Mit knapp 15 Jahren habe ich vor mehr als zwanzig Jahren „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gelesen. Schon damals war es diese Mischung aus Erschütterung und Faszination, die mich wie gebannt an die Erzählungen der jungen Fixerin Christiane F. fesselten. Wie sehr hätte ich Christiane F. damals gewünscht, dass der Entzug bei ihrer Oma in Kaltenkirchen tatsächlich einen Schlusspunkt unter ihre Drogenkarriere setzt und sie ihr weiteres Leben clean und glücklich gestalten kann. Dass dem leider nicht so war, konnte man der Presse immer mal wieder entnehmen, wenngleich mein Eindruck schon vor Erscheinen ihres zweiten Buches so war, dass Christiane F. mit öffentlichen Auftritten und Interviews sehr zurückhaltend umgeht und man nur recht wenige Möglichkeiten hatte, mehr über ihre Vita nach „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ zu erfahren. Als ich gehört habe, dass sich Christiane V. Felscherinow dazu entschlossen hat, ihre Biographie zu veröffentlichen, war für mich sofort klar, dass ich diese unter anderem auch deshalb lesen würde, um die Geschichte der Kinder vom Bahnhof Zoo auch für mich persönlich zu einem Abschluss bringen zu können.
Nach der Lektüre fällt mir als erstes ein, dass „Christiane F. – Mein zweites Leben“ zu den wenigen Büchern gehört, die mich während des Lesens zum Weinen gebracht haben. Schon zu Beginn wird deutlich, dass Christiane für ihre Drogensucht einen hohen Preis bezahlt und mit ihren 51 Jahren gesundheitlich fast am Ende ist. In kurzen Kapiteln berichtet sie mit der Autorin Sonja Vukovic über die Stationen ihres Lebens, vor allem nach Erscheinen des Buches „Wie Kinder vom Bahnhof Zoo“. Der Erzählstil in „Christiane F. –Mein zweites Leben“ ist dabei dem vom Vorgängerbuch so ähnlich, dass man den Eindruck bekommen könnte Christiane F. hätte die Geschichte nicht mit einer Pause von mehr als 30 Jahren, sondern in einem Rutsch erzählt. Auch in ihrem neuen Buch konnte ich nicht anders als ebenso entsetzt wie gebannt ihren Erzählungen zu folgen.
Christiane F. beschreibt, wie sich ihr Leben nach dem Erscheinen des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und der anschließenden Verfilmung verändert hat. Dass sie dabei immer wieder erwähnt, zu welchen gesellschaftlichen Kreisen sie durch das Buch und den Film Zugang bekam und wie ihr Leben auch von einigen Prominenten mitgeprägt wurde, empfand ich nicht als störend oder langweilig. Für mich wurde stattdessen gerade dadurch umso deutlicher, dass sie trotz allem Geld und Ruhm ihrem früheren Leben nicht davonlaufen konnte. Christiane F. verzichtet in ihrer Biographie weitgehend auf Schuldzuweisungen. Sie reflektiert ihr bisheriges Leben durchaus selbstkritisch, wodurch die Authentizität der Erzählungen noch verstärkt wurde.
Besonders traurig haben mich die Passagen gemacht, in denen Christiane F. von Begegnungen mit Menschen erzählt, denen sie als Mensch sehr wichtig war, die ihr helfen wollten und an sie geglaubt haben, deren Vertrauen aber letztendlich durch die Sucht häufig zerstört wurde.
Immer wieder wird die Biographie durch Sachkapitel von Sonja Vukovic unterbrochen, in denen auch viel auf die aktuelle Situation von Drogensüchtigen in Deutschland eingegangen wird.
Durch ihren hohen Bekanntheitsgrad und die vielen Menschen, die sich auch heute noch mit ihr identifizieren, gelingt es Christiane Felscherinow auch mit ihrem zweiten Buch wieder, einer Randgruppe Gehör zu verschaffen, die sonst leider allzu häufig von der Gesellschaft vergessen wird.
Abschließend möchte ich einen Satz aus dem Klappentext zitieren, der für mich die Sache auf den Punkt bringt. Es ist „Eine Begegnung mit einer Gesellschaft, die den Rausch auslebt, aber den Süchtigen verachtet“.
Edit: ISBN eingefügt und Rezi in die Biographie-Rubrik verschoben. LG JaneDoe