Wenn er mich findet, bin ich tot - Elisabeth Rapp, (Thriller, ab 14)

  • Elisabeth Rapp: Wenn er mich findet, bin ich tot, München 2013, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-74001-2, Softcover/Klappenbroschur, 376 Seiten, Format: 21 x 13,2 x 3,8 cm, Buch: EUR 13,95 (D), EUR 14,40 (A), Kindle Edition: EUR 11,99.


    „Ab 2009 war ich in verschiedenen Heimen und psychiatrischen Anstalten. Alle dachten, ich würde unter paranoidem Verfolgungswahn leiden. Ich glaubte es auch, bis Sandra Seiwert erschossen wurde. Da wurde mir klar, dass ich an ihrer Stelle hätte sterben sollen. Ich wusste nur nicht, wieso.“ (Seite 366)


    Tilly Krah ist 14 und hat schon eine Menge hinter sich. Als siebtes von neun Kindern eines alkoholsüchtigen, kriminellen und gewalttätigen Ehepaars hat sie Vernachlässigung, Verwahrlosung und brutale Misshandlung erlebt. Sie war in verschiedenen Heimen und Anstalten und ist jetzt zusammen mit 10 anderen Jugendlichen auf dem Weg zu einer pädagogischen Maßnahme nach Finnland. 14 Wochen lang sollen die Teenager mithelfen, am winterlichen Polarkreis eine Jugendherberge aus Eis zu bauen. Dass nicht einmal die begleitenden Sozialpädagogen Michael Beck und Stefan Tonberg an den Erfolg des Unternehmens glauben, stimmt die Runde nicht fröhlicher.


    Von Anfang an hat die notorische Einzelgängerin und fanatische Läuferin Tilly den Ruf der „Obergestörten“ weg. Ihre häufigen Panikattacken und Ohnmachtsanfälle tragen dazu bei. Sie freundet sich ein wenig mit dem ehrgeizigen Italiener Paolo Motta (16) und dem Frauenhelden und Einbrechertalent Kolja Jäger (15) an. Von Sandra Seiwert (15) wird sie für ihr exotisches Aussehen bewundert und mit der Mangafigur Kagura Tsuchimiya verglichen.


    Bei der erstbesten Gelegenheit färbt sich auch die blonde Sandra ihre Haare schwarz und kopiert Tillys fransige Frisur. Ein fataler Fehler! Denn als sie mit Tillys Skiausrüstung ins Gelände geht, wird sie ermordet! Tilly ist sicher, dass der Anschlag nicht Sandra, sondern ihr galt. Seit vier Jahren führt sie „Panik-Tagebücher“, weil sie Albträume und Angstattacken hat und sich verfolgt fühlt. Und weil sie keinerlei Erinnerung an die Zeit vor ihrer Einschulung hat.


    Drei Jugendliche will Pädagoge Beck nach Beendigung der „Maßnahme“ in sein Haus auf der Schwäbischen Alb aufnehmen. Tilly, Paolo und Kolja werfen all ihren Charme und ihre Überzeugungskraft in die Waagschale, damit seine Wahl auf sie fällt. So kommen sie aufs Land.


    Lernen, laufen lesen – damit beschäftigt sich die eigenbrötlerische Tilly in ihrem neuen Zuhause. In der Bibliothek stößt sie auf Unterlagen, die sie vermuten lassen, dass die Krahs nicht ihre leiblichen Eltern sein können. Wenn sie nicht Tilly Krah ist, wer ist sie dann? Und wenn sie jemand anderes ist, kann dies der Grund dafür sein, dass man sie verfolgt?


    Als sie sich endlich aufrafft, Paolo und Kolja von ihrem Verdacht zu erzählen, tun die beiden das nicht als Hirngespinst der Obergestörten ab sondern fangen an, nach vermissten Kindern zu recherchieren. Dass sie in der Vergangenheit wühlen, bleibt jedoch nicht unbemerkt und stößt manchen Leuten sauer auf. Und mit denen ist nicht zu spaßen ...


    WENN ER MICH FINDET, BIN ICH TOT ist eines der Bücher für Jugendliche, die man auch als Erwachsener am liebsten in einem Rutsch durchlesen würde, weil man unbedingt wissen will, was hinter Tillys Geschichte steckt. Ist sie nur paranoid oder sind sie wirklich hinter ihr her?


    Als längst erwachsener Leser denkt man manchmal: „Kinder, jetzt wird es aber Zeit, dass ihr euren Pädagogen einweiht oder zur Polizei geht!“ Aber die drei trauen keiner Autoritätsperson und sind es gewohnt, ihre Probleme selber zu lösen. Ein bisschen lockt sie auch das Abenteuer. Und so legen sie sich mit Gegnern an, die ihnen haushoch überlegen sind.


    Ein wenig konstruiert ist die Story schon. Wie wahrscheinlich ist die Verkettung solch außergewöhnlicher Umstände? Und wie glaubhaft ist es, dass sich ein Kind, das noch nicht einmal lesen kann, den Code einer Alarmanlage merkt und zehn Jahre später noch weiß? Dass man ihm die heimische Telefonnummer so einbimst, wäre vielleicht noch vorstellbar.


    Und sind die „Proletenkinder“ für ihr Vorleben nicht viel zu gebildet, wortgewandt und reflektiert? Das Problem hat ein Autor wohl immer, wenn er eine Geschichte aus der Sicht eines Menschen erzählt, der eigentlich dumpf und bildungsfern sein müsste. Ein desinteressierter „Asi“ als Ich-Erzähler funktioniert aber nicht. Und so reden die drei Freunde von Dingen, von denen sie gar nichts wissen können. Um „Alma Marter“ kalauern zu können, müsste man wissen, dass es eine Alma Mater gibt. Nicht sehr wahrscheinlich bei drei Straßenkindern, die nur deshalb den Hauptschulabschluss schaffen, weil sie vorher die Prüfungsfragen geklaut haben.


    Die Story ist auf jeden Fall zum Nägelkauen spannend, auch wenn nicht restlos alles (weg)erklärt werden kann. Über zwei Themen hätte man gerne noch mehr gewusst: über Victors Frau und darüber, wem das Herrenhaus und der ganze Plunder jetzt eigentlich gehört ...


    Die Autorin
    Elisabeth Rapp wurde in Stuttgart geboren und war Schauspielerin und Regieassistentin am Schauspielhaus Stuttgart, bevor sie nach Hamburg zog und an der Hochschule für Bildende Künste studierte. Sie arbeitete als Werbetexterin, Grafikerin und Drehbuchautorin, bis sie sich dem Schreiben von Romanen zuwandte. Mittlerweile lebt Elisabeth Rapp mit ihrer Familie in Hamburg und in Berlin.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Hab mir das Buch mal notiert - klingt spannend , wenn auch kurzweilig.



    Ich möchte aber trotzdem - etwas beleidigt - anmerken, das auch wenn man zu der Schicht der sogenannten "Asis" gehört, sprich arm, aus schwierigen Verhältnissen etc., dann ist man nicht automatisch doof und bildungsfern !!!!!!!!! (Ich könnte immer in den Fernseher springen, wenn ich "bildungsferne Schichten" höre usw. )
    Es gibt darunter ebenso Leseratten (ich war/bin eine davon), Leute mit z.B. guten Schulnoten (das einem dann aber ohne das entsprechende Geldbudget keine Chance gelassen wird im Endeffekt mehr daraus zu machen steht - nach meiner am eigenen Leib erfahrenen bitteren Erfahrung nach - auf einem ganz anderen Blatt) und eine Menge Menschen, die garantiert nichts mit einem "Klischee-Asi" ala RTL-Dokusoap oder sonstwas zu tun haben (wollen) und sich sprachlich schon genauso normal äussern können wie Otto-Normal-Verbraucher (nicht wie ein studierter Professor natürlich *lach* aber das passt ja nun zu den meisten Menschen weniger).


    Und nur weil die Kids im Schulbereich nicht auf der Höhe sind, heißt es ja noch nicht das sie sich nicht für sich selber für so einiges interessieren (das was ich mir angelesen habe und was mich interessiert hat, habe ich auf meiner Realschule auch nicht durchgenommen und das meiste da hätte man sich auch schenken können, denn was ich - trotz guter Schulnoten - später gebraucht hätte haben wir nie gehabt und was wir gehabt haben, hat kein Schwein je wissen wollen bzw. konnte man nicht gebrauchen *gg*) .
    Wenn man von Pflegefamilie zu Pflegefamilie oder von Heim zu Heim wandert, ist der Anschluß an die Schule(n) wohl kaum noch zu kriegen und das von-vornherein-verweigern nur allzu verständlich...... wozu sich für den Anschluß ins Zeug legen? Bevor mans packt wandert man eh zur nächsten Pflegestelle weiter und kann von vorne anfangen.... kann ich gut verstehen auch das man definitiv andere ernstere Probleme hat wie die Schule.
    Würde ich jetzt aber nicht als Voraussetzung nehmen das man die Figuren darstellt als wären sie blöde Dumpfbacken ;-).


    Und ja - was "Alma Mater" ist weiß ich auch - auch ohne Gymnasium und trotz Unterschichts-Herkunft


    Nicht böse sein und auch bitte nicht als Anschnauzen oder so auffassen (war nicht meine Absicht) nur das mir das "quer ging" wollte ich kurz erwähnen.


    Ich sage dann Bescheid, wie mir das Buch gefallen hat (wenn ich es denn dann auch gelesen habe)


    Liebe Grüße,
    Melanie

    "We are ka-tet...We are one from many. We have shared our water as we have shared our lives and our quest. If one should fall, that one will not be lost, for we are one and will not forget, even in death."Roland Deschain of Gilead (DT-Saga/King)

  • Ja, da war ich wohl etwas zu verallgemeinernd. Oder ich hätte sie besser "resigniert" nennen sollen.


    Die Romanhelden haben einfach so viel Schreckliches hinter sich, dass sie meines Erachtens viel "kaputter" hätten sein müssen. Dieses Bildungsbürgerliche, das sie an sich haben, hat da einfach nicht gepasst.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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