Stephen King in Hamburg (20. November 2013)

  • Nachdem ich als 13-Jährige "Es" regelrecht verschlungen hatte, war ich so begeistert, dass ich mir sämtliche in unserer Stadtbibliothek verfügbare Werke von Stephen King unbedingt ausleihen musste. Über die Jahre hat diese Begeisterung nur wenig nachgelassen.
    Dementsprechend gespannt war ich auf die Veranstaltung mit Stephen King am 20.11. im Congress Center Hamburg.


    Da King sich trotz seiner langen Karriere zum ersten Mal auf Lesereise in Deutschland befand, lag die Frage nahe, weshalb das deutsche Publikum so viele Jahre auf einen Besuch warten musste. Er antwortete, es sei ihm unangenehm, die Sprache des Publikums nicht zu sprechen. An Deutschland möge er sehr, dass man hier fast alles mit Schlagsahne bestellen könnte.


    Stephen King witzelte ein wenig über die deutschen Titel seiner Bücher, besonders darüber, dass aus "Bag Of Bones" "Sara" wurde. "Doctor Sleep" sei aber eine gelungene Übersetzung. Auch "Es" hielte er wegen des gruseligen Klanges für einen passenden Titel. Im Laufe des Abends machte King sich einen Spaß daraus, ab und zu "es" ins Mikrophon zu zischen.


    Er las den Beginn seines neuen Romans, "Doctor Sleep". Dan Torrance, der kleine Junge aus "Shining", ist mittlerweile erwachsen und nutzt seine übersinnlichen Fähigkeiten, um Sterbenden den letzten Schritt zu erleichtern. Laut King war eine Inspiration für diese Rolle der Kater Oscar, der in einem amerikanischen Altenheim lebt und der es spürt, wenn der Tod eines Bewohners bevorsteht.
    King zog Parallelen zwischen Jack Torrance, Dans alkoholabhängigem Vater; Dan, der sein eigenes Suchtproblem mithilfe der Anonymen Alkoholiker zu bekämpfen beginnt, und seiner persönlichen Vergangenheit, in der er selbst diesen Kampf aufnehmen musste.


    Obwohl das Publikum dem Autor merkbar wohlgesinnt war und der Moderator der Lesung, Ingo Zamperoni, anmerkte, dass Stephen King – er zeigte sich sehr redegewandt und humorvoll - auch einen guten Comedian abgeben würde, war dieser besonders zu Beginn der Veranstaltung deutlich angespannt und von der Menschenmenge eingeschüchtert. Seiner sympathischen Ausstrahlung tat das aber keinen Abbruch.


    Ingo Zamperoni stand natürlich in Stephen Kings Schatten, nichtsdestotrotz kam auch er gut bei den Besuchern der Lesung an. Sein Englisch war gut verständlich, allerdings fiel mir auf, dass er nicht immer exakt übersetzte und zusammenfasste.


    Auch David Nathan, der Sprecher des Hörbuchs zu "Doctor Sleep", las eine Passage, während der ganze Saal gebannt lauschte. King zeigte sich sehr beeindruckt, und das sicher nicht nur aus Höflichkeit.


    Zum Schluss durften drei Zuschauer eine Frage an Stephen King richten. Auf die Frage, welche der Verfilmungen seiner Romane er für die beste halte, antwortete er leider nur sehr ausweichend.
    Vermutlich wegen seines Lampenfiebers hatte King es eilig, die Bühne zu verlassen; er zeigte sich trotzdem vom Applaus gerührt.


    Insgesamt ein unvergesslicher Abend, der nach ungefähr anderthalb Stunden leider viel zu schnell zu Ende ging.
    Noch einmal vielen Dank an die Büchereule und den Heyne-Verlag, die mir dieses schöne Erlebnis ermöglicht haben!


    EDIT: Mein Bericht ist leider nicht so ausführlich wie der sehr schön geschriebene von Nachtgedanken, ich hoffe, das ist okay so. Es liegt unter anderem daran, dass ich ottifanta nicht allzu viel vorwegnehmen wollte. Gegebenenfalls kann ich später noch ein bisschen ergänzen. :wave

    An apple a day keeps the doctor away - if well aimed.

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  • Den Berichten von Motte und Nachtgedanken gibt es eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen, hier trotzdem noch mein Bericht:



    Die Veranstaltung in Hamburg (Lesung ist nicht so passend, weil deutlich mehr gesprochen und erzählt wurde, als gelesen) begann gegen zehn nach acht, um 20:00 Uhr strömten noch zahlreiche Zuhörer in den Saal und die Anzahl der Fotografen vor der Bühne wuchs ins Zweireihige an.


    Zuerst betrat der Moderator Ingo Zamperoni die Bühne, erzählte ein wenig über Stephen King, dass er selbst wohl nie einen solchen Applaus bekommen würde und bat darum, dass nur am Anfang kurz Fotos gemacht würden, damit nicht die ganze Veranstaltung durch Blitzlichter gestört würde. Die Hauptspreche der Veranstaltung werden Englisch sein, wobei er sich bemühen werden, möglichst alles auf Deutsch zu übersetzen. (Ingo Zamperoni gab später wirklich fast alles auf Deutsch wieder und sprach ein ausgezeichnetes Englisch.)


    Dann betrat King mit "I love Hamburg" die Bühne und bekam direkt Standing Ovations. Er posierte kurz für die Fotografen, auch mit seinem neuen Buch "Doctor Sleep" und dem Kommentar "Remember, they make beautiful Christmas presents, you could buy two or three." ("Denkt dran, sie sind schöne Weihnachtsgeschenke. Ihr könntet gleich zwei oder drei kaufen.")


    Ähnlich humorvoll ging es weiter, auch wenn Stephen King sichtbar angespannt war. Er fühle sich ein wenig wie jemand von den Backstreet Boys, wenn er sehe, wie viele Menschen seinetwegen gekommen waren. Dabei lebe er als Schriftsteller eher zurückgezogen, würde alleine in einem kleinen Raum schreiben. Es sei eine demütig machende Erfahrung, mit so vielen seiner Leser in einem Raum zu sein. (Bemerkenswert auch, dass King immer von Lesern sprach oder Menschen, nie von "Fans".)


    Außerdem spreche er keine Fremdsprachen, auch das halte ihn vom Reisen ab. Wobei er offensichtlich einiges gelernt hatte, denn er möge es, dass in Deutschland "everything is mit Schlag", Sahne möge er sehr gerne und auch das französische "fou" (Narr, Irre, Verrückter) hatte er im Verkehrschaos von Paris gelernt. Dagegen käme ihm der Verkehr in New York direkt entspannt vor.


    Deutschland sei ein Land der Dichter und Denker mit einer langen Tradition von Gruselgeschichten. Die Kinder hier würden durch Grimms Märchen schon früh an Horrorgeschichten gewöhnt. Ihm persönlich gefalle z.B. Rotkäppchen, doch leider hätten seine Kinder lieber Comics gemocht, Hulk und Spiderman.


    King beobachtet mit Interesse, wie Buchtitel beim Übersetzen verändert werden. Heyne neige sehr stark zu Ein-Wort-Titeln und er merkte mit einem Augenzwinkern an, dass vermutlich nur durch ein Wunder aus "Doctor Sleep" hier nicht einfach "Sleep" geworden sei.


    Er habe nie geplant, eine Fortsetzung zu "Shining" zu schreiben, doch einer der Vorteile der fantastischen Literatur wäre, dass Figuren nie wirklich sterben müssten. Über manche seiner Figuren würde er auch noch lange nach dem Ende eines Buchs nachdenken. Insbesondere das mögliche Schicksal von Danny Torrance habe ihn immer wieder beschäftigt und er sei auch von Lesern immer wieder auf Danny Torrance angesprochen worden. Allerdings geht Stephen King davon aus, dass viele Leser von "Doctor Sleep" enttäuscht sein werden. Wer mit 14 "Shining" las, mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke, war leicht zu erschrecken als jemand, der jetzt 20-30 Jahre älter ist.


    Jetzt eine Fortsetzung zu schreiben, war eine Herausforderung, die ihm jedoch auch Spaß machte. Er konnte wieder Kontakt zu den Figuren aufnehmen, so als ob er alte Freunde wieder treffen würden. Das habe ihm gezeigt, wie wundervoll das Leben eines Autors ist. Andere würden viel Geld für Psychiater bezahlen, weil andere Menschen in ihrem Kopf leben - er selbst hingegen werde dafür bezahlt, über die Menschen in seinem Kopf zu schreiben.


    Das Thema Tod interessiert ihn sehr, weil es eine Erfahrung ist, die wir alle machen müssen, jedoch vorher praktisch nichts darüber erfahren können. Berichte über Nahtod-Erfahrungen zweifelt er als nicht zuverlässig an. Er wünscht sich, dass der Tod zu allen als Freund kommen könne, so wie eine Katze in einem ihm bekannten Altersheim. Jene Katze lebt dort und geht irgendwie immer zu den Sterbenden, wo sie von diesen als Freund empfangen wird.


    Sehr humorvoll und selbstironisch ging es dann weiter, mit einem bösen Augenzwinkern. Denn auch wenn Stephen King allen Menschen einen angenehmen Tod wünscht, so wisse man ja nicht, was einen wirklich erwarte. Vielleicht hätte ja jemand vor Aufregung wegen der Lesung heute Abend vergessen, die Haustür abzuschließen und somit Einbrecher angelockt. Diese würden übrigens immer im Bad hinter dem Duschvorhang lauern. Oder jemand hätte die Autotür nicht abschlossen und würde später erschrecken, wenn im Rückspiegel plötzlich eine Hand von hinten erscheint….


    Er selbst habe Angst vor dem Sterben, aber weitaus weniger als z.B. im Alter von 24, als er den Tod praktisch täglich herausforderte - mit einer großen Harley und ohne Helm, jedoch mehr Lebensjahren vor ihm lagen als heute. 130 sei sein Wunschalter, was gemischt zwischen Spaß und Ernst rüberkam. Aber wenn er jetzt sterben würde, könne niemand über all das unerfüllte Potenzial klagen. Er hasse es, dass Curt Cobain, Janis Joplin, Jim Morrison und einige andere viel zu früh starben. Nach seinem Unfall 1999 habe er fast mit dem Schreiben aufgehört, heute sei er entschlossen, so lange zu schreiben, wie er Spaß daran hat.


    Sein Freund John Irving schreibe stets zuerst den letzen Satz, Stephen King hingegen wisse nie, wo die Geschichte genau enden wird und genieße es, zuzuschauen, wie die Handlung und Figuren sich entwickeln. Er habe zwar eine vage Idee über den Ausgang, würde jedoch eher in der gleichen Nachbarschaft als im gleichen Haus landen.


    Stephen King las eine Anfangspassage aus "Doctor Sleep" von seinem iPad, sichtlich froh, dass das Gerät problemlos funktioniert. Im Anschluss folgte David Nathan mit einem sehr lebendigen und fesselnden Vortrag einer anderen Passage und wurde von Stephen King mit dem Worten verabschiedet "Was that a tremendous reading or what". ("War das nicht eine herausragende Lesung.")


    Die von David Nathan gelesene Szene war nicht im ursprünglichen Manuskript, sondern geht auf einen Vorschlag seines Sohns Joe Hill zurück, die Hauptfigur auf ihrem absoluten Tiefpunkt zu zeigen. Aufgrund seiner eigenen durchwachsenen Lebenserfahrungen konnte Stephen King eine solche Szene sehr überzeugend schreiben. Jack Torrance versuchte nie, Hilfe von außen gegen seinen Alkoholismus zu bekommen. Indem er Danny auch diese Familienkrankheit verpasste, habe er auch etwas über die Arbeit der Anonymen Alkoholiker zeigen können. Neben dem Alkoholismus sei auch Familie ein wichtiges Thema in "Shining" und "Doctor Sleep".
    Danny habe außerhalb eine starke Vaterfigur gefunden, als ihm klar wurde, dass sein eigener Vater gefährlich ist und seine Mutter ihn nicht im Griff hatte.


    Seine Ideen würden plötzlich auftauchen, wie ein Blitz. Stephen King beobachtet gerne andere Menschen, so z.B. auch im Taxi, wo er in Paris eine böse Idee hatte über einen Mann, der eigentlich offiziell in Los Angeles ist, jedoch tatsächlich in New York im Taxi beobachtet, wie im Nachbarfahrzeug ein im unbekannter Mann einer Frau die Kehle durchschneidet. Was könne dieser Mann nun tun, ohne dass seine Ehefrau erfährt, wo er wirklich ist….
    In der Regel denke er sich das übelste Schicksal für seine Figuren aus und würde dann seine Leser daran teilhaben lassen, wobei er versucht, die Hauptfiguren so zu gestalten, dass die Leser sich Sorgen um sie machen und ihnen gerne wieder begegnen möchten. Wenn er Figuren wieder auftauchen lässt, dann auch um sie in Gefahr zu bringen.


    Bei der Arbeit an "Es" habe er nach etwas gesucht, wovor Kinder sich fürchten und sei auf Clowns gekommen. Tatsächlich habe er dann selbst während des Schreibprozesses Albträume gehabt. (Über den deutschen Titel "Es" machte er sich ein wenig lustig, denn dieser ist seiner Ansicht nach schon akustisch gruselig: "Esssssss" mit bösem Grinsen.) Auf die Frage, ob er sich angesichts seines Humor auch eine Laufbahn als Standup Comedian hätte vorstellen können, kam die offensichtlich ernst gemeinte Antwort, dass sei auf keinen Fall möglich, er hätte früher vor solchen Auftritten wochen- und monatelang nicht schlafen können.


    Zum Schluss durften noch drei Fragen aus dem Publikum gestellt werden:


    Eine Autorin mit dem Vornamen Annika fragte, ob Stephen King sich von Anfang an bewusst gewesen sei, dass er Andere zum Schreiben inspirieren würde? Sie selbst habe von Kind an seine Bücher gerne gelesen und jetzt sei ihr erstes Buch erschienen.
    Nein, damit habe er nie gerechnet. Ganz im Gegenteil sei er seiner Frau sehr dankbar, dass sie sein erstes Manuskript wieder aus dem Papierkorb zog. Er habe eine solche Begabung gar nicht verdient, sei froh um seine Familie, die ihn immer wieder unterstütze.


    Warum er Figuren aus einem Werk in einem anderen auftauchen lasse?
    Diese Idee habe er in seinen 20ern gehabt. Damals sei die Welt für ihn wie eine Auster gewesen, alles schien möglich und er wollte aus seinen Geschichten und Figuren einen Teppich weben, alle in einer Welt verbinden.


    Welches seine Lieblingsverfilmung sei?
    Stephen King war sichtlich genervt von dieser Frage, reagierte extrem diplomatisch. Bei den filmischen Umsetzungen habe er großes Glück gehabt, großartige Regisseure, so z.B. bei "The Green Mile" und "The Shawshank Redemption".
    Dies wollte Ingo Zamperoni jedoch nicht so stehenlassen, er habe gehört, dass Stephen King die Umsetzung von "Shining" nicht gerade gut gefallen habe. Dies bestätigte der Autor mit eindeutiger Gestik und ließ die Worte "I did not say anything, right?" folgen. ("Ich habe nichts gesagt, richtig?")


    Damit ging ein beeindruckender Abend zu Ende, bei dem King vor seinem fast fluchtartigen Verlassen der Bühne noch eine letzte Kostprobe seines schwarzen Humors gab. Auf Zamperonis Aussage, wir hätten während der Veranstaltung mehr Spaß als Angst gehabt, konterte King, Menschen seien in Gruppen nicht so leicht zu erschrecken, wir sollten nur warten, bis er uns einzeln vor sich hätte….


    PS Es gab immer wieder Szenenapplaus, bei der Nennung berühmter Werke und Filme, sowie auch für besonders humorvolle und bewegende Aussagen, was Stephen King sichtlich bewegte. Verabschiedet wurde er wieder mit Standing Ovations, schüttelte noch einige Hände und verschwand dann.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

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