Autor: Marcel Jullian
Titel: Das Leben Karls des Großen
(französischer Originaltitel: Charlemagne. Erschienen 1993 bei Flammarion, Paris. Ins Deutsche übersetzt von Gabriele Herbst)
249 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag 1996
Klappentext
Der Lebensroman des großen fränkischen Königs und Kaisers, der als erster Europa geeint und 46 Jahre lang regiert hat.
Dieses Buch schildert nicht nur die historischen Taten, sondern zeigt den Menschen im Umfeld seiner Jagd- und Waffengefährten, seiner Frauen und Kinder, seiner Ratgeber und Gegner.
Zum Autor
(Buchinnenseite): Nach zwanzig Jahren Tätigkeit als Journalist und Verlagslektor wurde Marcel Jullian der erste Intendant des Fernsehsenders »Antenne 2«. Als Drehbuchautor, Bearbeiter, Dialogautor sowohl für den Film als auch für das Fernsehen veröffentlichte er vor allem »Je suis Francois Villon« und »Le Maitre de Hongrie«.
Weitere Informationen über das Leben des inzwischen verstorbenen Autors bei Wikipedia.
Eigene Einschätzung
Ich glaube, ich suche die eierlegende Wollmilchsau.
Dieses Buch ist, mit ganz wenigen Minuspunkten, toll. Wunderbar geschrieben, starke Figuren, bildreiche Sprache, konzentriert aufs Wesentliche, herrlich knapp und präzise. Aber wenn man aus der Erzählung auch etwas über die konkrete Historie der damaligen Zeit lernen will, kann man's nur in die Tonne treten.
Der Autor ist aber so ehrlich, seinen Leser darauf hinzuweisen; sein Erzähler bleibt erfreulich präsent, denkt laut über die Hauptfigur nach, zitiert aus Werken anderer Autoren und zieht Parallelen zu aktuellen Ereignissen. Der Karl, der hier geschildert wird, ist ein hochintelligenter und ansonsten sehr einfach gestrickter Typ. Er mag gutes Essen, Frauen, Jagd und Pferde und hängt mit fast schmerzender Ehrlichkeit an seinen Jugendfreunden. Er ist seiner Umgebung in jeder Hinsicht überlegen und leidet und ergötzt sich gleichermaßen daran. Sein Glaube ist tief und prägt seine Überzeugung, Europa in der Christenheit vereinen zu müssen.
Es war ganz spannend, mal das Werk eines französischen Romanautors zu lesen. Von den reichen Erzähltraditionen, die wie selbstverständlich ins Buch mit eingeflossen sind, den Chansons de geste, den vielen französischen Legenden und Volksmärchen, hatte ich bis dato kaum gehört. Hier sind sie alle versammelt: Roland, Ganelon und Bertrada mit den großen Füßen, gleichberechtigt neben dem »historischen« Personal: Desiderius, Pippin der Bucklige, Widukind. Der Autor zeichnet sie alle mit ganz wenigen Strichen und verleiht ihnen trotzdem Leben und Charakter. Man merkt, daß er vom Film kommt. Die Kulissen, die er baut, die Schnitte, die er setzt, und die Szenen, die er beschreibt, sind großartig. Wenn Widukind und Karl über einen Fluß hinweg verhandeln, auf dem, zum Zeichen des Blutbads von Verden, mehr und mehr grüne Zweige vorbei treiben, jeder Zweig Symbol für einen ermordeten Sachsen, dann ist das ein unglaublich starkes Bild.
Was macht es da schon, daß er an vielen Stellen die historischen Verhältnisse vereinfacht und Personen oder Ereignisse früher oder später ansetzt als sie tatsächlich gelebt beziehungsweise stattgefunden haben, daß das, was er beschreibt, mit der Realität des frühen Mittelalters nichts zu tun hat? - Vergessen wir die Karolingerzeit, das Buch ist toll. Einziger Minuspunkt war für mich die streckenweise extreme Heroisierung Karls. Ein tragischer Heros, ganz in klassisch-griechischer Tradition vermutlich, ein Heros mit vielen dunklen Flecken auf der Weste, aber eben doch mehr als ein Normalsterblicher. Andererseits macht gerade das zum Teil auch die Faszination des Buches aus. Man ist so etwas gar nicht mehr gewohnt ... ein Held, der Held sein darf.
Ich vergebe neun Punkte.