'Doktor Schiwago' - 2. Buch - Die Eberesche bis Das Haus mit den Standbildern

  • 6. Teil: Von „Die Eberesche“ Kapitel 1 bis „Das Haus mit den Standbildern“ Kapitel 18

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die Eberesche


    Mir gefiel das Bild, das Pasternak hier verwendet, das des biegsamen Bäumchens, das nährt und widersteht und auf seinem Berggipfel wächst, der so etwas ist wie ein Altar der Natur. Die Zeiten gehen an ihr vorbei, und wenn sich der Rauch gelegt hat, ist sie immer noch da.
    Die Eberesche kommt in diesem Kapitel immer wieder mal vor in verschiedenen Zusammenhängen, als Stück Heimat, auch als Nahrung für Jurij, der immer noch gefangen ist. Es mangelt an allem, was auch viel mit Desorganisation zu tun hat, aber oft auch einfach nur mit Not.
    Am Ende wird Lara für ihn auch zur Eberesche in ihrer schlanken und doch kräftigen Gestalt, wie sie dem Wind trotzt...


    Interessantes Beispiel das Wiederanschieben der Schwarzbrennerei, um Alkohol für medizinische Zwecke zu gewinnen, wo doch vorher das Schwarzbrennen unterbunden wurde, damit die Genossen Partisanen nicht die ganze Zeit besoffen sind. Wird schon viel getrunken bei den Russen und verwandten, benachbarten Volksgruppen. Na, bei der Kälte im Winter...


    Nicht so recht verstanden habe ich die Vision, Weissagung, Phantasie im 7. Kapitel von "Eberesche". Jurij scheint sie auch nicht zu verstehen, obwohl er dabei fast in Verzückung gerät. Ich meine die Geschichte mit der Frau/Lara, der die linke Schulter geöffnet wird, aus der vielerlei herausströmt. Die Symbolik erschließt sich mit momentan nicht.


    "Das Haus mit den Standbildern"


    Zu Anfang des Kapitels bekommen wir wieder einen Einblick in die Verhältnisse. Es wurde schnell erschossen zu der Zeit, schnell misstraut und wenig gefragt.
    Jurij ist entkommen, und er ist ganz unten angekommen, körperlich und gesundheitlich und seelisch.
    Er schlägt sich in Laras frühere Wohnung durch und wartet da, ja, auf wen und was...Auf Lara, von der er sich ganz sicher ist, dass sie kommen wird, irgendwann.


    Die Bewohner der Stadt sind findig und flexibel, machen alles oder haben schon alles gemacht und gesehen.
    Deutlich wird in diesem Abschnitt die Desorganisation. Nirgendwo gibt es zu essen, und die Gegenden, wo es etwas gab, wurden ausgepresst zugunsten der großen Städte wie Moskau. So kam es, dass es auch auf dem fruchtbaren Land nichts mehr zu essen gab.
    Herkunft wurde gefährlich. Das begreift nun endlich auch Jurij, der mir diesbezüglich bisher immer etwas blauäugig vorkam. Nun hat er es gegriffen, denn ihm wird offen misstraut.


    Schließlich wollen Lara und Jurij flüchten. Da erreicht Jurij ein verschollener Brief von Tonja, zu der er ja auch irgendwie zurück will. Sie sind ausgewiesen worden, die ganze Familie.

  • Die Eberesche


    Dieses Lagerleben beschrieben zu bekommen, finde ich einigermaßen interessant. Ein kleiner Kosmos für sich, aber trotzdem funktioniert es hier wie in der „großen Welt“. Warum auch nicht? Und warum auch sollte man hier Verschwörer nicht foltern, nicht hinrichten? Wenn es doch mehr oder weniger mittlerweile an der Tagesordnung war? Na ja, gut, es war wohl für die Partisanen noch überlebenswichtiger als für Rote oder Weiße, mit denen, die ihnen aus den eigenen Reihen Übles wollten, … was auch immer.
    Die Auflösungserscheinungen lassen sich aber weder verschweigen noch verhindern. Und die seelischen Nöte werden immer offenbarer, ob nun bei Pamfil Palých, der zum Mörder wird, oder bei Liberij, der sich die Gegebenheiten so zurecht legt, dass es für ihn „passt“.
    Sehr interessant fand ich auch die Darstellung des „Volksglaubens“, dargestellt in und durch die Kubarícha. Was sich da alles vermischt und vermengt...


    Und aufschlussreich, dass Jurij Lara im Sinn hat (Seite 419, 420 „Oh, wie sehr er sie liebte“), für Tonja tut es mir fast ein bisschen weh, wie ausschließlich er hier denkt/träumt. Aber vielleicht muss man das auch unter dem Aspekt „aus den Augen ...“ sehen. Die Szene ist wahrlich ein wenig rätselhaft. Jurij scheint in Lara (für einen Moment?) die Frau aus der Sage zu sehen. Wer ist die Frau? Mutter Natur oder Mütterchen Russland? Lara hat kein „Maß Gerste“ und keine „Honigwabe“ zu bieten, nur ihre Geheimnisse, die sich nun offenbaren. „Fremde Städte, fremde Straßenzüge, fremde Häuser, fremde Welten“ werden aufgezählt, aber nicht: „fremde Länder“. Was verkörpert Lara für Jurij? - Nicht nur die geliebte Frau, vielleicht in diesem Moment auch wirklich sein Land mit der Vielzahl der Städte, der Straßen, der Häuser und auch der anderen Regionen, die für einen Städter vielleicht wirklich wie eine andere, „fremde Welt“ erscheint? Ich weiß es nicht anders oder besser auszudrücken, aber ich habe das Gefühl, in Lara liebt Jurij auch Russland, Lara ist für ihn die russische Frau. Mit der manche – er – Mitleid haben, die andere nur ausnutzen, um ihr Inneres, ihr „Geheimnis“ offenzulegen. Die Frau, das Land, das sind immer die, die geben, denen genommen wird, wie oft mit Gewalt.


    Jurij flieht, überraschend einfach.



    Das Haus mit den Standbildern


    Erstaunlich oder auch nicht, dass in neuen Regierungsformen, besonders wenn sie diktatorisch daherkommen, den Menschen sofort gedroht wird, Anordnungen haben sie zu befolgen, und wehe nicht, dann... Von Mut zusprechen, von den gemeinsamen Aufgaben, die nun zu bewältigen sind, vom Miteinander, das nun andere Konturen und Regeln bekommt, bessere womöglich … keine Spur. Aber die neuen Herren müssen halt sofort klar machen, wer das Sagen hat, wer die Macht über Leben und Tod. Jurijs Überlegung, aus welchem Jahr sie wohl stammen (Seite 435), bedarf im Grunde keiner Antwort. Es sind immer die gleichen Formeln. Vieles, was auf diesen Seiten seiner Ankunft steht, erscheint mir realistisch, vielleicht für manchen Geschmack zu realistisch. Wahrheit ist nicht immer allzu verträglich, besonders für den, der sie sagt. „Die Menschen sind eben auf den Geschmack gekommen!“ (Seite 441). Vernichtender kann ein Urteil über die Zustände, die Brutalisierung, die Gewalt wohl nicht lauten.


    Jurij erfährt, wo seine Familie ist. Mit Lara ist er wieder vereint. Für beide ist die Situation nicht gerade rosig. Verräterisch Laras Antwort auf Jurijs Frage, ob sie ihren Mann liebe: „Aber ich bin doch mit ihm verheiratet, er ist mein Mann...“. Die Eifersucht gibt Jurij Fragen und Worte ein, gipfeln schließlich in "... um das Geschehene abzuwenden, wenn es für dich tatsächlich ein Schmerz war.“ (Seite 455, 456). Man redet ja immerhin nicht über ihre Ehe, über irgendein Erlebnis in ihrem Leben, sondern über das für mich sie prägende Moment, nämlich die Verführung durch Komarovskj. Also ehrlich, ich darf dann wohl mal stellvertretend für Lara Empörung äußern. Aber letztlich bleibt wieder einmal das Erstaunen über die Hellsichtigkeit Jurijs „... der dich mir irgendwann einmal wegnehmen wird...“ (Seite 458).


    Auch in diesen beiden Kapiteln immer wieder Worte, Gedanken, Szenen, die jedem linientreuen Zensoren ins Auge springen müssen. Deutlich wird für mich aber auch wieder einmal, warum die sogenannte Intelligenz bei Diktatoren so verhasst ist. Eigenständiges Denken, Hinterfragen ist nicht erwünscht, wer weiß schon, was da gedanklich „aufgedeckt“ werden kann. Und Menschen ohne Bildung ließen und lassen sich viel besser regieren. „Aber die Menschen, besonders solche wie Antipov oder Tiversín sind jetzt furchtbarer als Wölfe.“ (Seite 467). Solche brauchte es eben mehr als Denker.


    Tonjas Brief ist herzzerreißend. „Das ganze Unglück ist, dass ich dich liebe, du aber liebst mich nicht.“ (Seite 475). Darauf läuft Tonjas Unglück letztlich hinaus. Und nicht nur Tonjas.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Die Eberesche
    ...
    Und aufschlussreich, dass Jurij Lara im Sinn hat (Seite 419, 420 „Oh, wie sehr er sie liebte“), für Tonja tut es mir fast ein bisschen weh, wie ausschließlich er hier denkt/träumt. Aber vielleicht muss man das auch unter dem Aspekt „aus den Augen ...“ sehen. Die Szene ist wahrlich ein wenig rätselhaft. Jurij scheint in Lara (für einen Moment?) die Frau aus der Sage zu sehen. Wer ist die Frau? Mutter Natur oder Mütterchen Russland? Lara hat kein „Maß Gerste“ und keine „Honigwabe“ zu bieten, nur ihre Geheimnisse, die sich nun offenbaren. „Fremde Städte, fremde Straßenzüge, fremde Häuser, fremde Welten“ werden aufgezählt, aber nicht: „fremde Länder“. Was verkörpert Lara für Jurij? - Nicht nur die geliebte Frau, vielleicht in diesem Moment auch wirklich sein Land mit der Vielzahl der Städte, der Straßen, der Häuser und auch der anderen Regionen, die für einen Städter vielleicht wirklich wie eine andere, „fremde Welt“ erscheint? Ich weiß es nicht anders oder besser auszudrücken, aber ich habe das Gefühl, in Lara liebt Jurij auch Russland, Lara ist für ihn die russische Frau. Mit der manche – er – Mitleid haben, die andere nur ausnutzen, um ihr Inneres, ihr „Geheimnis“ offenzulegen. Die Frau, das Land, das sind immer die, die geben, denen genommen wird, wie oft mit Gewalt.


    So in der Art würde ich es auch deuten. Wirklich eine Deutung zu finden, wäre mir dann doch etwas nebulös, denn die Szene strotzt vor Symbolik.


    Zitat

    Jurij flieht, überraschend einfach.


    Das fand ich auch. Es wurde vorher geschrieben, dass es mehrere Versuche seinerseits gab zu fliehen. Dass es dann so plötzlich gelingt, fand ich auch überraschend.


    Zitat

    Das Haus mit den Standbildern
    ...
    Auch in diesen beiden Kapiteln immer wieder Worte, Gedanken, Szenen, die jedem linientreuen Zensoren ins Auge springen müssen. Deutlich wird für mich aber auch wieder einmal, warum die sogenannte Intelligenz bei Diktatoren so verhasst ist. Eigenständiges Denken, Hinterfragen ist nicht erwünscht, wer weiß schon, was da gedanklich „aufgedeckt“ werden kann. Und Menschen ohne Bildung ließen und lassen sich viel besser regieren. „Aber die Menschen, besonders solche wie Antipov oder Tiversín sind jetzt furchtbarer als Wölfe.“ (Seite 467). Solche brauchte es eben mehr als Denker.


    Mir stellt sich die Frage, ob Pasternak wirklich provozieren wollte damit. Er konnte wohl nicht anders als schreiben, was aus ihm heraus musste. Wenn man diesen Roman so insgesamt betrachtet, so gibt es viele Stellen, die Anstoß erregt haben könnten, die eine Wirklichkeit spiegelten, die die Machthaber irgendwann nicht mehr unter die Nase gerieben haben wollten.


    Zitat

    Tonjas Brief ist herzzerreißend. „Das ganze Unglück ist, dass ich dich liebe, du aber liebst mich nicht.“ (Seite 475). Darauf läuft Tonjas Unglück letztlich hinaus. Und nicht nur Tonjas.


    Darin liegt wahrscheinlich die wirkliche Tragik dieses Buches.

  • Zitat

    Original von Clare


    So in der Art würde ich es auch deuten. Wirklich eine Deutung zu finden, wäre mir dann doch etwas nebulös, denn die Szene strotzt vor Symbolik.


    Was müsste man dazu nicht alles kennen, die ganze russische Sagenwelt quasi, Volksgut und -lied und wer weiß was noch alles. Ein Thema für Spezialisten, scheint mir.



    Zitat

    Mir stellt sich die Frage, ob Pasternak wirklich provozieren wollte damit. Er konnte wohl nicht anders als schreiben, was aus ihm heraus musste. Wenn man diesen Roman so insgesamt betrachtet, so gibt es viele Stellen, die Anstoß erregt haben könnten, die eine Wirklichkeit spiegelten, die die Machthaber irgendwann nicht mehr unter die Nase gerieben haben wollten.


    Unter Pasternaks entsetzten Kollegen soll die Frage aufgetaucht sein, wie er nur hatte so unvorsichtig sein können. Aber ich denke, er wird das gar nicht so wahrgenommen haben, auf mich machte er phasenweise - und ganz besonders bei dem Roman - eher den Eindruck, als lebe er immer noch in seinem Bild von der Idee des Sozialismus/Kommunismus, weniger in dem, was in der Realität vorzufinden war. Auch wenn er sich irgendwie arrangieren musste.
    Aber ich glaube schon, dass er die Missstände, die er wahrgenommen hatte, zur Sprache bringen wollte. Mehr wohl nicht. Aber es reichte ja.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Unter Pasternaks entsetzten Kollegen soll die Frage aufgetaucht sein, wie er nur hatte so unvorsichtig sein können. Aber ich denke, er wird das gar nicht so wahrgenommen haben, auf mich machte er phasenweise - und ganz besonders bei dem Roman - eher den Eindruck, als lebe er immer noch in seinem Bild von der Idee des Sozialismus/Kommunismus, weniger in dem, was in der Realität vorzufinden war. Auch wenn er sich irgendwie arrangieren musste.
    Aber ich glaube schon, dass er die Missstände, die er wahrgenommen hatte, zur Sprache bringen wollte. Mehr wohl nicht. Aber es reichte ja.


    So scheint sich viel von Pasternaks Art in der Figur des Schiwago wieder zu finden. Auch dieser scheint sich oft der Gefahr nicht wirklich bewusst zu sein.

  • Die Ebersche


    Die Zeit bei den Partisanen. Vor allem der Satz fiel mir auf (Kap. 9, S. 439):
    Der Fanatismus der Weißen und der Roten wetteiferte in Grausamkeiten miteinander, wobei mit immer zunehmender Kraft auf jeden Schlag ein Gegenschlag erfolgte.



    Zitat

    Original von Clare
    Nicht so recht verstanden habe ich die Vision, Weissagung, Phantasie im 7. Kapitel von "Eberesche". Jurij scheint sie auch nicht zu verstehen, obwohl er dabei fast in Verzückung gerät. Ich meine die Geschichte mit der Frau/Lara, der die linke Schulter geöffnet wird, aus der vielerlei herausströmt. Die Symbolik erschließt sich mit momentan nicht.


    :write Das ging mir genauso, also mit dem fehlenden Verstehen.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Und die seelischen Nöte werden immer offenbarer, ob nun bei Pamfil Palých, der zum Mörder wird, oder bei Liberij, der sich die Gegebenheiten so zurecht legt, dass es für ihn „passt“.


    Ja, und dieses „Zurechtbiegen“ ist doch eigentlich typisch und begegnet einem in diesem ganzen Abschnitt (ich denke jetzt vor allem auch an „Das Haus mit den Standbildern““).



    Zitat

    Original von Lipperin
    Jurij flieht, überraschend einfach.


    Ja, daß das so einfach ging, hat mich auch gewundert. Aber vielleicht waren die Auflösungserscheinungen im Partisanenheer schon zu groß? Ich war gespannt auf seine Flucht, denn ich kannte sie nur aus dem Film (wo sie ähnlich einfach vonstatten geht: beim „Umzug“ in ein neues Lager bzw. beim Marsch bleibt er einfach stehen und kehrt - unbehelligt - um).




    Das Haus mit den Standbildern


    Jurij kommt wieder nach Jurjatino, wo sich inzwischen einiges verändert hat. Die Sowjetmacht beginnt sich mir allen Begleiterscheinungen festzusetzen. Ich kenne das zwar nur aus Büchern, nicht aus eigener Anschauung (die damalige Zeit sowieso nicht), aber alles, was Pasternak beschreibt, stimmt mit dem überein, was ich bisher darüber gelesen habe.


    Er wird krank und gesund gepflegt. Das dann kommende seitenlange Gespräch habe ich als „typisch russisch“ empfunden. Mir fällt aus dem Stegreif kein Autor irgendeines anderen Landes ein, der so etwas geschrieben haben könnte. Irgendwie erinnerte es mich an F. M. Dostojewskij. Keine Ahnung warum, aber ich mußte unwillkürlich an Stepan Trofimowitsch Werchowenskij und seine letzte Wanderschaft denken. „Es war wie ein stilles Erlöschen eines zu Ende brennenden Lichtes.“ („Die Dämonen“)


    Die Verhältnisse ändern sich, und sie wollen Jurjatino verlassen. Erstaunlich, wie ruhig sie über eine mögliche kommende Verhaftung reden!


    Schließlich der Brief Tonjas, der nach langer Irrfahrt eintrifft. Ich gebe zu, der Brief war so ziemlich die erste Stelle im Buch, die ich als hochemotional empfunden habe, als ob das aus dem übrigen Handlungsablauf herausgehoben wäre. Und so ein bißchen kann ich Lara wie Jurij nicht verstehen. Sie hängen aneinander und gleichzeitig an ihren jeweiligen Familien. Wie wollen sie das unter einen Hut bringen? Jurij soll nach Moskau, aber gleichzeitig hier bleiben. Ob sie sich beide jeweils etwas vormachen? Zumindest Lara scheint sich einiges zurechtgelegt zu haben. Denn entweder hat sie Jurij bewußt nicht erzählt, wodurch Paschas Änderung hervorgerufen wurde, oder sie hat es vergessen/verdrängt.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Wahrheit ist nicht immer allzu verträglich, besonders für den, der sie sagt.


    Das gilt sogar bis in unsere Tage, vielleicht ist es auch ein allgemein und zeitlos gültiger Grundsatz.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Vernichtender kann ein Urteil über die Zustände, die Brutalisierung, die Gewalt wohl nicht lauten.


    :write



    Inwieweit Schiwago die Ansichten Pasternaks widerspiegelt, weiß ich nicht. Dazu müßte ich mich wohl viel intensiver mit der Person des Autors beschäftigen. Losgelöst davon scheint mir alles, was er schreibt, folgerichtig zu sein. Er bringt die Mißstände zur Sprache, die es damals gab, und Gedanken, die wohl viele Menschen hatten. Daß das nicht zu bzw. überhaupt denen paßt, die letztlich gewonnen und die Macht behalten haben, ist klar. Aber anders zu schreiben würde bedeuten, die Geschichte zu verfälschen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Irgendwie erinnerte es mich an F. M. Dostojewskij. Keine Ahnung warum, aber ich mußte unwillkürlich an Stepan Trofimowitsch Werchowenskij und seine letzte Wanderschaft denken. „Es war wie ein stilles Erlöschen eines zu Ende brennenden Lichtes.“ („Die Dämonen“)


    :anbet


    Gar zu gerne hätte ich gewusst, welche Bücher Pasternak in seiner Bibliothek hatte, welche deutliche Gebrauchsspuren aufwiesen. Aber nach seinem Tod und jahrelangen Streitereien wurden seine Bücher, Briefe, wohl auch Manuskripte etc. einfach auf den Hof des Hauses geworfen, was bei den damals herrschenden Witterungsverhältnissen katastrophale Folgen gehabt haben muss.

  • Ich habe gerade eben diesen Leseabschnitt beendet und stehe noch unter Schock.


    Die Zustände bei den Partisanen! Grausamkeit und sinnloses Sterben, wohin das Auge blickt. Mütter, die ihre Kinder wegwerfen. Menschen, die einer abstrakten Idee alle Menschlichkeit opfern. Es ist zu traurig ;-(


    Eine Art kurzes "Glück" entsteht wohl, als Lara und Juri zusammen wohnen. Aber die Umstände und beider schlechtes Gewissen überlagern alles. Und dann Tonjas Brief ganz zum Schluß des Abschnittes! Diesen Brief finde ich sehr herausragend und er enthält auch eine Charakterisierung, die mir so richtig aus der Seele spricht:


    "Ich muß aufrichtig gestehen, sie (Lara) ist ein guter Mensch, aber ich will nicht heucheln, sie ist das genaue Gegenteil von mir. Ich bin dazu geboren, das Leben zu vereinfachen und den richtigen Ausweg zu finden, sie aber, um es zu erschweren und zu verwirren."


    Genau so. Tatsächlich ist mir auch von allen relevanten Personen Tonja die liebste und irgendwie authentischste. Und irgendwie "unrussisch", wobei ich das tatsächlich als Kompliment meinen muss. Aber mit Lara und ihrer ganzen Haltung zu ihrem Mann und dem Leben allgemein kann ich nicht viel anfangen:


    "Schon als kleines Kind begann ich von Reinheit zu träumen. Er (Pawel) war die verkörperte Reinheit."


    Das ist mir viel zu verschwurbelt. Wie auch das ganze Gespräch zwischen Lara und Juri und ebenso der folgende Vortrag der Tunzewa :sleep


    Es bleibt jetzt nur noch ein Fünftel des Buches. Ein "Happy End" ist schwer vorstellbar, ich bin sehr gespannt, wohin das Schicksal die Protagonisten noch wehen wird...

  • Zitat

    Original von Hallorin
    Ich habe gerade eben diesen Leseabschnitt beendet und stehe noch unter Schock.


    Die Zustände bei den Partisanen! Grausamkeit und sinnloses Sterben, wohin das Auge blickt. Mütter, die ihre Kinder wegwerfen. Menschen, die einer abstrakten Idee alle Menschlichkeit opfern. Es ist zu traurig ;-(


    Unter einer Art Schock stehe ich momentan auch immer noch, nachdem ich gestern ausgelesen habe.


    Ich fand die Beschreibung hier im Buch sehr zurückhaltend. Im "Stillen Don" ging es da ganz anders zur Sache. Dort hat einem nur die ungeheure Sprachgewalt eines Scholochow das Ganze ertragen lassen.



    Zitat

    Original von Hallorin
    Das ist mir viel zu verschwurbelt. Wie auch das ganze Gespräch zwischen Lara und Juri und ebenso der folgende Vortrag der Tunzewa :sleep


    Ich schätze, genau das, was Du als "verschwurbelt" bezeichnest ist das, was mir an solchen Büchern (oder an diesem) so zusagt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollierIch schätze, genau das, was Du als "verschwurbelt" bezeichnest ist das, was mir an solchen Büchern (oder an diesem) so zusagt.


    Ich nehme die Antwort auf dieses mal in den nächsten Leseabschnitt mit, um nicht zu spoilern.