Ohne Moos nix los...
Zugegeben, mein Titel mag etwas flapsig erscheinen. Doch das liegt daran, dass ich dieses Buch so schwer fassen kann. Auch nach der Lektüre! Ich war vorher skeptisch, weil Elizabeth Gilbert bisher noch keinen "richtigen" Roman geschrieben hatte, sondern "nur" über sich selbst. ( "Eat, Pray, Love" kenne ich. ) Und dann auch noch ein Historischer Roman - und gleich 700 Seiten...! Meine Skepsis ist indessen geblieben. Ich habe den Eindruck, die Autorin versucht, durch schiere Fabulierfreude und Seitenzahl so manchen inhaltlichen und stilistischen Mangel wettzumachen. Ob man das nun mag, bleibt jedem Leser selber überlassen. Bei mir reicht es für 3 relativ ratlose Sterne.
Ist es wirklich ein Historischer Roman? Hier fangen schon meine Schwierigkeiten an. Meine Antwort ist ein sehr gedehntes "Jein". Ein Historischer Roman sollte eine Epoche ganz und gar widerspiegeln, er sollte zeigen, dass die Geschichte so und nicht anders erzählt werden musste. Er sollte um der ganzen Zeit willen erzählt werden. Bei Liz Gilbert habe ich so meine Zweifel, was dies betrifft. Im Wesentlichen hat sie die Geschichte einer starken Frau geschrieben, die aber genauso in jeder anderen Zeit hätte spielen können. Sie hat sich meiner Ansicht nach sehr in ihre Hauptfigur Alma Whittaker verbissen (und sich selbst auch ein wenig in ihr gespiegelt). Das 19. Jahrhundert und seine Umstände scheinen nur eine recht willfährige Hintergrundfolie zu sein. Besonders in den Dialogen und persönlichen Verwicklungen zwischen den Figuren gibt es ungeheure Längen, die mich oft haben ungeduldig werden lassen. Und es erschien mir sehr "gewollt", dass dann zeittypische Umwälzungen wie die Abschaffung der Sklaverei und die Darwinsche Evolutionstheorie eingebaut wurden - es schien fast, als sollte dies dem Buch seine Rechtfertigung verleihen.
Alma ist Wissenschaftlerin, Botanikerin, Moosforscherin. Hm! Die Begründung hierfür erscheint mir dünn. Sicher, sie wuchs in einem stark an Wissen orientierten Haushalt auf, und ihr Vater handelte mit Pflanzen. Aber wie sie zu den Moosen kam, wird auf einer einzigen gefühlten Seite abgehandelt. Und auch später reichen mir die wissenschaftlichen Hintergründe nicht wirklich aus. Alle Schilderungen diesbezüglich schwanken zwischen netter Plauderei und Lexikoneintrag. Mir ist außerdem schleierhaft, was die Illustrationen in dem Buch sollten. Sicher, es sind nette Zeichnungen von Pflanzen. Aber sie stehen in keinerlei (!) inhaltlichem Zusammenhang mit dem jeweiligen Kapitel, sind also - schön, aber nutzlos. Sehr schade. Das grenzt für mich an Augenwischerei.
Und auch der Verlauf des Handlungsfadens hat mich oft nicht überzeugt. "Spannungsbogen" möchte ich es nicht nennen! Die ersten zwei großen Abschnitte hätte man, meiner Ansicht nach, weglassen können. Im ersten geht es um die Lebensgeschichte von Almas Vater. Nett, aber - zuviel. Ich brauchte das nicht, um Alma zu verstehen. Und im zweiten geht es auch nicht um eine "Handlung" im eigentlichen Sinne, sondern um Almas Kindheit in diversen, ausgedehnten Schnappschüssen. Hier etabliert sich ein Schreibstil, der sich auch in den späteren Kapiteln mit Handlung leider nicht mehr verliert: Der Handlungsfaden mäandert oft vor sich hin, kommt vom sprichwörtlichen Hölzchen aufs Stöckchen. Immer, wenn man denkt, "nun ginge es aber endlich los", springt die Autorin zu einem weiteren - oft unwichtigen - Detail, und walzt es aus. Recht frustrierend! Recht oft gibt es auch Zeitsprünge, die sich mir logisch nicht erschlossen haben. Mitten im Buch fehlen zum Beispiel 26 (!) Jahre. Und am Ende von Almas Leben wird ebenfalls gerafft, was das Zeug hält. Sorry, für mich ist das ein zu billiges Mittel.
Der ganze Tonfall der Erzählweise von Elizabeth Gilbert hat mir Rätsel aufgegeben. Eigentlich müsste ich in die Originalfassung schauen, um das abschließend zu beurteilen. Auf Deutsch jedenfalls kommt ein eigenartiger Mischmasch aus historisierender Sprache und auktorialen Einschüben heraus. Die Sprache schien oft sehr gestelzt ("indessen", " allein, sie hatte...."). Und oft mischte sich die Autorin in die Beschreibungen ein, und ich fragte mich, was das sollte. "Das ist nicht weiter von Interesse". "Alma wusste noch nicht, dass...". "Wollte sie nun dies, oder jenes? Wir wissen es nicht." Diese Einschübe passen in einen humoristischen Roman à la Laurence Sterne oder Henry Fielding, aber hier...? Mir ist im Ganzen einfach nicht klar, welche Haltung die Autorin zu ihren eigenen Figuren einnimmt. Sie schildert sie mit einer Mischung aus Naivität und Verirrungen, die ich oft nicht nachvollziehen konnte.
Noch so ein Punkt - diese ganzen Schicksalsschläge in Almas Leben. Vieles wirkte sehr gewollt, und aus meiner Sicht allzu leicht durchschaubar. Natürlich stimmte etwas nicht mit dem Mann, den sie schließlich geheiratet hat. Als aufmerksamer Leser konnte man den "Grund" allerdings schon kilometerweit vorher erahnen! Die Entfremdung von der eigenen Adoptivschwester, die verrückte Freundin Retta Snow, der Aufenthalt auf Tahiti - das alles wirkte wie ein wenig ungelenk aus einem viktorianischen Schmöker adaptiert. Zu viel gewollt, zu wenig wirklich gekonnt. Nicht zuletzt hat mich auch die Rolle der Sexualität im Buch ein wenig befremdet. Die Beschreibungen waren oft sehr schlüpfrig-süßlich, was es für mich nicht gebraucht hätte.
Tja, es werden drei Sterne, aber wie gesagt eher aus Ratlosigkeit. Ein "geschlossenes Ganzes" ergibt das Buch für mich jedoch nicht. Ich habe immer weiter gelesen, was allerdings eher daran lag, dass allein Alma als Figur das Ganze zusammengehalten hat. Das Buch ist für mich eine Versuchsanordnung, die sich um einen Charakter rankt, der vom Erzählstil her eher in die heutige Zeit passt. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt - wäre das Buch ebenso bejubelt (und überhaupt veröffentlicht) worden, wenn nicht der Name "Elizabeth Gilbert" auf dem Umschläge stünde? Das darf man wohl bezweifeln.