'Doktor Schiwago' - 2. Buch - Wieder in Warykino

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  • Man sollte meinen, dass Jurij und Larissa endlich zur Ruhe kommen, aber sie tun es nicht, nicht mal in dem inzwischen verlassenen Warykino, wohin sie flüchten. Mittlerweile ist das Pflaster für die Beiden in der Stadt ziemlich heiß geworden, und sie müssen mit Verhaftung rechnen. Ihre Namen stehen wohl schon auf den Listen. Lara fürchtet außerdem für ihre Tochter Katjenka.


    Komarovskij tritt auf den Plan als eine Art möglicher Retter, gibt sich uneigennützig, doch die beiden Liebenden fliehen für eine kurze Episode des scheinbaren Friedens und der Sicherheit nach Warykino.
    Doch ihre Ängste haben sie mitgenommen, genau wie die Gespenster der Vergangenheit und Zukunft.
    Sie schwanken zwischen Zufriedenheit und Abschiednehmen.


    Jurij möchte gerne wieder schreiben, etwas schaffen. Für mein Gefühl trennt er sich hier schon innerlich von Lara, auch wenn es ihn fast zerreißt.
    Schließlich sorgt er dafür, dass Lara sich rettet. Sie verschwindet für immer aus seinem Leben.


    Sehr bezeichnend fand ich,was Lara über sie beide sagt:
    "Versteh mich recht, wir befinden uns nicht in derselben Lage.Dir sind Flügel gegeben, dich über die Wolken emporzuschwingen. Mein Teil aber ist es, mich an die Erde zu schmiegen und mit den Flügeln die Küken vor jeder Gefahr zu schützen." (Kapitel 7, bei mir Seite 495, Fischer TB 1989)


    Also sie weg ist, gerät Schiwago wie in einen Rausch, und ich finde, er verliert zum Teil auch den Bezug zur Wirklichkeit und zum alltäglichen Leben.


    Erschütternd fand ich das Wiedersehen mit Strelnikov, der wirklich Antipov, Laras Mann ist. Am Ende des Tages voller Worte tötet sich Antipov. Hier schließt sich auch wieder der Kreis und das Symbol der Eberesche taucht wieder auf (Pawels Blut im Schnee).

  • Wenn jetzt erst klar wird, dass Strelnikow Pawel ist, fehlt wohl die Szene mit der Pause auf der Reise von Jurij, Tonja, Sohn und (Schwieger)vater von Moskau nach Warykino, als Jurij sich die Beine vertritt und von Soldaten geschnappt wird, die ihn Strelnikow präsentieren.
    Und im Film erzählt Komarowski Jurij, da er Lara bewegen möchte, mit ihm, Komarowski, zu fliehen, dass man Strelnikow nur wenige Kilometer entfernt geschnappt (erschossen?) habe, der offenbar auf dem Weg zu seiner Frau, Lara, gewesen war, die nun ihrerseits oben auf der "Liste" der Verfolger stehe, weil sie ihren Zweck, ihren Mann anzulocken, ja wohl erfüllt habe...
    Wirklich recht unterschiedlich.
    Aber das ist ja, wie SiCollier weiter vorn auch schon feststellte, bei Filmem häufig so.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Wenn jetzt erst klar wird, dass Strelnikow Pawel ist, fehlt wohl die Szene mit der Pause auf der Reise von Jurij, Tonja, Sohn und (Schwieger)vater von Moskau nach Warykino, als Jurij sich die Beine vertritt und von Soldaten geschnappt wird, die ihn Strelnikow präsentieren.


    Diese Szene gibt es im Buch auch, am Ende des ersten Buches. Aber sie verläuft sehr anders als im Film, Beide wissen zu dem Zeitpunkt nicht, wen sie vor sich haben, da auch bisher die Beziehung Schiwago - Lara anders ist als im Film.


    Zitat

    Original von maikaefer[sp]
    Und im Film erzählt Komarowski Jurij, da er Lara bewegen möchte, mit ihm, Komarowski, zu fliehen, dass man Strelnikow nur wenige Kilometer entfernt geschnappt (erschossen?) habe, der offenbar auf dem Weg zu seiner Frau, Lara, gewesen war, die nun ihrerseits oben auf der "Liste" der Verfolger stehe, weil sie ihren Zweck, ihren Mann anzulocken, ja wohl erfüllt habe...[/sp]


    Das ist hier möglicherweise noch gespoilert, weil das im Film erst gegen Ende kommt; ich bin lesemäßig noch nicht so weit.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Zitat

    Original von SiCollier


    Diese Szene gibt es im Buch auch, am Ende des ersten Buches. Aber sie verläuft sehr anders als im Film, Beide wissen zu dem Zeitpunkt nicht, wen sie vor sich haben, da auch bisher die Beziehung Schiwago - Lara anders ist als im Film.


    Genau. Zum jetztigen Zeitpunkt ist nicht eindeutig, dass Strelnikov Antipov ist, obwohl die Vermutung ausgesprochen wird.


    Zitat


    Das ist hier möglicherweise noch gespoilert, weil das im Film erst gegen Ende kommt; ich bin lesemäßig noch nicht so weit.


    Ich kenne ja den Film nicht, aber die zeitliche Abfolge scheint schon etwas anders zu sein.

    - Freiheit, die den Himmel streift -

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  • @ Clare


    Bisher (ich beginne gerade mit "Der großen Straße") ist der zeitliche Ablauf in Buch und Film schon weitgehend gleich, nur daß im Film manches deutlich anders ist als im Buch.


    Bisher kann ich mit beidem gut leben - mit dem Buch und einem daraauf basierenden, aber bis zu einem gewissen Grade doch eigenständigen Film.


    Problematisch wird es, wenn man den Film "rückwärts" auf das Buch überträgt, da stimmt dann einiges nicht (das ist jetzt nicht gegen Dich, maikaefer, sondern einfach eine allgemeine Feststellung). Wie die von dir, maikaefer, erwähnte Szene zwischen Strelnikov und Schiwago. Die gibt es im Buch auch, nur verläuft die anders als im Film - alleine schon deshalb, weil beide nicht wissen, wer der andere ist.



    Edit hat einen sinnentstellenden Fehler berichtigt

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Wieder in Warykino


    Man begegnet immer wieder Personen, die schon eine Rolle, mal klein, mal groß, zu spielen hatten. Diesmal hat der Advokat seinen Auftritt. Natürlich, denkt man sich, und meint, Schwefel zu riechen. Selbstverständlich will er helfen, ist nichts als Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, und man meint, der Schwefelgeruch wird stärker. Auch wenn er – der Advokat – mit dem einen oder anderen Hinweis (Antipov oder Tiversín) sicherlich recht hat, warum sollte Jurij im Glauben schenken? Er wird die Worte Gordons vor vielen Jahren nicht vergessen haben. Seine vielen Worte Seite 485 lassen mich immer mehr zu der Überzeugung gelangen, dass es Jurij vor allen Dingen darauf ankommt, Lara zu retten. Was dann ja auch gelingt, durch eine List zwar, die aber beide viel kosten wird.


    Seite 497 über das, „was man Inspiration nennt“: Für mich spricht da nicht Jurij, sondern Pasternak. Auf mich wirkt es, als entblöße er sich ein Stück weit, breite sein eigenes Schaffen und Denken als das eines anderen – einer Romanfigur – aus. Sh. auch Seite 501, 502, die für mich in die gleiche Richtung gehen. Das Gebet (Seite 498) ist das Pasternaks. Er hat es Schiwago geliehen.


    Jurij bleibt also allein in Warykino. Ich glaube, er wusste genau, dass eine gemeinsame Zukunft mit Lara nicht möglich war (ob seine Krankheit dabei eine Rolle spielte?) und ich glaube nach wie vor, dass die Einsamkeit im Grunde der ihm gemäße Zustand ist. Er braucht die Menschen, natürlich, er braucht Nähe, natürlich, aber auf mich wirkt er so, als bliebe ein Rest von ihm immer allen verborgen, bliebe sein ganz Eigenes, sein Alleiniges. Er wird nie das sein, was man heutzutage so nett als „Teamplayer“ bezeichnet. Vielleicht auch, weil er Dichter ist. :gruebel


    Die große Aussprache mit Strelnikov (bleiben wir bei diesem Namen, von Pawel nicht wohl nicht mehr allzu viel übrig). Das Bild der „gefrorenen Beeren einer Eberesche“ (528) weist mich auch darauf hin, dass für Jurij ein wichtiger Abschnitt zu Ende ist, nicht nur der des Krieges, der Revolution, der Gewalt und Bedrohung, sondern auch ein Abschnitt, in dem er familiäre Bindungen resp. die der Liebe hatte. Die rote Frucht ist erfroren, zu Boden gefallen, die Bindung an das, was sie hervorbrachte, wachsen und reifen ließ, ist zerrissen; was bleibt, ist die Erinnerung an ihre Schönheit, die Wärme, die sie ausstrahlt, an das, was war. Und wenn der Frost am Stärksten ist und der Himmel grauer als grau, dann zweifelt man, ob es jemals wieder Frühling werden kann. Und man vergisst, dass der Frost nicht alles zerstören kann.

  • Gegen Ende Kap. 6 (S. 510):
    Die Kinder sind ohne Scheu aufrichtig und schämen sich vor der Wahrheit nicht; wir aber sind aus Furcht, für rückständig zu gelten, bereit, das kostbarste Gut zu verraten; wir preisen Abstoßendes und bejahen voll Eifer das Unverständliche.
    Das ist gut in Worte gefaßt, was mir zu so manchen Dingen unserer Zeit einfällt.


    Kap. 14 (S. 534f), als Lara weg war und Schiwago „langsam die Sinne schwanden“. Seine Gedanken über die Revolution (beginnend mit „Tolstoi hat seine Gedanken nicht zu Ende gebracht, wenn er bei Napoleon die Rolle der führenden Persönlichkeit...“) fand ich interessant.
    In wenigen Stunden oder Tagen stürzen sie die alte Ordnung. Die Umwandlungen dauern Wochen, viele auch Jahre; dann aber beuten sie sich jahrzehntelang dem Geist der Borniertheit und Mittelmäßigkeit, als wäre dies eine heilige Verpflichtung.


    Immer wieder mußte ich während dieses Buches an die unzähligen Menschen, die durch die Revolution und das daraus Folgende in Unglück und Elend gestürzt worden sind, denken. Früher wie heute. Wer gibt diesen Wenigen eigentlich das Recht, über diese Vielen dermaßen Leid zu bringen???


    Anfang Kap. 16 (S. 537):
    Sie redeten so, wie nur russische Menschen in Rußland miteinander reden können, alle Verängstigten und alle Trauernden, alle Wahnsinnigen und Rasenden; nur nur solche gab es damals in diesem Lande.
    Damit wird in Worten etwas ausgedrückt, was sich bei mir über diesen Abschnitt des Buches gefühlsmäßig „festsetzt“: es wird „russischer“, es nähert sich mehr dem an, was ich (auch) erwartet habe. Die umständlichen Gespräche zwischen Lara und Jurij in diesem Abschnitt, das Philosophieren und Fantasieren jetzt, das Gespräch mit Strelnikov - in einem amerikanischen Buch undenkbar (für mich jedenfalls).


    Und dann bekomme ich doch tatsächlich noch Mitleid mit Strelnikov ... :cry



    Zitat

    Original von Clare
    Erschütternd fand ich das Wiedersehen mit Strelnikov, der wirklich Antipov, Laras Mann ist. Am Ende des Tages voller Worte tötet sich Antipov. Hier schließt sich auch wieder der Kreis und das Symbol der Eberesche taucht wieder auf (Pawels Blut im Schnee).


    :write
    Damit ist die Geschichte zu Ende. Was folgt, kann nur noch ein Epilog sein, eine kurze Wiedergabe dessen, was bis zum (wohl baldigen) Tod kommt. Denn wie sonst könnte es enden denn in düsterer Melancholie?



    Zitat

    Original von Clare
    Genau. Zum jetztigen Zeitpunkt ist nicht eindeutig, dass Strelnikov Antipov ist, obwohl die Vermutung ausgesprochen wird.


    Hm, also für mich war das schon lange klar und eindeutig.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Seite 497 über das, „was man Inspiration nennt“: Für mich spricht da nicht Jurij, sondern Pasternak. Auf mich wirkt es, als entblöße er sich ein Stück weit, breite sein eigenes Schaffen und Denken als das eines anderen – einer Romanfigur – aus. Sh. auch Seite 501, 502, die für mich in die gleiche Richtung gehen. Das Gebet (Seite 498) ist das Pasternaks. Er hat es Schiwago geliehen.


    Ja, das habe ich auch so verstanden.



    Abgesehen von ein paar früheren Stellen, ist das Buch für mich erst jetzt emotional bis teilweise hochemotional geworden.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    ...


    Hm, also für mich war das schon lange klar und eindeutig...


    Ich wollte damit eigentlich sagen, dass es nach dem, was rein das Geschriebene ist, nicht eindeutig und direkt gesagt wurde. Der Leser liest Andeutungen und Vermutungen, und es entsteht eine Ahnung aus den eigenen Spekulationen. Ich war mir auch sicher, dass es so ist. :wave

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Und dann bekomme ich doch tatsächlich noch Mitleid mit Strelnikov ...


    Das hier:
    "Ich ging in den Krieg, um sie nach drei Jahren Ehe neu zu erobern."


    Oder das:
    "Was hat es mich für Kraft gekostet, den Wunsch zu unterdrücken, zu ihnen zu eilen und sie zu sehen."


    Oder:
    "Was würde ich jetzt nicht dafür geben, sie noch einmal sehen zu können."


    :-(


    Zitat

    Original von SiCollierAbgesehen von ein paar früheren Stellen, ist das Buch für mich erst jetzt emotional bis teilweise hochemotional geworden.


    Wobei ich nicht alle Emotionen verstehen kann. Warum geht Juri nicht mit? Auf mich wirkt das wie unpassender, pathetischer Stolz.


    Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass es eine Gnade ist, nicht in solchen Zeiten leben zu müssen.

  • Zitat

    Original von Clare
    Zum jetztigen Zeitpunkt ist nicht eindeutig, dass Strelnikov Antipov ist, obwohl die Vermutung ausgesprochen wird.


    Aber es ist schon ziemlich eindeutig:


    "Der fortschrittliche Eisenbahner Tiwersin, in dessen Familie Strelnikow als Jung aufgewachsen war, ..."

  • Für mich war am Ende von „Die Ankunft“ eindeutig klar, wer Strelnikov eigentlich ist.



    Zitat

    Original von Hallorin
    Wobei ich nicht alle Emotionen verstehen kann. Warum geht Juri nicht mit? Auf mich wirkt das wie unpassender, pathetischer Stolz.


    Ich auch nicht; ursprünglich meinte ich, daß das Buch erst jetzt beginnt, mich emotional zu berühren.


    Na ja, er konnte Komarovski nicht ausstehen. Wegen dem, was der Lara angetan hatte und weil er ihn für den Tod seines Vaters verantwortlich machte. Und ich fürchte, bis zu einem gewissen Grade war Schiwago zu, hm, idealistisch (weiß grade nicht, wie ich das besser ausdrücken könnte).



    Zitat

    Original von Hallorin
    Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass es eine Gnade ist, nicht in solchen Zeiten leben zu müssen.


    Genau darüber habe ich auch - bei aller Kritik an heutigen Zuständen - wieder und wieder nachdenken müssen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")