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Was soll man davon halten, wenn - wieder einmal - ein klassisches Grimmsches Märchen literarisch neu aufgelegt oder als Vorlage benutzt wird? Wenn die Autorin gar Engländerin und nicht Deutsche ist? Und wenn zu allem Überfluss aus dem Märchen ein Krimi gestrickt wird? Nun, das wird von der Nonsens-Toleranz des Lesers abhängen. Und auch von seinem Sinn für Humor.
Weltliteratur darf man bei diesem Buch sicherlich nicht erwarten - dafür aber viele, herzerfrischende Überraschungen, einen Sinn für schräge Szenen, bissige Dialoge, und schwarzen Humor. Es geht tatsächlich um Gretel (ja, die Gretel!) und ihren Bruder Hänsel, die im 18. Jahrhundert in Bayern leben. Ihre allseits bekannte traumatische Kindheit haben sie unterschiedlich verarbeitet: Gretel wurde Privatdetektivin, und ist dem Luxus anheimgefallen; Hänsel der Trunksucht und dem Müßiggang. Und beide sind sie, nun ja, nicht mehr so unterernährt wie früher...
Man merkt schon an diesen wenigen Worten: mit dem alten Märchen hat das nicht mehr viel zu tun. Die Autorin ist sicherlich ziemlich respektlos mit dem Ausgangsmaterial umgegangen. Mir hat das Ergebnis jedoch ziemlich gut gefallen. Ich habe wirklich oft schmunzeln und lachen müssen. Gretel ist eine richtige Matrone geworden, die alles und jeden mit bissigen Kommentaren bedenkt. Und Hänsel nutzt jede nur erdenkliche Gelegenheit zu einem, ähem, Wirtschaftsstudium der hochprozentigen Art. Auf ihre ganz eigene Weise ergänzen sich die Beiden jedoch hervorragend!
Der "Fall" ist für mich ein wenig in den Hintergrund geraten. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass einer Nachbarin, Frau Hapsburg, drei Katzen (!) gestohlen werden. Gretel macht sich auf die Socken, pardon, die Seidenstrümpfe. Und was sich daraus entwickelt, ist schon fast wieder ein Märchen für sich: sie begegnet Trollen und Riesen, wird gefangen genommen und beinahe exekutiert (hatten wir das nicht schon mal?), muss sich mehrmals auf ihren Wagemut verlassen - und am Ende ist man um drei Leichen und etliche Erkenntnisse reicher...
Ich würde dieses Buch nur halb als Krimi bezeichnen. Mindestens ebenso sehr ist es eine Parodie und Umarbeitung klassischer Märchen, deren Vorzug einfach in der Originalität und dem herrlichen Witz liegt. Besonders genau hat es die Autorin dabei nicht mit dem historischen Kontext genommen - ich wage einfach zu bezweifeln, ob es im 18. Jahrhundert in Bayern schon Zoos, Schulausflüge und Schönheitssalons gegeben hat...
Man sollte das alles einfach nicht zu ernst nehmen. Tut die Autorin schließlich auch nicht! Mit einem Augenzwinkern und viel Gelassenheit kann man mit diesem Buch ein paar herrlich unbeschwerte Stunden verbringen. Und das ist doch auch schon mal was!