'Betty Blue' - Kapitel 01 - 09

  • Oh, noch niemand?


    Ich habe den Abschnitt noch nicht beendet, sondern bin gerade noch in Kapitel 4 unterwegs, aber ich mache schon mal ein paar Bemerkungen.


    Was ich bisher gelesen habe, überrascht mich mit frischem Ton und so einer ganz besonderen Art. Weil ich mich im Vorfeld nicht vorbereitet habe, wusste ich nicht, was mich erwartet würde.
    Irgendwie fühle ich mich an Salinger erinnert, kann das aber nicht konkret festmachen. Mir kommt der Stil bisher recht amerikanisch vor.


    Der Ich-Erzähler ist ein Typ, der seine Intelligenz, die er, wie aus seinen Gesprächen mit Betty erkennt, zweifellos in ordentlichem Umfang besitzt, brach liegen lässt und in einem Wohnpark als Hausmeister arbeitet. Er gibt sich zufrieden, will seine Ruhe. Über sich selber denkt er:
    "Mir schien es, als hätte ich die perfekt Bilanz zwischen Leben und Tod gefunden, als hätte ich die einzig gescheite Beschäftigung überhaupt gefunden." (Zitat Kapitel 1, Seite 7, TB Diogenes Verlag)


    Betty ist lebenshungrig und exaltiert, und sie beginnt fast sofort nach ihrem Einzug bei ihm sein Leben umzukrempeln.


    Nun muss ich aber erstmal weiter lesen.

  • Nun bin ich mit den ersten 10 Kapiteln schon durch, kann aber überhaupt noch nicht sagen, ob mir das Buch gefällt. An die eher ordinäre Sprache muss(te) ich mich erst gewöhnen, ist etwas her, dass ich so was gelesen hab.


    Die Figuren erinnern mich an zwei Bücher, die zwar jünger sind als Betty Blue, aber ich habe sie natürlich vor diesem hier gelesen:


    an Elsa aus Elsa ungeheuer (aber noch durchgeknallter)
    & Stormur aus Sturmerprobt (nur nicht ganz so faul)


    Bin gespannt, was Betty noch so alles aus dem Kasten holt, bzw. auf demselbigen hat.
    Und natürlich, ob da tatsächlich noch ein Buch verlegt wird. Denn die Geschichte wurde für mich ab dem Punkt an erst spannend, als Betty die Hefte fand.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Ich bin ein wenig beeinträchtigt, eine arge Erkältung hat mich erwischt und so komme ich nicht so schnell vorwärts.
    Das Buch ist inzwischen immerhin fast 30 Jahre alt. Bei den ersten Seiten ist mir ein französischer Hit aus dem Jahr 1985 eingefallen - Jean Jacques Goldman: Je marche seul, eingefallen.
    Eine Zeile lautet, man kann sie sicher noch schöner übersetzen: " Wie ein driftendes Schiff, ohne Ziel und Beweggrund......gehe ich in der Stadt, ganz allein und anonym."
    Das passt doch ganz gut auf unseren Erzähler, außer, dass er sich in der Stadt gerade nicht wohlfühlt.


    Findet ihr die Sprache ordinär? Es ist Alltagssprache, keine besonders gebildete Umgebung, mir kommt sie ganz normal vor.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Findet ihr die Sprache ordinär? Es ist Alltagssprache, keine besonders gebildete Umgebung, mir kommt sie ganz normal vor.


    Nein, ich finde die Sprache angemessen, insbesondere wenn man bedenkt, dass die meisten ordinären Wörter (sowiet sie denn vorkommen) der Erzähler nur denkt, aber nicht ausspricht.



    Am Erzähler fällt mir eine gewisse Passivität auf. Er ist mit seinem kleinen Hausmeisterjob anscheinend zufrieden, solange nicht zu viel von ihm verlangt wird. Er protestiert selbst gegen den Malerauftrag seines Vermieters nicht.
    Von selber regt er sich nicht. So ist es Betty, die aktiv wird und bei ihm einzieht. Darüber ist er froh und zufrieden mit seinem Topf voll Chili, seinem Bier und seiner Betty.


    Das deutet schon an, wie sich das Verhältnis der beiden gestalten wird. Der Erzähler zurückhaltend und beobachtend, Betty hingegen aktiv, aber schutzbedürftig. Die Gemütslage des Erzählers bestimmt stark den Ton des Buches.

  • Ich habe den ersten Abschnitt etwa zur Hälfte gelesen.


    Bis jetzt gefällt mir das Buch gut.
    Ich bin sehr gespannt wie sich diese Beziehung weiterentwickeln wird. Es knistert schon die ganze Zeit und ich habe das Gefühl, dass eine regelrechte Explosion bevorsteht.


    Um die Sprache angemessen zu beurteilen, habe ich noch keinen ausreichenden Eindruck.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Clare
    Irgendwie fühle ich mich an Salinger erinnert, kann das aber nicht konkret festmachen. Mir kommt der Stil bisher recht amerikanisch vor.


    Es heißt, dass Djian stark von amerikanischen Autoren beeinflusst ist,
    Wikipedia sagt:

    Zitat

    Djians literarische Vorbilder sind Richard Brautigan, Henry Miller, Jack Kerouac und Jerome David Salinger. Er stellt sich bewusst in die Tradition moderner amerikanischer Literatur


    Betty Blue ist ja auch ein Zitat von Richard Brautigan vorgestellt.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Eine Zeile lautet, man kann sie sicher noch schöner übersetzen: " Wie ein driftendes Schiff, ohne Ziel und Beweggrund......gehe ich in der Stadt, ganz allein und anonym."
    .


    Danke für das Zitat. Das finde ich sehr passend!

  • Ich habe den ersten Abschnitt heute beendet und muss sagen, dass es mich absolut fasziniert.


    Auch mir kommt er vor wie ein Pragmatiker, der sich in seinem Leben eingerichtet hat, auch mit den unangenehmen Aspekten, sprich seinem Chef ;-).
    Aber nun lässt er sein Leben von Betty komplett durcheinander wirbeln. Dass sie den Bungalow kurzerhand abgefackelt hat, damit er seinen Hintern endlich hochkriegt war schon krass :grin.


    Ordinär würde ich die Sprache nicht unbedingt nenne, vielleicht einen Hauch, vor allem aber ziemlich direkt und unverblümt.
    Weder mit den Personen und ihren Gedankengängen, noch mit der Handlung kann ich mich in irgendeiner Form identifizieren und doch gefällt mir die Geschichte richtig gut. Ein bisschen schräg und abgedreht das Ganze, aber echt interessant.


    Auch sprachlich gibt es ein paar tolle Stellen. Z. B. S. 86 "Manchmal streute mir das Leben eine Handvoll pures Gold in die Augen" oder S. 91 " Die Verbindung von Wasser und Feuer, die ideale Kombination, um in Rauch aufzugehen" :anbet.
    Grinsen musste ich auch S. 63. Sie kommen in der Stadt an, nicht wirklich "sein" Ding, und dann denkt er " Betty quasselte in einem fort. Sie kam mir vor wie ein Fisch, den man wieder ins Wasser geworfen hatte,...." - echt ein köstlicher Vergleich!
    Auch der Gegensatz zwischen solchen sprachlichen "Perlen" und den eher derben Passagen macht das Lesen für mich zu einem Vergnügen.


    Betty fährt total auf "ihn" (hat er eigentlich einen Namen?) als Schriftsteller ab, ein Klempner ist ihr zu profan ;-). Er fühlt sich dadurch ziemlich unter Druck gesetzt. Ich glaube, das Leben als Klempner sagt seiner pragmatischen Ader mehr zu.


    Das Thema seines Buches ist nach wie vor ein Geheimnis, oder? Hat einer von euch eine Ahnung? Ausgenommen Herr Palomar, du kennst es ja schon ;-).


    Den Auftritt in der Pizzeria fand ich reichlich bizarr :wow.

  • Dass das Buch und damit auch der Autor so berühmt wurde, liegt wahrscheinlich zum Teil auch an der ´bekannten und anerkannten, oscarnominierten Verfilmung von Jean-Jacques Beineix, obwohl es einige Unterschiede zwischen Film und Vorlage gibt.
    Ich mag sowohl Buch als auch Film, Beatrice Dalle hat die Figur der Betty kongenial (um dieses abgedroschene Wort mal wieder zu nutzen) dargestellt. Selbst das Filmposter mit ihr zu dem Film ist preisgekrönt.


    Es gibt von der DVD einen Directors Cut, der 1 Stunde länger geht als der Kinofiln. Den würde ich zu gerne mal sehen. Leider exorbitant teuer! :-(

  • Nun, ich meinte ordinär eher im herkömmlichen Sinne, nämlich "schlicht".
    Und dieses "haste kannste willste musste" sowie auf jeder 2. Seite das Wort "Scheiße" ist für mich keine Alltagssprache, also jedenfalls reden wir hier oben im Norden nicht wirklich so. In anderen Dialektsphären mag das anders sein :wave


    Die beiden ergänzen sich wirklich ganz gut: Betty lebt ihre Gefühle aus und "ich" beschützt sie (vor sich selbst anscheinend vor allem). Vielleicht kommt Betty mit ihren Eskapaden irgendwann in den Knast oder gerät an den Falschen; ein Magengeschwür hingegen bleibt ihr vermutlich erspart.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Nun, ich meinte ordinär eher im herkömmlichen Sinne, nämlich "schlicht".
    Und dieses "haste kannste willste musste" sowie auf jeder 2. Seite das Wort "Scheiße" ist für mich keine Alltagssprache, also jedenfalls reden wir hier oben im Norden nicht wirklich so. In anderen Dialektsphären mag das anders sein :wave


    Stimmt. Und im Allgemeinen ist es keine "Schriftsprache", deshalb wirkt es etwas befremdlich. Ich musste mich auch erst daran gewöhnen ;-).

  • Es liegt natürlich auch an der Erzählperspektive, dass die Sprache nicht immer "gehobenen Ansprüchen" genügt. Der namenlose Erzähler lässt uns sozusagen ungefiltert an seinen Gedanken teilhaben und ich verwende in meinen Gedanken auch gelegentlich Ausdrücke, die ich nicht laut aussprechen würde.
    Es gab ja schon in diesen ersten Kapiteln einige Szenen, die zeigen, dass Betty auch einige problematische Seiten hat. Sie kommt mir manchmal vor wie ein Stier, dem man lange genug das berühmte rote Tuch vor die Nase gehalten hat.


    Edit hat gerade überflüssiges entfernt....

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Es liegt natürlich auch an der Erzählperspektive, dass die Sprache nicht immer "gehobenen Ansprüchen" genügt. Der namenlose Erzähler lässt uns sozusagen ungefiltert an seinen Gedanken teilhaben und ich verwende in meinen Gedanken auch gelegentlich Ausdrücke, die ich nicht laut aussprechen würde.


    Ich bin immer noch der Meinung, dass der Ich-Erzähler etwas verbirgt. Vielleicht eine intellektuelle Vergangenheit? Mal schauen.
    Immerhin finden sich etliche Heftchen mit Selbstgeschriebenem bei ihm. Wann hat er das geschrieben? Ist das lange her? Erselbst meint ja über sich, dass er sich nicht in diesen Job zurückgezogen hat, um zu schreiben, sondern um seine Ruhe zu haben, nicht zu viel und nicht zu wenig, genau wie er es sich vorstellt.


    Zitat

    Es gab ja schon in diesen ersten Kapiteln einige Szenen, die zeigen, dass Betty auch einige problematische Seiten hat. Sie kommt mir manchmal vor wie ein Stier, dem man lange genug das berühmte rote Tuch vor die Nase gehalten hat....


    Für mich ist Betty eine Getriebene, eine Frau, die sich vom Leben benachteiligt fühlt, mit geringer Bildung, aber ausgestattet mit einem ansprechenden Äußeren und willens, Kapital daraus zu schlagen, wenn auch nicht um den Preis der Selbstaufgabe, denn den Nachstellungen ihres ehemaligen Chefs gibt sie immerhin nicht nach.


    Als sie plötzlich mitbekommt, dass sie mit einem potenziellen Schriftsteller zusammen ist, ändert das alles, so als wären auf einmal alle Türen offen und alle Wege möglich, als werte das sie selbst auch auf.
    Und sie ist radikal.
    Dass sie die Hütte anzündet und mit ihrem Freud im Schlepptau verschwindet, empfand ich recht radikale Lösung.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar


    Es heißt, dass Djian stark von amerikanischen Autoren beeinflusst ist,


    Dann hatte ich ja das richtige Gefühl.


    Mal etwas Anderes:
    Wird genau gesagt, wo der Roman spielt?
    Ich habe nämlich schon überlegt, ob ich das überlesen habe.
    Vielleicht ist bei mir deshalb auch der Eindruck so stark, dass die Geschichte in Amerika spielt. :gruebel

  • Ich habe auch noch keinen ausdrücklichen Hinweis gefunden.
    Letztlich kann es so ziemlich überall sein. Dieser Hauch von Hoffnungslosigkeit und fehlender Zukunftsperspektive hat aber auch für mich etwas sehr amerikanisches.
    Für Betty sind diese vollgeschriebenen Hefte eine Art Versprechen für die Zukunft, die Szene mit der Freundin, die an diesen reichen Schnösel geraten ist, zeigt ja deutlich, dass sie auch auf eine andere Zukunft hofft und diese soll mit einer gewissen materiellen Verbesserung verbunden sein.


    Das Abfackeln der Hütte und auch schon die Szene mit dem Besitzer dieser herrlichen Bungalowanlage sprechen für eine Art Kontrollverlust.

  • Zitat

    Original von Clare
    Mal etwas Anderes:Wird genau gesagt, wo der Roman spielt?Ich habe nämlich schon überlegt, ob ich das überlesen habe.


    Keine Ahnung! Ich habe mich das auch schon gefragt. Wird wohl so sein wie Herr Palomar vermutet. Wobei ich die Formulierung "nicht verortet" noch nie gehört habe :wow.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Dieser Hauch von Hoffnungslosigkeit und fehlender Zukunftsperspektive hat aber auch für mich etwas sehr amerikanisches.


    :write
    Mich hat es irgendwie an James Dean und seine Filme erinnert. Auch wenn das zeitlich nicht ganz passt.


    Zitat

    Das Abfackeln der Hütte und auch schon die Szene mit dem Besitzer dieser herrlichen Bungalowanlage sprechen für eine Art Kontrollverlust.


    Auch Bettys Aussetzer in der Pizzeria spricht dafür. Das bleiben sicher nicht die Einzigen.

  • Ich bin jetzt auch durch und ich habe das Buch ein paar Mal weglegen müssen, weil die schwermütige Stimmung mich fast erdrückt.
    Mich erinnert der Schreibstil sehr an Henry Miller.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin