OT: Het Sluitelkruid 1964
In der kupfernen Burg mitten in den Kupfernen Bergen neigt sich eine tausendjährige Herrschaft ihrem Ende zu. König Mansolin liegt im Sterben. Allerdings ist der König schon nahezu vergessen. Vom einstigen Glanz seines Hofes ist kaum etwas geblieben, seit langem schon bewohnt er die Burg allein. Ein einziger Diener, sein treuer Hase, ist bei ihm geblieben. Nun schlägt das Herz des Königs immer unregelmäßiger. ‚Wie eine schief stehende Uhr‘, sagt sein Arzt. Doch er kennt eine Medizin. Nur wächst das Kraut dafür weit, weit im Norden. Der Arzt ist bereit es zu holen. Aber wird König Mansolin so lange am Leben bleiben?
Eine Möglichkeit gibt es. Wenn der König eine Geschichte hört, schlägt auch sein Herz weiter. Also müssen Geschichten her. Der Leibarzt bricht auf und verspricht, auf seinem langen Weg jeden, den er trifft, um eine Geschichte für Mansolin zu bitten. Tatsächlich klopft es schon am folgenden Abend ans Burgtor. Ein Wolf steht davor und bietet eine Geschichte an.
Er ist nur der Erste einer bunten Reihe von Besuchern, die nach und nach in der Kupferburg eintreffen, keineswegs regelmäßig, aber immer mit einer Geschichte. Währenddessen kämpft sich der Leibarzt durch Schnee und Eis in den wilder werdenden Norden durch …
Diese Buch sprüht vor Einfällen. Nicht nur die Verflechtung von Ausgangsgeschichte, den Beiträgen der Erzähler und die Rahmenhandlung der Suche nach dem Wunderkraut ist feinst ausgetüftelt und umgesetzt. Auch die auftretenden Figuren und ihre Geschichten sind es. Biegel gelingt es, jeder der dreizehn Geschichten einen eigenen Ton zu verleihen. Sie sind raffiniert oder lustig, traurig, niedlich, ein bißchen bieder, abenteuerlich, verrückt. Sie werden gesprochen und gesungen, in Prosa und in Reimen, je nach Charakter und Temperament der Vortragenden. Es tauchen die überraschendsten Gesellen auf, ein Schaf und ein Käfer, etwa, ein Löwe, ein Kaninchen und – ein echter Wurf – ein Hummelchor, der nur Baß singt.
Mit den Besuchern wird auch die Burg bunter. Jeder bekommt einen passenden Schlafplatz zugewiesen und dementsprechend werden Türen aufgeschlossen, zum Stall, von Salons und Sälen, einer märchenhafter ausgestattet als der andere. Nicht vernachlässigt wird auch die Interaktion der wachsende Gruppe der Burgbewohner. Es wird wichtig, wer sie mit wem verträgt, wer sich besser aus dem Weg geht, wer was gerne ißt oder gar nicht mag. Auch hier erwarten eine wunderbare Überraschungen.
Spannend sind nicht nur die einzelnen Geschichten, spannend ist auch die Rahmenhandlung um den Leibarzt, da bis fast zum Ende offen bleibt, ob er den Weg schafft, das Wunderkraut findet und ihm auch noch Zeit für den Rückweg bleibt.
Die letzte Überraschung, die Biegel für eine bereithält, ist die Erkenntnis, daß alle Geschichten auf eine bestimmte Art miteinander zusammenhängen und so zuletzt auch das Geheimnis um König Mansolin und die kupferne Burg gelöst wird. Diese Geschichte wiederum taucht unmerklich hinter all den anderen auf und wächst allmählich in den Mittelpunkt des Interesses hinein, ein beneidenswert gut ausgeführter Kunstgriff, der die beträchtliche Spannung des Ganzen noch um einiges steigert.
Übersetzt wurde es von Lotte Schukal, illustriert von Linde Faas, die sehr beeindruckend eine faszinierende Balance zwischen witzig-putzig und unheimlich-gefährlich hält, den Ton des Buchs also genau trifft.
Eine der schönsten modernen Märchenerzählungen überhaupt, spannend, einfallsreich, lebhaft, voll Liebe und viel Charme erzählt.