Der Inhalt:
Sechs Gespräche einer Enkelin mit ihren Großeltern. Viel will sie wissen: über die Familie, über das Leben in zwei Diktaturen, über die Stellung der beiden bekannten resp. berühmten Schriftsteller zueinander und zu Freunden, ihr gesellschaftliches und politisches Engagement, über Erfolg und Anfeindungen, über Vertrauen und Verlorenes.
Die Autorin:
Jana Simon, geboren 1972, arbeitet als Journalistin und Autorin. Sie lebt in Berlin.
Bezüglich der Gesprächspartner sei auf die Wikipedia-Links verwiesen:
Christa Wolf Klick
Gerhard Wolf Klick
Meine Meinung:
Gebundenes Buch mit Lesebändchen, insgesamt 281 Seiten, beinhaltend: Vorwort, sechs Gespräche aus August 1998, Juli 1999, März (zwei Gespräche) und Mai 2008 und Juli 2012, eine Familienübersicht, wichtige Daten und Veröffentlichungen von Christa und Gerhard Wolf, Anmerkungen und Danksagung.
Um das Buch eine Banderole mit einem Foto der drei Gesprächspartner.
Als 16-jährige, so berichtet Jana Simon in ihrem Vorwort, habe ihre Großmutter ihr ihre Bücher, immerhin elf Bücher, als Weihnachtsgabe geschenkt. Die Jugendliche hat dieses Geschenk nicht sonderlich zu schätzen gewusst, die Bücher verschwanden im Regal und, wie die Autorin sagt, dort blieben sie.
Auf der Rückseite der oben erwähnten Banderole gibt es einen kleinen Gesprächsausschnitt; die Enkelin fragt die Großeltern, wie sie sich sehen würden. Als Antwort bekommt sie zu hören, sie könne es in einem Buch, hier „Er und ich“ nachlesen. Die Erwiderung der Enkelin ist vielsagend und sie beschreibt für mich, eine nach wie vor begeisterte Leserin von Christa Wolfs Büchern, das Problem dieses Buches: Immer müsse sie „alles nachlesen“. Sie wolle es „authentisch“. Was mir dazu in den Sinn kam, war, ganz grob gesprochen: hätte sie gelesen, hätte sie viele Fragen nicht stellen müssen. Authentisch, darauf weist Gerhard Wolf hin, „ist das, was wir schreiben“.
Eine Enkelin befragt also ihre Großeltern, ein „Familienprojekt“ (Seite 11) ist geplant. Wie habt ihrs denn gehalten mit den Nazis, beispielsweise. Und wie mit den Kommunisten. Wie war denn das, als die Großeltern jung waren, als sie sich kennenlernten und ineinander verliebten, als das erste Kind sich ankündigte während des Studiums der beiden. Die Großeltern antworten, sich einander ergänzend, sich überaus selten ins Wort fallend oder sich berichtigend. Sie erzählen von Begeisterung und Anpassung (bei den Nazis), von Flucht, von Ernüchterung, von neuer Begeisterung (jetzt für den Sozialismus/Kommunismus), vom Wunsch, beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung mitzuwirken, von neuerlicher Ernüchterung, von Distanzierung, sie erzählen von Freunden und Kollegen, vom Lavieren in schwierigen politischen Gegebenheiten, vom Dableiben und nicht Fortwollen, vom Gebrauchtwerden und von Vereinnahmung, von Biermann und Günter de Bruyn, von Sarah Kirsch und Honecker, viele und vieles bekommen einen Raum, mal klein, mal ausführlich. Alles lässt sich nicht aufzählen. Einer fragt, einer antwortet, einer ergänzt vielleicht, weil es noch etwas zu sagen gibt. Gespräche eben. Über das Leben zweier, die alt geworden sind, über ihr Leben im geteilten und wiedervereinigten Deutschland.
Gleichwohl würde ich die ersten beiden Gespräche (von 1998 und 1999) eher als Interviews bezeichnen. Mir erschienen sie fast distanziert, einige Antworten gerade von Christa Wolf sind bis ins Wörtliche hinein von mir schon gelesen worden, zumal in den Tagebuchbänden. Fairerweise muss man sagen, dass der erste Band „Ein Tag im Jahr“ erstmals 2003 erschien, dennoch erschien mir dieser Teil fast als Manko, irritierte mich.
Die drei Gespräche von 2008 habe ich als „freier“ empfunden, eben als Gespräche. Ob es nun daran liegt, dass die Gesprächspartner zehn Jahre älter geworden sind, ob daran, dass Jana Simon deutlicher und mehr von sich und ihrem Leben in die Gespräche einbringt, sei dahingestellt, sie erschienen mir in jedem Fall lebendiger, nicht mehr so „buchbezogen“ resp. „textbezogen“ von Seiten Christa Wolfs, es ist nicht nur ein Frage- und Antwort-Spiel, sondern ein Geben und Nehmen. Beispielsweise wenn es um die politische oder eher unpolitische Haltung der jüngeren Generation, repräsentiert durch Jana Simon, geht. Die „Kritik“, die Fragen diesbezüglich der Großeltern erscheinen mir sanft, aber dennoch wird deutlich, wie groß für sie der Unterschied der Generationen ist, wie sehr sie sich um Verständnis bemühen müssen.
Das letzte Gespräch von 2012 findet zwischen Großvater und Enkelin statt; mir erschien es fast als das persönlichste, vielleicht, weil es die verstorbene Großmutter zum großen Teil zum Gegenstand hat. Es weht Trauer durch diesen letzten Teil, Abschiedsstimmung.
„Sei dennoch unverzagt“ habe ich, trotz der Bedenken die ersten beide Gespräche betreffend, nicht ungern gelesen. Es war für mich zum großen Teil wie ein „Wiedersehen“, ein interessierter abermaliger Blick auf das Leben zweier Menschen, die ich, trotz zum Teil gegenteiliger politischer Ansichten nicht nur als Autoren schätze. En detail war auch das eine oder andere Neue zu erfahren. Das Berührendste an dem Buch ist für mich die aus den Worten des Ehepaars Wolf sprechende Nähe der beiden, der große Respekt und die Wertschätzung, die sie füreinander empfinden resp. empfanden. Und trotzdem meinte ich auch immer eine gewisse Distanz wahrzunehmen, nicht zueinander, sondern zu dem jeweils Dritten, eine Distanz, die vielleicht das Leben mit seinen Enttäuschungen, seinen Verletzungen und der Frage, auf wen und was Verlass ist, gefördert, geprägt hat.
Eine Empfehlung sei das Buch: Wenn man die Tagebuchbände nicht gelesen hat, „Kindheitsmuster“ auch nicht oder anderen die Romane, die Essay-Bände, die Reden, schon gar nicht die bewundernswerte Biografie von Jörg Magenau über Christa Wolf, oder sie auch nicht lesen will, dann wird man dieses Interview-Buch mit Gewinn lesen, man erfährt viel über Christa und Gerd Wolf, ihr Leben in der DDR, ihre Ansichten, seien sie politischer, gesellschaftlicher oder kultureller Art.
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Edit möchte noch anfügen, dass ich ein Namensregister als Bereicherung empfunden hätte.
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