Wenn du den Regen suchst, der kommt von oben – Yahia Belaskri

  • Über das Buch verrät die Rückseite des Buches:
    Das Buch zeichnet ein gallebitteres Porträt von Algerien, das in seinen Details in Europa so kaum bekannt ist. Korruption und Rückständigkeit scheinen allgegenwärtig und unausweichlich. Die Protagonisten trifft – trotz aller Bemühungen – alle ein tragisches Schicksal.
    Dieses Buch eröffnet einen Blick in ihre tristen Lebenswelten, gegen die sie tagtäglich ankämpfen. Wer Algerien verstehen will, kommt an diesem Buch einfach nicht vorbei.


    Über den Autor verrät nämliche Rückseite:
    Yahia Belaskri wurde in Algerien geboren (eine Jahresangabe ist nicht verzeichnet). Er studierte Soziologie, war verantwortlich für das Personalwesen in mehreren algerischen Unternehmen, wechselte dann zum Journalismus. In zahlreichen Artikeln, Essays und Kurzgeschichten thematisiert er die Geschichte von Algerien und Frankreich sowie die widersprüchliche Beziehung der beiden Länder zueinander.


    Die Übersetzung aus dem Französischen besorgte Ursula Günther.



    Meine Meinung:
    Gerade einmal 148 Seiten, der Druck ist großzügig und augenfreundlich. Ein Buch, das ich nicht gesucht habe, das mich dennoch fand und mich mit seiner angesichts der Dramatik der Handlung unprätentiös vorgetragenen Erzählweise mit einer Wucht traf, die mich nicht nur während des Lesens immer wieder tief Luft holen ließ und mehr als nachdenklich stimmte.


    Drei algerische Schicksale werden vor des Lesers Augen ausgebreitet: Déhia, Tochter aus gutem Haus, Universitätsprofessorin, Adel, ärmsten Verhältnissen entstammend, wiß- und lernbegierig arbeitet er sich aus seinen Verhältnissen heraus, Badil, sein Bruder, missbraucht, geschlagen und gedemütigt über Jahre, schreit nach dem Tod wie nach einer Mutter.
    Drei Schicksale, mit denen die der Angehörigen, der Geliebten und Freunde verwoben sind, tragisch auch ihr Geschick: Déhias Mutter und ihr Geliebter Salim werden brutal ermordet, Adels Verlobte stirbt bei einem Bombenattentat, bei dem auch er schwer verletzt wird, die Gruppe der Flüchtlinge, der Badil angehört, findet den Tod im eiskalten Wasser des Mittelmeers.


    Yahia Belaskris Erzählen hat mir besonders an zwei Stellen fast den Boden unter den Füßen weggezogen: Er stellt eine Liebesszene zwischen Déhia und Salim der grausamen Ermordung ihrer Mutter gegenüber, verwebt, verzahnt diese beiden Szenen, getrennt nur durch den kursiven Druck einer der Szenen. Diese Gegenüberstellung, die ja nur die Gleichzeitigkeit der Handlungen zeigt, habe ich dennoch als schwer erträglich empfunden: der Tötungsakt als pervertierter Liebesakt, aus Hingabe (das Wort Liebe möchte ich in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen) an einen Fundamentalismus, der nichts anderes gelten lässt als die eigene Vorstellung von dem, was sein darf und nicht; daneben die Erotik des intimen Moments, den ich übrigens in seiner Schilderung nicht im Mindesten als pornografisch empfunden habe.
    Der zweite Moment, der mich sehr getroffen hat, betrifft Adels Überleben des Bombenattentats, das in seinem Fall (und nur in seinem Fall?) im Augenblick des Gewahrwerdens dessen, was er verlor, fragwürdige Glück des Davongekommenseins, die Schilderung dessen, was dieses Glück nun für ihn ist, der allein bleibt mit seinen „zerbrochenen … Träumen“, mit den „unauslöschlichen Wunden“ (Seite 91).


    Die Momente des Glücks sind rar gesät in dem Buch und für jeden, so erscheint es mir, gilt es zu bezahlen. Zwar scheinen Déhia und Salim dieses Glück in ihrer Ehe zu finden, aber die Möglichkeit des Vergessens haben sie letztlich nicht. Es findet sich immer wieder ein Riss im gedanklichen Mauerwerk, das sie um ihre Vergangenheit zu bauen versuchen, ein Riss, durch den das Unglück, das Leid sich in Erinnerung ruft.


    Yahia Belaskri erzählt von Algerien, der Gesellschaft, dem Kampf Einzelner gegen Korruption und Fundamentalismus, er erzählt von der Armut, von der Angst, vom Sterben der Hoffnung, vom Töten, vom Morden. Mir kam es vor, als wolle er mir klar machen, dass durch die Verhältnisse in seinem Land, wie er sie beschreibt, nicht nur die Zukunft keine Zukunft mehr habe, nicht nur Hoffnung auf Veränderungen zum Besseren, sondern auch Liebe, Respekt und Chancengleichheit kaum eine Chance haben.


    Ein Buch, ich wiederhole mich, das ich nicht gesucht habe. Es fand mich und das war Glück und es war Gewinn.


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  • Sehr, sehr traurig ist die Geschichte des Landes Algerien und auch die Geschichten der Figuren dieses Buches, die einem die Mentalität von Land und Leuten sehr nahe bringen.
    Solch schwere Kost kann ich nur ertragen, wenn es mir selber gerade mal ganz gut geht, was im Urlaub gottseidank der Fall war.


    Dennoch möchte ich es horizont-erweiternd nennen. Man weiß eigentlich viel zu wenig vom Kontinent Afrika, aber bereits nach wenigen Seiten möchte man sich sofort hinsetzen und zumindest mehr über Algerien wissen, bevor man weiterliest.


    Ich kann gar nicht sehr viel mehr schreiben, ausser Danke an Lipperin, die das Buch hier vorgestellt hat und aufgrund deren Rezension ich es mir angeschafft habe.


    8 Punkte möchte ich noch vergeben und eine klare Lese-Empfehlung für alle, die sich für dieses Land interessieren, auch wenn die schönen Seiten, die es vielleicht gibt, hier nicht vorkommen.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Schön, dass Du es hochgeholt hast killerbinchen. Ja Lipperin vermisse ich im Forum, sie hat immer mal außergewöhnliche Bücher vorgestellt. Jetzt habe ich es aber gleich auf meine WL.

  • Das ist schön - das Buch verdient mehr Beachtung. Ist ja nicht gerade Mainstream. Ich musste ganz schön lange warten, bis ich das in die Hände bekommen habe (rebuy).
    Vielleicht bemerkt Lipperin ja, dass ihre vorgestellten Bücher auch von anderen gelesen werden und schaut mal wieder rein. Sie hat so eine besondere, besonnene und schöne Art, ihre Rezensionen zu schreiben.


    Ich würde mich freuen, wenn du deine Eindrücke zu dem Buch hier auch hinterlässt, liebe Findus :wave

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“