Patrick Flanery: Absolution

  • Patrick Flanery: Absolution
    Deutsche Verlags-Anstalt. 496 Seiten
    ISBN-13: 978-3421045546. 22,99€
    Originaltitel: Absolution
    Übersetzerin: Reinhild Böhnke


    Verlagstext
    Die langen Schatten der Vergangenheit Südafrikas – über Schuld, Wahrheit und Versöhnung
    Der junge Journalist Sam Leroux erhält seinen ersten großen Auftrag: Er soll Clare Wald, betagte Autorin von Weltrang, zu ihrem Leben befragen und ihre Biografie schreiben. Doch die erste Begegnung ist mehr als entmutigend für den jungen Mann, denn die grantige Grande Dame der südafrikanischen Literatur lässt ihn abblitzen, als er vorsichtig seine Fragen platziert. Einige Ereignisse ihres Lebens scheinen für ihn tabu zu sein, Ereignisse von großer politischer Resonanz. Und Sam, der nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder in seiner Heimat Südafrika ist, hat seine eigene Vergangenheit, mit der er sich auseinandersetzen muss – eine Vergangenheit, von der er insgeheim weiß, dass sie mit Clares verbunden ist. »Absolution« lenkt ein Licht auf das Südafrika der Gegenwart und die langen Schatten der Apartheid, auf das flüchtige Wesen von Wahrheit und Selbstwahrnehmung und das Geheimnis des kreativen Schaffens. Ein Debüt von außerordentlicher Kraft und Stärke, das seinem Autor bereits viele Preisnominierungen beschert hat.


    Der Autor
    Patrick Flanery wurde 1975 in Kalifornien geboren und lebt seit Jahren in Großbritannien. Nach einer Promotion an der Universität von Oxford unterrichtete er zunächst in Sheffield Literatur und arbeitet heute in London als Publizist. Sein Interesse gilt der Literatur und dem Filmschaffen Südafrikas. "Absolution", sein erster Roman, wurde vielfach nominiert u. a. für den Guardian First Book Award, den Desmond Elliot Award und den Royal Society of Literature’s Ondaatje Prize.


    Inhalt
    Sam Leroux kehrt nach Jahren im Ausland in seine Heimat Südafrika zurück. Als kaum herausragender Kenner ihres Werks will er eine Biografie über Clare Wald schreiben, die (fiktive) große alte Dame der südafrikanischen Literatur. Für Sam verspricht der Auftrag der entscheidende letzte Schritt auf dem Weg zu einer Professorenstelle zu sein. Clare Wald verhält sich Sam gegenüber abweisend, obwohl ihr bewusst sein müsste, dass ihr nicht mehr viele Zeit bleibt ihren Nachlass zu ordnen. Als Leser ahnt man, dass Claires Erinnerungen besser nicht zu trauen ist. Täuschungsmanöver sind Clares alltägliches Verhalten. Sams biografische Annäherung an die betagte Clare scheint aussichtslos, u. a. weil Clares Sohn Mark die Zusammenarbeit mit Sam verweigert. Die Abweisung Sams durch Clare wirkt umso rätselhafter, je deutlicher sich persönliche Verbindungen zwischen beiden abzeichnen, die bis in die Zeit des Apartheid-Regimes ins Jahr 1988 zurückreichen. Mit ihrem Insidergespräch über Zensur in Diktaturen weichen die Zeitzeugin und ihr Biograf der Auseinandersetzung mit Clares Leben zunächst aus. Lesern, denen die Geschichte Südafrikas noch nicht vertraut ist, wird der Zugang zum Roman durch das Abwehrverhalten beider sehr erschwert. Clares Eltern standen der Opposition gegen das Apartheidssystem nahe; Clares Tochter Laura gehörte der bewaffneten Widerstandsbewegung an. Während andere Autoren ins Exil gingen, arrangierte Clare sich mit dem Regime so weit, dass ihre Bücher weder verboten noch ausdrücklich erwünscht waren. Clare begutachtete damals Manuskripte für die Zensurbehörde, ehe die Texte veröffentlicht werden konnten. Dass aus jener Zeit noch alte Rechnungen zu begleichen sein könnten, liegt nahe.


    In Rückblenden und aus verschiedenen Erzählperspektiven erschließt sich erst ab der Mitte des Buches die bisher verdrängte enge Verbindung zwischen Sam, Clare und deren Tochter Laura. Lauras Schicksal ist noch immer ungeklärt. Clare verfügt über Lauras Tagebücher und spricht in langen Monologen mit ihrer vermissten Tochter. Die Gewalttaten des Apartheid-Regimes und seiner Gegner wirken bis in die Gegenwart hinein noch auf Clare. Deren Träume und Gedanken sind zwischen zwischen Wahn und Wirklichkeit angesiedelt und symbolisieren hinter der nach außen demonstrierten "stiff upper lip" verschwiegene Schuldgefühle und Ängste.


    Fazit
    Den Einstieg in Flanerys beeindruckenden Debütroman fand ich durch Lauras kühle Abweisung ihres kaum weniger spröde wirkenden Biografen unerwartet schwierig. Wären mir die historischen Ereignisse nicht vertraut gewesen, hätte ich den Roman nach ungefähr 150 Seiten vermutlich abgebrochen. Als Lauras und damit auch Sams Schicksal stärker in den Mittelpunkt tritt, entwickelt sich die Handlung zu einer spannenden Spurensuche, während der man als Leser seine Einschätzung der Ereignisse alle paar Seiten neu justieren muss. Für an Südafrika interessierte Leser ein bewegendes Debüt, das durch seine kunstvoll verschachtelten Erzählperspektiven einiges Durchhaltevermögen erfordert.


    8 von 10 Punkten