'Zeiten des Aufruhrs' - Teil 3. Kapitel 5 – 9

  • "Beim Weinen ging es darum, dass man damit aufhören musste, bevor es sentimental wurde. Bei der Trauer wiederum ging es darum, dass man ihr ein Ende setzen musste, solange sie noch aufrichtig war, solange sie noch etwas bedeutete." (Buch3, Kapitel 9, Shep)


    Was für ein trauriges, folgerichtiges, hartes und realistisches Ende...Kein Zuckerguss, sondern nackte Realität.
    Waren sie zu Anfang des Buches noch in etwa gleichwertig und gleichgestellt, so sind April und Frank zu Ende so weit entfernt, oben und unten, wie sie nur sein können. Frank, der Mann, der neue Mann, hat sich behauptet, durchgesetzt, und zum Schluss bleibt ihm doch nichts, denn April ist auf der Strecke geblieben.


    Hätten sie sich retten können? Wenn ja, dann nur gegenseitig, und das erreicht man nicht, indem man wie Frank immer nur sagt:"Hör mir zu! Hör mir doch zu!", sondern wenn man dem Anderen zuhört.
    Dabei war schon zu erkennen, was falsch lief. Sogar John in seinem Wahn hat es erkennt und ihnen gesagt.
    Auch andere, wie Mrs Givings, wollen nichts bemerkt haben. Ich kann es mir kaum vorstellen, dass Aprils Abdriften nicht zu merken gewesen sein soll.


    Zentral ist für mich hier am Ende auch Kapitel 7. Es ist das erste Kapitel aus Aprils Sicht, eine kleine Rückblende in ihre Kindheit. Schon früh empfand sie Fremdheit der Welt gegenüber, nicht Entfremdung.
    Ist darum Aprils Ende folgerichtig? Ich weiß nicht...Ich mag es nicht glauben. Es gibt immer Wege aus dem Tal heraus, die man gehen kann, wenn man nur Hilfe hat.


    Warum bleibt der Eindruck, dass April sich umgebracht hat? Weil sie das wissend einkalkuliert hat, meine ich. Das Schreiben der Abschiedsbriefe und das unwirkliche Frühstück nach der Eskalation der Ehekriese im Hause Wheeler sprechen auch dafür.


    Was bei mir zurückbleibt ist Mitleid mit April, Mitleid mit den Kindern, die das Ausmaß der Veränderung und den Tod der Mutter selber gar nicht verstehen können.


    Wieder mal ein Buch, das ich ohne die Querbeet-LR nicht gelesen hätte. Danke!

  • Frank scheint es nicht sonderlich gut zu gehen, wenn er dermaßen ausfallend gegenüber John wird. Die Nerven sozusagen zum Zerreißen gespannt, da fällt es leicht, auf Fragen und Sätze, die einen wunden Punkt berühren (können), aber auch Offensichtliches ansprechen, verbal zu entgleisen. „Vielleicht habe ihr euch ja verdient“ (Seite 308) – wieder einer dieser Sätze, die sich mir ein wenig die Nackenhaare sträuben lassen.


    Und weil er gerade dabei ist, bekommt April auch gleich eine Ladung ab. Perfektes Timing, wobei er gar nicht zu bemerken scheint, wie sehr er seine Frau schon verletzt hat. Immer noch einmal nachtreten, in die Wunde Salz streuen, wie immer man das nennen will, es ist seiner nicht nur nicht würdig, es ist, finde ich, erbärmlich. Er gefällt sich allzu sehr in der Rolle, in der er sich so gerne sieht und die für ihn wohl doch ein paar Schuhnummern zu groß ist.


    Der Waffenstillstand mit Friedensangebot am Frühstückstisch, seine Angst, dass April gehen könnte, vertieften in mir eigentlich das ungute Gefühl, dass ich seit geraumer Zeit hatte. Und letzten Endes: Es lief darauf hinaus, obwohl ich an diese Art von Selbstmord nicht wirklich gedacht habe. Ein dramatisch ausgehender Unfall, dahin gingen meine Überlegungen eigentlich eher. Aber die Verletzungen, die im Grunde in ihrer Kindheit schon angefangen haben, sich fortsetzten und fortsetzten, auch, nein erst recht in der Ehe, die Erkenntnis, die sie dann doch zulässt (Seite 324) und so etwas wie Bindungsunfähigkeit (wie ich glaube) lassen vielleicht in dem Moment für sie keine andere Lösung zu. Ihre Gedanken sind zu festgefahren, zu sehr hat sich manifestiert, was Frank ihr immer wieder zu verstehen gibt – und bei den Erfahrungen auch in der Kindheit und als Jugendliche -, als dass sie noch zugänglich gewesen wäre für eine andere Möglichkeit.


    Das, was geschehen ist, war mehr als der Versuch einer Abtreibung; es war ein Auslöschen ihrer selbst. Frank gebe ich recht (Seite 341), es war ihr Entschluss, für sie stellte es sich wahrscheinlich als der einzig gangbare Weg dar. Ihren Brief an Frank verstehe ich als Abschluss für sie selbst, sie will diesen Weg ohne Gedanken des Hasses oder von Vorwürfen gehen.


    „Jedenfalls musste das Leben weitergehen“ (Seite 316) – im Grunde steht dieser Satz zu früh im Roman, es wäre ein guter Schlusspunkt gewesen. Aber so erfahren wir noch etwas über Frank, für den ich eigentlich hoffe, dass Aprils Worte nicht dafür gesorgt haben, dass es nicht mehr an ihm nagt. Milly und Shep, Mr. und Mrs. Givings und vermutlich auch John werden ihr Leben weiterleben wie bisher, unberührt letztlich, außer dass man doch wieder ein ergiebiges Gesprächsthema gefunden hat. Shep wird noch eine Zeit zu leiden haben, das schon, aber auch das wird vorübergehen. Und die Kinder? Offene Geschichten – Yates ist auch ein Meister darin, nicht alles zu erzählen, es seinem Leser zu überlassen, irgendwann das Wörtchen „Ende“ zu schreiben.


    Was soll ich sagen? Vielleicht das: Howard Givings hat es gut, er kann sein Hörgerät abschalten und er ist von Stille, vom Schweigen umgeben. Das „Glück“ habe ich nicht, die Stimmen des Romans, die Personen werden mich sicher eine ganze Weile begleiten. Und den Namen Yates vergesse ich bestimmt nicht mehr.


    Zitat

    Original von Clare
    Es gibt immer Wege aus dem Tal heraus, die man gehen kann, wenn man nur Hilfe hat.


    Aber man muss diese Hilfe auch annehmen können, und ich glaube, über diesen Punkt war April hinaus, wenn es ihn denn überhaupt für sie gegeben hat.



    Ich danke sehr, dass ich an dieser Leserunde teilnehmen darf. Ich glaube, das Buch war zwar nicht leichter zu lesen, aber leichter durchzustehen, zu ertragen.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Und weil er gerade dabei ist, bekommt April auch gleich eine Ladung ab. Perfektes Timing, wobei er gar nicht zu bemerken scheint, wie sehr er seine Frau schon verletzt hat. Immer noch einmal nachtreten, in die Wunde Salz streuen, wie immer man das nennen will, es ist seiner nicht nur nicht würdig, es ist, finde ich, erbärmlich. Er gefällt sich allzu sehr in der Rolle, in der er sich so gerne sieht und die für ihn wohl doch ein paar Schuhnummern zu groß ist.


    Man hat den Eindruck, dass er wirklich keine Grenzen mehr kennt. Er gibt es vor sich ja auch zu, dass es ihm egal ist, bzw. dass er ja nicht dafür verantwortlich ist, dass sie unglücklich ist. Das ist ihr Problem. Nach und nach hat sich das schlechte Gewissen verloren. Er redet und redet und argumentiert, ohne Rücksicht auf Verletzungen zu nehmen, die er reißt. Furchtbar!


    Zitat

    Der Waffenstillstand mit Friedensangebot am Frühstückstisch, seine Angst, dass April gehen könnte, vertieften in mir eigentlich das ungute Gefühl, dass ich seit geraumer Zeit hatte. Und letzten Endes: Es lief darauf hinaus, obwohl ich an diese Art von Selbstmord nicht wirklich gedacht habe. Ein dramatisch ausgehender Unfall, dahin gingen meine Überlegungen eigentlich eher.


    Dieses Frühstück war richtig unwirklich. Ich hatte erwartet, dass sie sich umbringt. Ich glaube aber nicht, dass sie das wollte. Aber sie hat das Risiko einkalkuliert.


    Zitat

    Das, was geschehen ist, war mehr als der Versuch einer Abtreibung; es war ein Auslöschen ihrer selbst. Frank gebe ich recht (Seite 341), es war ihr Entschluss, für sie stellte es sich wahrscheinlich als der einzig gangbare Weg dar. Ihren Brief an Frank verstehe ich als Abschluss für sie selbst, sie will diesen Weg ohne Gedanken des Hasses oder von Vorwürfen gehen.


    Einen anderen Weg hat sie nicht gesehen. Ob es einen gab? Wahrscheinlich wäre es aber auch zu spät gewesen, um ihr anderweitig zu helfen.

  • Zitat

    Original von Clare


    Dieses Frühstück war richtig unwirklich. Ich hatte erwartet, dass sie sich umbringt. Ich glaube aber nicht, dass sie das wollte. Aber sie hat das Risiko einkalkuliert.


    Spätestens bei der Putzorgie ging mir eine Zeile nicht aus dem Sinn, sie steht nicht in dem Buch, sondern - ich habe ganz schön suchen müssen, um sie wiederzufinden - in einem Gedicht und heißt "... die Schnecke schultert ihr altes Haus ..." (ist in dem Gedicht "Die Krähennester" von Wilhelm Lehmann zu finden, Band 1 der Gesammelten Werke, erschienen bei Klett-Cotta). Das Gepäck (das Haus), das April mit sich schleppt, ist zu schwer, zu alt geworden, als dass sie es ohne Schaden an Geist und Seele und wohl auch am Körper zu nehmen lange hätte tragen können. Ich glaube, sie war sich sehr bewusst, dass diese Abtreibung auch ihr Tod sein würde; ein Verbleiben in der Familie war wohl nicht vorstellbar, hätte sie überlebt. Und ich glaube auch nicht, dass jemand überleben will, der erst noch für Ordnung meint sorgen zu müssen, bevor er den Notruf absetzt. Dieses Aufräumen galt für mich eher dem Schutz der Familie, nicht ihrer selbst.
    Mit ihr habe ich nach wie vor meine Schwierigkeiten, aber mich dauert sie unendlich.

  • Zitat

    Original von Clare
    Was für ein trauriges, folgerichtiges, hartes und realistisches Ende...Kein Zuckerguss, sondern nackte Realität.


    Das kann man wohl sagen. Ein adäquates Ende für dieses Drama.


    Zitat

    Hätten sie sich retten können?


    Wahrscheinlich nicht. Beide waren von ihrer lieblosen Kindheit geprägt, haben sich nach Aufmerksamkeit und Zuwendung von Eltern gesehnt, die nicht bereit waren etwas zu geben. Die Voraussetzungen für ein glückliches Leben und eine erfolgreiche Beziehung waren denkbar schlecht.


    Man weiß bis zum Ende nicht wirklich, ob sie sich jemals geliebt oder von Anfang an nur in einer Illusion gelebt haben, die zu erhalten zunehmend schwieriger wurde.


    Die Szene mit John war stark. Ihn scheren die Konventionen, die seiner Mutter alles bedeuten, überhaupt nicht. Er ist intelligent und scharfsichtig, spricht alles aus, was er denkt, liest in ihren Gesichtern und ihrer Körpersprache und trifft genau ins Schwarze. Vor allem sein letzter Satz: " Ich bin froh, daß ich nicht das Kind da bin." Und das aus seinem Munde - besonders bitter!


    Zitat

    Zentral ist für mich hier am Ende auch Kapitel 7. Es ist das erste Kapitel aus Aprils Sicht, eine kleine Rückblende in ihre Kindheit. Schon früh empfand sie Fremdheit der Welt gegenüber, nicht Entfremdung.Ist darum Aprils Ende folgerichtig? Ich weiß nicht...Ich mag es nicht glauben. Es gibt immer Wege aus dem Tal heraus, die man gehen kann, wenn man nur Hilfe hat.Warum bleibt der Eindruck, dass April sich umgebracht hat? Weil sie das wissend einkalkuliert hat, meine ich. Das Schreiben der Abschiedsbriefe und das unwirkliche Frühstück nach der Eskalation der Ehekriese im Hause Wheeler sprechen auch dafür.


    Ja, endlich ein Kapitel aus Aprils Sicht. Aber wie und warum es bei ihr zu diesem Entschluss kommt wird nicht so deutlich. Irgendwann in dieser Nacht hat sie ihn gefasst. Ob sie nur das Kind los werden wollte und das Risiko willentlich auf sich genommen hat, ebenfalls zu sterben - man weiß es nicht, ist auch für mich ein naheliegender Schluss.


    Die von Lipperin erwähnten häufigen Anklänge an Krieg und Army gibt es auch im letzten Abschnitt wieder, z.B. S. 335, Shep. Für Frank und ihn war es rückblickend wohl eine gute Zeit, einfach und klar strukturiert, sie wussten immer was zu tun war. Vielleicht hat sie das "normale" Leben mit seinen Entscheidungen und Verantwortungen überfordert.


    Diese Leserunde war wieder mal etwas Besonderes. Ein außergewöhnliches Buch, das ich allein sicher nicht gelesen hätte. Ich bin sehr froh, dass ich mich kurzfristig entschieden habe an dieser Runde teilzunehmen :-].

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...Und ich glaube auch nicht, dass jemand überleben will, der erst noch für Ordnung meint sorgen zu müssen, bevor er den Notruf absetzt. Dieses Aufräumen galt für mich eher dem Schutz der Familie, nicht ihrer selbst.


    Ich habe das eher so verstanden, dass sie niemand zur Last fallen will, auch nicht ihrem Mann. Es ist ihre Entscheidung, ihr (Aus)weg, ihre, so empfindet sie es vielleicht auch, Schuld. Niemand soll hinter ihr wegräumen müssen. Insofern hast du Recht: sie will ihre Familie schützen. Für sie gibt es keinen Schutz mehr, das hat sie wohl gewusst.


    Zitat

    Mit ihr habe ich nach wie vor meine Schwierigkeiten, aber mich dauert sie unendlich.


    Mir geht es da wie den meisten in unserer LR: man möchte sie schütteln. Man möchte sie wach rütteln. Und ich möchte sie in die Arme nehmen, denn ich habe großes Mitleid mit ihr.

  • Zitat

    Original von Lumos
    Man weiß bis zum Ende nicht wirklich, ob sie sich jemals geliebt oder von Anfang an nur in einer Illusion gelebt haben, die zu erhalten zunehmend schwieriger wurde.


    Ich denke, sie waren schon verliebt ineinander, aber es ist nicht mehr, kein tieferes Gefühl daraus gereift. Wenn sie nicht so schnell ein Kind bekommen und geheiratet hätten, dann hätten sie sich vielleicht wieder getrennt, und jeder wäre seiner Wege gegangen.


    Zitat

    Ja, endlich ein Kapitel aus Aprils Sicht. Aber wie und warum es bei ihr zu diesem Entschluss kommt wird nicht so deutlich. Irgendwann in dieser Nacht hat sie ihn gefasst. Ob sie nur das Kind los werden wollte und das Risiko willentlich auf sich genommen hat, ebenfalls zu sterben - man weiß es nicht, ist auch für mich ein naheliegender Schluss.


    Die Art, wie dieses Ende geschrieben ist, lässt viel Raum für eigene Spekulationen. Dass nicht alles aus dem Text heraus erklärt ist bis zum Ende, gefällt mir besonders. Ich mag solche Bücher.


    Zitat

    Diese Leserunde war wieder mal etwas Besonderes. Ein außergewöhnliches Buch, das ich allein sicher nicht gelesen hätte. Ich bin sehr froh, dass ich mich kurzfristig entschieden habe an dieser Runde teilzunehmen :-].


    Bin ich auch :knuddel1
    Sowohl darüber, dass du mitgelesen hast, als auch über die Leserunde selber!

  • Wenn ich eure Beiträge lese, Clare und Lipperin, dann glaube ich, dass ich die Geschichte mit mehr Distanz gelesen habe als ihr. (Das tue ich bei besonders dramatischen Geschichten meistens - aus reinem Selbstschutz ;-)).


    Ich habe das Gefühl, dass ihr euch intensiver vor allem in April hineinfühlen könnt. Sie tut mir zwar Leid, aber auch wenn ich weiß, was sie für eine schrecklich lieblose Kindheit hatte, kann ich mich in ihre Verhaltens- und Denkweisen nicht wirklich hineinfühlen :-(. Der Figur April stehe ich eher ratlos gegenüber. Vielleicht aber auch, weil man wenig über ihre inneren Beweggründe erfährt :gruebel.

  • Zitat

    Original von Lumos
    Wenn ich eure Beiträge lese, Clare und Lipperin, dann glaube ich, dass ich die Geschichte mit mehr Distanz gelesen habe als ihr. (Das tue ich bei besonders dramatischen Geschichten meistens - aus reinem Selbstschutz ;-)).


    Ich habe das Gefühl, dass ihr euch intensiver vor allem in April hineinfühlen könnt. Sie tut mir zwar Leid, aber auch wenn ich weiß, was sie für eine schrecklich lieblose Kindheit hatte, kann ich mich in ihre Verhaltens- und Denkweisen nicht wirklich hineinfühlen :-(. Der Figur April stehe ich eher ratlos gegenüber. Vielleicht aber auch, weil man wenig über ihre inneren Beweggründe erfährt :gruebel.


    Ehrlich, lasse ich das näher an mich heran? :gruebel
    Kann schon sein.
    Ich muss sagen, dass sich dieses Interesse an April sich bei mir erst im Laufe des Romans entwickelt hat. Ich glaube, dass es sich in dem Maße verstärkte, wie Frank aufblühte und auf sie einzureden begann.

  • Nun bin ich durch mit der anstrengenden, selbstzerstörerischen Ehe der Wheelers. Und sie selber auch, auf die schlimmste Art und Weise.


    Meinetwegen hätte die Geschichte gern auf Seite 319 meiner Ausgabe beendet gewesen sein können, wo sich die beiden nach dem schlimmen Streit, Zerfleischen kann man es auch nennen, morgens voneinander verabschieden. Aber das hätte natürlich nicht zu dem düsteren Roman gepasst. Vielleicht wollte der Autor April aber auch nur das Recht zugestehen, für sich selbst zu entscheiden, und das war sicher immer noch sehr provozierend damals, als der Roman herauskam.


    Was April auch auf jeden Fall gefehlt hat, war eine echte Freundin, eine, die aus ihrer eigenen Sicht mit ihr auf einer Stufe gestanden hätte. Mit der man die Ehe hätte durchhecheln und vielleicht auf andere Lösungswege hätte kommen können. Aber dieses Buch hat ein Mann geschrieben und in erster Linie geht es ja auch um den Mann.


    Ob mich das Buch bereichert hat, weiß ich noch nicht so recht. Im Moment habe ich das Gefühl, jedes Buch, das ich lese, lässt mich mein Leben aus einem anderen Blickwinkel betrachten - und bei diesem hier bin ich einfach nur froh, dass wir nicht die Wheelers sind.


    In meiner Ausgabe gibt es ein Nachwort von Richard Ford. Er geht dort auf die Namensgebung für die Figuren ein, das fand ich recht interessant. Hat das noch jemand gelesen?

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    In meiner Ausgabe gibt es ein Nachwort von Richard Ford. Er geht dort auf die Namensgebung für die Figuren ein, das fand ich recht interessant. Hat das noch jemand gelesen?


    Ja, bei mir auch, wir haben die gleiche Ausgabe. Aber ich habe es noch nicht gelesen, nur kurz die erste Seite überflogen. Doch ich werde es noch lesen, heute, die kleine Pause musste sein. Irgendwie hat mich das Buch doch etwas mitgenommen, trotz meiner versuchten Distanz.


    Nö, nach einer alten Leserunde habe ich nicht Ausschau gehalten.

  • Zitat

    Original von Lumos
    Wenn ich eure Beiträge lese, Clare und Lipperin, dann glaube ich, dass ich die Geschichte mit mehr Distanz gelesen habe als ihr. (Das tue ich bei besonders dramatischen Geschichten meistens - aus reinem Selbstschutz ;-)).


    Ich habe das Gefühl, dass ihr euch intensiver vor allem in April hineinfühlen könnt. Sie tut mir zwar Leid, aber auch wenn ich weiß, was sie für eine schrecklich lieblose Kindheit hatte, kann ich mich in ihre Verhaltens- und Denkweisen nicht wirklich hineinfühlen :-(. Der Figur April stehe ich eher ratlos gegenüber. Vielleicht aber auch, weil man wenig über ihre inneren Beweggründe erfährt :gruebel.


    Einer meiner schlimmsten Fehler sei, so der O-Ton von jemandem, der mir einigermaßen nahe steht, dass ich Bücher weniger lese, sondern mehr lebe. Ich schiebe es, soweit möglich, auf das Können des jeweiligen Schriftstellers, dass ich so gefesselt bin... :grin


    Ein Nachwort von Richard Ford gibt es in meiner Ausgabe leider nicht (btb-Taschenbuchausgabe). Hätte ich gewusst, dass so etwas in anderen Büchern zu finden ist, hätte ich eine andere gekauft. Schad.


    Leider kann man die Zeitschrift "Krachkultur 10" von 2004 nicht mehr bekommen, dort ist der Artikel von Stewart O'Nan, in dem er vehement fordert, Yates wieder zu drucken und zu lesen. Das hätte mich sehr interessiert.



    Das unten verlinkte Buch habe ich mir jetzt besorgt und es – allzu dick ist es ja nicht – gleich gelesen. Interessant ist das Leben Yates allemal – und wenn ich mich über den in meinen Augen doch einigermaßen unmäßigen Alkoholkonsum der Protagonisten gewundert habe: Yates war schwerer Trinker. Wiederholt musste er übrigens auch in dem untergebracht werden, was man so nett mit „Anstalt“ bezeichnet; die Beschreibungen, als Ehepaar Givings John abholen will, sind anscheinend aus eigenen Eindrücken resultierend.


    Moritz widmet „Zeiten des Aufruhrs“ viel Raum, es war Yates Debüt und zumindest bei der Kritik und den Kollegen ein Erfolg. Yates kennt auch die Arbeit Franks, er hat für eine Firma gearbeitet und geschrieben, die sich mit Computern befasste. Die Reise von April und Frank nach Europa bzw. Paris haben Yates und seine erste Frau Sheila gemacht – es finden sich immer wieder Parallelen zwischen Leben und Werk, nicht nur in diesem Roman.


    Immer wieder komme ich auf die Frühstücksszene und Aprils Tat zurück. Ich habe diese Kapitel jetzt noch einmal gelesen und ich bin nach wie vor erschüttert. Beim zweiten Lesen fiel mir auf, wie zweideutig April doch Frank gegenüber ihre Erklärung gibt, warum sie ihm so ein gutes Frühstück bereitet: Er brauche das, weil es doch für ihn so ein wichtiger Tag sein wird. Ja, einerseits die Konferenz, andererseits, was nur April weiß, wird er am Abend Witwer sein. Rainer Moritz beschreibt diese Situation folgendermaßen: „April Wheeler hat mit ihrem Leben abgeschlossen“ (Seite 112). Da weiß ich mich mit ihm einig. :wow Ich habe mir versucht vorzustellen, wie das für April war: Die Abtreibung war erfolgreich, sie blutete wie sonstwas (Dichter würden sagen: „das Leben floss aus ihr heraus“ oder ähnlich), sie muss doch Schmerzen gehabt haben, die nicht gerade gering gewesen sein können – und sie räumt auf, putzt die schlimmsten Spuren weg, verschlimmert so ihre Situation. Meine Vorstellungskraft reicht jedenfalls nicht aus, um das wirklich nachspüren zu können.


    Ein Kleines noch habe ich bei Moritz gefunden: 1975 erschien bei Volk und Welt, also in der DDR, ein Buch, das den Titel "Das Jahr der leeren Träume" trug. Schwer vorzustellen, aber ja, es dauerte bis 2002, bis es dann bei DVA unter dem Titel "Zeiten des Aufruhrs" erschien. Wege gibt es manchmal ...


    ---

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Habt ihr gesehen, dass es zu diesem Buch bereits eine Leserunde gab? Ich bin jetzt zu müde, mir alles durchzulesen, aber ich werde morgen auf jeden Fall mal einen Blick reinwerfen.


    Ja, als ich nachschaute, ob es schon eine Rezi zu dem Buch gibt. Dort wird auch auf den Film eingegangen.

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Habt ihr gesehen, dass es zu diesem Buch bereits eine Leserunde gab? Ich bin jetzt zu müde, mir alles durchzulesen, aber ich werde morgen auf jeden Fall mal einen Blick reinwerfen.


    Nein, das habe ich nicht gesehen, und Christine wahrscheinlich auch nicht, bevor sie die LR angemeldet hat.
    Das ist natürlich blöd gelaufen. Das soll eigentlich nicht passieren. Ich hoffe mal, wir kriegen keinen Ärger. :wow
    Also lieber PSSSST! ;-)

  • Ich wollte ja auch auf gar keinen Fall petzen gehen ;-)


    Zitat

    Original von Lipperin Ein Nachwort von Richard Ford gibt es in meiner Ausgabe leider nicht (btb-Taschenbuchausgabe). Hätte ich gewusst, dass so etwas in anderen Büchern zu finden ist, hätte ich eine andere gekauft. Schad.


    Vielleicht doch nicht soooo schade; in der Rezi heißt es, diese Ausgabe hätte schlimme Übersetzungsfehler. Wie die aussehen, wird leider nicht näher beschrieben.


    Zu der Namensgebung schreibt Richard Ford u. a., Mrs. Givings sei die, die niemandem etwas zu geben hätte, Shep sei der typische Hühnerhund (Shepherd) und die Wheelers drehen sich wie ein Rad immer um sich selbst. Desweiteren ist er der Meinung, es handele sich bei dem Buch nicht nur um ein Drama, sondern vielmehr um eine sehr, sehr düstere Satire, und dass sich dieses Ehepaar mehr als verdient hat. Das fand ich ganz schön böse.


    Was mir immer noch im Kopf herumgeht, ist die Art, wie Frank sich bei seinem Benehmen selber beobachtet. Das fand ich sehr merkwürdig. Und wie April sich in ihrer Rolle als anhimmelnde Ehefrau in dieser Zeit gefallen hat.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen


    Vielleicht doch nicht soooo schade; in der Rezi heißt es, diese Ausgabe hätte schlimme Übersetzungsfehler. Wie die aussehen, wird leider nicht näher beschrieben.


    Zu der Namensgebung schreibt Richard Ford u. a., Mrs. Givings sei die, die niemandem etwas zu geben hätte, Shep sei der typische Hühnerhund (Shepherd) und die Wheelers drehen sich wie ein Rad immer um sich selbst. Desweiteren ist er der Meinung, es handele sich bei dem Buch nicht nur um ein Drama, sondern vielmehr um eine sehr, sehr düstere Satire, und dass sich dieses Ehepaar mehr als verdient hat. Das fand ich ganz schön böse.


    Ich lese die Nachworte in solchen Büchern meist nicht, besonders nicht, wenn mich das Buch sehr beschäftigt hat oder mir wirklich gefiel. Ich mag es nicht so, wenn mir jemand das Buch erklärt.


    Zitat

    Was mir immer noch im Kopf herumgeht, ist die Art, wie Frank sich bei seinem Benehmen selber beobachtet. Das fand ich sehr merkwürdig. Und wie April sich in ihrer Rolle als anhimmelnde Ehefrau in dieser Zeit gefallen hat.


    Ich glaube, dass man es sich zu einfach macht, wenn man nur April psychische Probleme zugesteht (nicht dass ich meinen würde, du sähest das so ;-) ). Frank hat auch seine Probleme, an denen er dringend arbeiten müsste. Mich erschreckt besonders seine zunehmende Gefühlskälte. Er tritt für sich selber immer mehr in den Mittelpunkt und bespiegelt sich irgendwann nur noch selber, während er weiter auf seine Frau einredet, bis die jegliche Größe verloren hat und einfach nur noch klein ist.

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Was April auch auf jeden Fall gefehlt hat, war eine echte Freundin, eine, die aus ihrer eigenen Sicht mit ihr auf einer Stufe gestanden hätte. Mit der man die Ehe hätte durchhecheln und vielleicht auf andere Lösungswege hätte kommen können. Aber dieses Buch hat ein Mann geschrieben und in erster Linie geht es ja auch um den Mann.


    Mit April sind wir wohl alle nicht so wirklich warm geworden. Ich hätte mir wirklich vorher schon ein, zwei Kapitel aus ihrer Sicht gewünscht. Das hätte es noch etwas stimmiger gemacht...
    Eine richtige Freundin hat April sicherlich gefehlt. Aber ich bezweifle, dass sie zu dieser Freundin offen und ehrlich gewesen wäre... wenn sie es sich gegenüber schon nicht war. :gruebel


    Die Frühstücks-Szene nach diesem heftigen Streit wirkte sehr gestellt von Seiten Aprils
    Da hatte ich schon damit gerechnet, dass sie sich was antun könnte...
    Ich denke auch, dass sie ihren möglichen Tod bei dem Versuch der Abtreibung mit einkalkuliert hat. Sie schien mir auch nicht mehr sehr am Leben zu hängen, bzw. schien das Leben nichts mehr lebenswertes für sie zu bieten. Leider hat sie dabei überhaupt nicht an ihre Kinder gedacht. :-(


    Tja und Frank? Hat ihn der Tod von April mitgenommen oder hat er sich selbst nur Vorwürfe gemacht, weil er auf ihre "Nettigkeit" beim Frühstück reingefallen ist und er mit der versuchten Abtreibung rechnen musste? Ich zumindest finde nicht, dass er um April trauert...


    Zitat

    Original von killerbinchenZu der Namensgebung schreibt Richard Ford u. a., Mrs. Givings sei die, die niemandem etwas zu geben hätte, Shep sei der typische Hühnerhund (Shepherd) und die Wheelers drehen sich wie ein Rad immer um sich selbst. Desweiteren ist er der Meinung, es handele sich bei dem Buch nicht nur um ein Drama, sondern vielmehr um eine sehr, sehr düstere Satire, und dass sich dieses Ehepaar mehr als verdient hat. Das fand ich ganz schön böse.


    Die Namensgebung scheint mir gut zu passen mit der Erklärung. Ich hab den Roman auch etwas satirisch über das Vorstadtleben der 50iger Jahre aufgefasst: das eigentliche Ziel eines jeden: einen guten Job zu haben, ein schönes Häuschen in der Vorstadt und eine Familie.


    Zitat

    Original von Lipperin


    Einer meiner schlimmsten Fehler sei, so der O-Ton von jemandem, der mir einigermaßen nahe steht, dass ich Bücher weniger lese, sondern mehr lebe. Ich schiebe es, soweit möglich, auf das Können des jeweiligen Schriftstellers, dass ich so gefesselt bin... :grin


    Ich finde es schön, wenn man so voll und ganz in die Geschichte eintauchen kann. Bei mir funktioniert das nur, wenn ich richtig mit einer Person sympatisiere und das war hier nicht der Fall. Was aber nicht heißt, dass mir das Buch nicht gefallen bzw. mich das Buch nicht überzeugt hätte. Ich fand es überraschend gut - aber ich hab es wohl auch eher distanzierter gelesen.
    Vielleicht macht es auch einen Unterschied, ob man selbst verheiratet ist (und wie lange) und ob man selbst Kinder hat. Denn das trifft bei mir beides nicht zu. ;-)


    Zitat

    Original von Clare
    Wieder mal ein Buch, das ich ohne die Querbeet-LR nicht gelesen hätte. Danke!


    :write

  • Zitat

    Original von Sonnschein
    Ich finde es schön, wenn man so voll und ganz in die Geschichte eintauchen kann. Bei mir funktioniert das nur, wenn ich richtig mit einer Person sympatisiere und das war hier nicht der Fall. Was aber nicht heißt, dass mir das Buch nicht gefallen bzw. mich das Buch nicht überzeugt hätte. Ich fand es überraschend gut - aber ich hab es wohl auch eher distanzierter gelesen.Vielleicht macht es auch einen Unterschied, ob man selbst verheiratet ist (und wie lange) und ob man selbst Kinder hat. Denn das trifft bei mir beides nicht zu.


    Willkommen im Ziel :grin.


    Mir geht es ähnlich, was die Identifikationen betrifft.


    Und ja, mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, obwohl es nicht "schön" war, stellenweise schon recht bedrückend.


    Ich bin schon lange verheiratet und hab ein Kind und hab es genauso distanziert gelesen wie du ;-).


    Eine Rezi werde ich wohl nicht schreiben, es gibt schon über 70, glaube ich.
    Ist dann auch nicht nötig, oder? Außer man möchte gerne.