'Trapez' - Seiten 297 - 440

  • Hauptthemen des Buches sind die Entwicklung eines begabten jugendlichen Artisten, der rein juristisch Kinderarbeit leistet, seine homosexuelle Beziehung zu einem sieben Jahre älteren Mann, zu dem ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das Thema "Salto Mortale" und evtl. noch die wirtschaftliche Entwicklung wandernder Zirkusunternehmen.


    Ungefähr in der Mitte des Buches kam ich nicht mehr so recht voran, weil die beiden Hauptthemen allein nicht genug Zugkraft hatten und mir eine Entwicklung der beiden Hauptpersonen fehlte. Eine offen gelebte homosexuelle Beziehung der beiden Männer ist in weite Ferne gerückt und das innere Feuer beider Männer, den dreifachen Salto zu wagen, bleibt im Buch eher Nebensache. Interessant finde ich die Sicht eines älteren Familienmitglieds, Mario wäre zu jung schon zu erfolgreich gewesen und hätte nun keine lohnenden Ziele mehr. Da scheint gegen die natürliche Ordnung verstoßen worden zu sein, dass alles seine Zeit hat und der Nachwuchs nicht fähiger sein darf als der Ausbilder.


    Durch Angelos Ausscheiden wird erst deutlich, wie empfindlich das Familiengefüge zuvor schon war und dass Angelo 25 Jahre seines Lebens für die Idee seines Vaters geopfert hat, den er nicht im Stich lassen wollte. Die Frage was Angelo sich erträumt hätte war offenbar nicht zulässig. An diesem Punkt hat mich die Geschichte wieder eingefangen; denn der Gedanke daran, wer seit Generationen was für die Familieninteressen geopfert hat, holt die Nebenfiguren wieder ins Rampenlicht, z. B. auch die Rolle der Frauen in dieser Dynastie.

  • Ich bin zwar mit dem Abschnitt noch nicht ganz durch, aber mich stört kolossal das Verhalten Marios Tommy gegenüber.


    Er ist doch der Erwachsene und hat sich Tommy genähert auch wenn dieser bereitwillig dabei war.
    Nun verlangt er aber von ihm Disziplin, er soll sich verstellen, jedes Wort wird gleich als verdächtig angesehn auch wenn es garnicht so klingt.
    Sicher benimmt sich Tommy nicht wie ein Kind, da sagt er ja auch seinen Eltern oder Angelo. Aber dass seine Gefühlswelt total durcheinander ist, er nicht weiß wieer damit umgehn soll, da müsste Mario mehr Verstädnis aufbringen, auch wenn er die Beziehung verbergen will.

  • Für mich reduzieren sich "Liebe", Familie und Arbeit hier auf die Frage, warum Mario einen 10 Jahre jüngeren Jugendlichen nicht als (be-)schützenswertes Kind sehen kann, sondern sich die Illusion einer gleichberechtigten Beziehung konstruiert. Der nächste Schritt: was hat sich die Autorin dabei gedacht, Homosexualität mit Pädophilie zu verknüpfen und warum hat sich in den 80ern offenbar kein Leser daran gestört?

  • Zitat

    Original von Buchdoktor
    was hat sich die Autorin dabei gedacht, Homosexualität mit Pädophilie zu verknüpfen und warum hat sich in den 80ern offenbar kein Leser daran gestört?


    Das ist wirklich erstaunlich. Zeigt das an, dass damals die Öffentlichkeit dem Missbrauchsthema gegenüber noch überhaupt nicht sensibilisiert war? Haben die Leser die Konstellation erwachsener Mann - Teenager nicht in Verbindung gebracht mit Pädophilie? Sehen die Menschen das heute anders? Oder ist für viele Missbrauch von Kindern nach wie vor auf untere Altersränge reduziert und hört dann auf, sobald sich sexuelles Interesse bei Kindern entwickelt?

  • Im Team arbeitet Tommy wie ein Erwachsener, mit Arbeitsvertrag und Gehalt, das könnte die Illusion der Gleichberechtigung Erwachsener stützen. Mario ist sich jedoch bewusst, dass er gegen Gesetze verstößt und verdrängt seine "College-Geschichte". Möglich, dass Leser vor 30 Jahren jede Art von Sexualität als Befreiuung von den bisherigen rigiden Moralvorstellungen gesehen haben. Eine gefühlvolle Liebesgeschichte wäre "Trapez" für mich auch damals nicht gewesen. Tommy fühlt sich zwar von Mario angezogen, könnte in dem Abhängigkeitsverhältnis aber keine Grenzen setzen, wenn er sich z. B. nicht sicher wäre, ob er überhaupt jetzt schon eine Beziehung will. Auch vor 30 Jahren kannten Leser aus kritischen Medienberichten Fälle von Missbrauch Jugendlicher durch Ausbilder und dürften das Verhältnis Mario/Tommy nicht als normal gesehen haben.

  • Es kommt in dem Buch einfach nicht so daher, das man auf Pädophilie tippen würde.
    Ich habe Tommy beim lesen nie als Kind gesehn und es erschien mir jedes Mal seltsam, wenn Angelo oder Tony die "Kinder" erwähnte.
    Er benimmt sich von Anfang an sehr erwachsen, was sicher auch das Zirkusleben und die Aufgaben, die sie von klein an zu bewältigen haben, mit sich bringen.
    In anderen Kulturen und/oder zu früheren Zeiten wurden Kinder mit 2 Jahren verheiratet und sobald die Mädchen geschlechtsreif waren wurde die Ehe vollzogen.
    Die Betrachtung der Sexualität, der Wandel und die Sensiblisierung im Hinblick auf Pädophilie kam erst mit den letzten Jahren.