Inhalt:
Ein Medizinstudent wird während seiner Famulatur in Schwarzach von einem Assis-tenzarzt beauftragt, dessen Bruder, den einstigen Kunstmaler Strauch, zu beobachten. Dieser lebt zurückgezogen in einem verkommenen Gasthaus des abgeschiedenen, düsteren Gebirgsdorfs Weng im Salzburger Land. Von seiner Umwelt wird der Außenseiter für verrückt gehalten. Er selbst wiederum lebt mit dem Gefühl permanenter Bedrohung, fürchtet sich vor dem Weiblichen und menschlichen Ansammlungen. Seine resig-native, depressive Weltsicht teilt er in ausufernden Monologen und Visionen dem Studenten mit, der zunehmend ergriffen wird von der selbstzerstörerischen Gedankenwelt Strauchs. Nach Schwarzach zurückgekehrt, erfährt der Student durch eine Zeitungsnotiz, dass Strauch verschwunden ist und eine Suchaktion wegen der Witterung abgebrochen werden musste.
Der pessimistischen Bewusstseinshaltung des Malers entspricht die Landschaftsschilderung: Statt Bergluft herrscht der Geruch von Fäulnis und Verwesung, der Himmel wird zur Hölle; als Folge des Weltkriegs und der fortschreitenden Technisierung stellt selbst die ländliche Provinz keine Idylle mehr da und so hat sich auch die herkömmliche Heimatliteratur verkehrt.
Aufbau: Der nicht näher charakterisierte Ich-Erzähler schreibt 27 Tage lang über seine Begegnungen und Gespräche mit dem Maler und berichtet davon in sechs Briefen an seinen Auftraggeber. Durch die direkte Wiedergabe der kaum enden wollenden Monologe des Malers dominiert die Perspektive Strauchs.
Der thematisierten Kälte gemäß ist die Sprache reduziert und karg. Die in den Monologen in einzelne, sich wiederholende Worte zerfallenden Sätze demonstrieren den allmählichen körperlichen und geistigen Verfall des Malers.
Wirkung: Neben größtenteils enthusiastischen Rezensionen erhielt Bernhard noch im Erscheinungsjahr einen ersten Literaturpreis für Frost; andere Auszeichnungen folgten, so 1964 der Julius-Campe-Preis und der Bremer Literaturpreis. Die Kritik war überwältigt von der neuen Sprache, der eigenwilligen Form und dem aufwühlenden Inhalt. M. Si.
Eigener Kommentar
Ebenso wie im "Theatermacher" erweist sich Thomas Bernhard in seinem Roman "Frost" als Meister, die (Atem-)Beklemmung der österreichischen Provinz in sprachliche Bilder zu bannen. Der Konflikt zwischen Natur und Kunst zieht sich in den Schilderungen des Malers Strauchs wie ein roter Faden durch die labyrinthischen Wälder und geheimnisvollen Hohlwege, die der todgeweihte Strauch nichtsahnend mit dem von seinem Bruder beauftragten "Observator", einem angehenden Arzt, durchstreift. Strauch, ein Künstler, der absolute Dunkelheit in seinem Atelier braucht, um malen zu können und trotz tiefsitzender Misanthrophie allergrößtes Vertrauen für seinen Observator aufbringt. Nicht unerwähnt bleiben auch die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der Nachrkiegszeit, die in diesen Wäldern den Tod gefunden haben (namenlose russische Soldaten, einheimische Kinder, die durch verborgene Granaten getötet wurden.)
Ganz nebenbei ein "Fleischskandal" im Wenger Gasthof, dem der Ich-Erzähler auf die Spur kommt. Zeitlos aktuell.
Genre: auf irgendeine Art ein Nachkriegsroman, insofern zwangsfläufig auch "Anti-Heimatroman"
Persönlicher Leseeindruck
Da ich "Frost" in einem Zug auslesen konnte und mich die Naturschilderungen in die Natur hinausgetrieben haben, kann ich diesen Roman nur wärmstens empfehlen (im Gegensatz zu "Holzfällen"). Wer die strengen Winter in St. Johann im Pongau so wie ich erlitten hat, der weiss, wovon Bernhard hier teilweise autobiographisch schreibt, (obwohl der Romangroßteils im oberösterreichischen Weng spielt) erkennt darin ein Loblied auf die segensreiche Erfindung der Zentralheizung.
Beurteilung: 5 Sterne