Softcover: 128 Seiten
Verlag: Litradukt; 2013
Übersetzt aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte
Kurzbeschreibung:
Haiti, Anfang 2011. Fito Belmar könnte als Erfolgsautor und Architekt ein ruhiges Leben zwischen seinen Freunden und seiner Geliebten führen, wäre da nicht eine dunkle Seite seiner Persönlichkeit, die er in Canaan, einem Lager für Erdbebenopfer, auslebt. »gelobten Land« in der Nähe der Hauptstadt leben in Notunterkünften aus Plastikplanen über 80 000 Menschen; Gewalt, Bandenkriminalität, Drogenhandel und Prostitution sind allgegenwärtig. Fito, der ursprünglich im Rahmen eines Projekts zur Verbesserung der Lebensbedingungen in das Lager gekommen ist, kämpft vergeblich gegen seine Neigung zu den blutjungen Mädchen an, die sich dort aus Not dem Meistbietenden hingeben. Der Besuch von Tatsumi, einer japanischen Journalistin, die eine Reportage über Haiti verfassen soll, bringt ihn zusätzlich in Bedrängnis: Fito muss sein Geheimnis vor ihr verbergen, fühlt sich aber auch zu ihr hingezogen.
Über die Autorin:
Kettly Mars, geboren am 3. September 1958 in Port-au-Prince, Haiti erhielt eine klassische Bildung und arbeitete als Verwaltungsangestellte. Ab den 90er Jahren wurde sie in Haiti als Lyrikerin bekannt. Als Prosaautorin machte sie sich durch die Romane Kasalé (2003) und L’heure hybride (2005) einen Namen. Das Zweideutig-Unbestimmte, das in diesem Titel zum Ausdruck kommt, kennzeichnet auch ihren 2008 erschienenen Roman Fado.
In Deutschland wurde sie durch ihren Artikel über das Erdbeben in Haiti bekannt (»Ich habe überlebt«, DIE ZEIT vom 21.1.2010).
Über die Übersetzerin:
Dr. Ingeborg Schmutte, geb. 1930 in Starnberg
Kindheit in Ostpreußen, Flucht
Studium der Romanistik, Germanistik und Anglistik in Tübingen, Toulouse und Paris
Gymnasiallehrerin
Leitung des Deutschen Pädagogischen Seminars in Buenos Aires 1988–1992
Übersetzung zahlreicher belletristischer Werke und Sachbücher aus dem Französischen und Spanischen.
Mein Eindruck:
Ein Roman über Haiti nach dem Erdbeben 2010. Obwohl viel über die Katastrophe berichtet wurde, macht man sich weit entfernt kein klares Bild über die Lebensbedingungen der Bevölkerung, von denen viele alles verloren haben. Sie leben in Armut und Not. Sie verlangen eine kleine Chance für Haiti, eine kleine Chance, damit es sich ändert.
Kettly Mars war beim Erdbeben anwesend und kennt das Haiti vor und nach der Katastrophe. Daher wirkt der Roman überaus authentisch. Sie hat den Roman den Überlebenden des Erdbebens vom 12.Januar 2010 gewidmet.
Spezifische Begriffe des kreolischen werden von der Übersetzerin in den Anmerkungen erläutert.
Schauplatz ist der haitianische Ort Canaan, der voller Flüchtlinge und Chaos ist. Ein Ort in vielfacher Hinsicht kurz vor dem Verdursten.
Hier befindet sich auch die Hauptfigur Fito, ein 55jährige Architekt und Schriftsteller. Fito will in Haiti helfen, aber nebenbei vergreift er sich auch an jungen Mädchen, die aus Not als Prostituierte angeboten werden.
Fito wird nicht direkt als bösartig dargestellt, aber doch innerlich zerrissen, offensichtlich schwach, haltlos und sich seinen pädophilien Neigungen ergebend. Immer wieder hat er Gewissenbisse und nimmt sich vor, das es das letzte Mal war. Bis zum nächsten mal.
In kurzen Passagen zwischendurch werden auch die Gedanken der missbrauchten Kinder gezeigt.
Die japanische Journalistin Tatsumi ist eine interessante, positiv gestaltete Figur. Sie trifft auf Fito, den sie als Schriftsteller bewundert. Sie wird ihn beeinflussen.
Kettly Mars konnte mich auf Anhieb mit diesem Buch überzeugen. Ich habe auch sogleich einen weiteren Roman von ihr bestellt.
“Vor dem Verdursten” ist ein bemerkenswerter, wenn auch relativ kurzer Roman, der dieses Jahr für den renommierten Liberaturpreis nominiert ist, der im Oktober in Frankfurt von der Litprom verliehen wird. Ich bin stimmberechtigt und werde vielleicht für ihn stimmen, zuerst muss ich aber noch die anderen Nominierten lesen.