Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens
S. Fischer 2013. 448 Seiten
ISBN-13: 978-3100488381. 26,99€
Originaltitel: From the Ruins of Empire
Übersetzer: Michael Bischoff
Verlagstext
Nachdem die letzten Erben des Mogul-Reiches getötet und der Sommerpalast in Peking zerstört war, schien die asiatische Welt vom Westen besiegt. Erstmals erzählt der Essayist und Schriftsteller Pankaj Mishra, wie in dieser Situation Intellektuelle in Indien, China und Afghanistan eine Fülle an Ideen entwickelten, die zur Grundlage für ein neues Asien wurden. Sie waren es, die Mao und Gandhi inspirierten und neue Strömungen des Islam anregten. Von hier aus nahmen die verschiedenen Länder ihren jeweiligen Weg in die Moderne. Unterhaltsam und eindringlich schildert Pankaj Mishra die Entstehung des antikolonialen Denkens und seine Folgen. Ein Buch, das einen völlig neuen Blick auf die Geschichte der Welt bietet und den Schlüssel liefert, um das heutige Asien zu verstehen.
Der Autor
Pankaj Mishra, geboren 1969 in Nordindien, lebt in London und am Rand des Himalaya. Er schreibt seit über zehn Jahren regelmäßig für die »New York Review of Books« und für den »New Yorker« über den indischen Subkontinent, über Afghanistan und China. Er hat Essays in »Lettre International« und »Cicero« veröffentlicht; auf Deutsch sind darüber hinaus der Roman ›Benares oder Eine Erziehung des Herzens‹ und ›Lockruf des Westens. Modernes Indien‹ erschienen. Pankaj Mishra war Gastprofessor am Wellesley College und am University College London.
Inhalt
Pankaj Mishra vollzieht einen für das Verständnis islamischer und asiatischer Staaten notwendigen Blickwechsel auf die Weltgeschichte, stellt in biografischen Essays die für ihre Zeit ungewöhnlich fortschrittlichen Denker Dschamal ad-Din al Afghani (1838-1897) und Liang Qichao (1873-1929) vor und vermittelt eindringlich den Eindruck der Demütigung muslimischer Staaten durch "den Westen", der Grundlage des Verständnisses aktueller Konflikte zwischen westlichen und muslimischen Staaten ist.
Wer sein Globusmodell in Bewegung setzt, um Geschichte einmal von der anderen Seite der Weltkugel aus zu betrachten, muss zwangsläufig aus anderer Perspektive urteilen. So ist für Pankaj Mishra nicht der Zweite Weltkrieg der prägende, "große" Krieg, sondern die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Japan und China (die zwischen 1937 bis 1945 allein 3,5 Millionen Tote forderten). Japans militärische Überlegenheit hatte nicht nur politische und militärische Bedeutung, sondern ebenso geistig-moralische. Aus dem Blickwinkel Asiens fand 1904 die entscheidende Seeschlacht von Tsushima zwischen Russland und Japan um die Herrschaft über Korea und die Mandschurei statt. Japans Sieg beendete die Unbesiegbarkeit "der Weißen" und führte zu einem Domino-Effekt, der schließlich auch das Selbstbewusstsein der muslimischen Länder Vorderasiens hob. Neben zahlreichen essayistischen Splittern zum Ost-West-Verhältnis konzentriert sich der gebürtige Nordinder Mishra auf zwei beispielhafte Denker und Erneuerer. Dschamal ad-Din al Afghani zählte als Katalysator für den Wandel zu den Gründern der islamischen Moderne und repräsentiert eine gebildete Klasse, deren Modernisierungsbestrebungen den herrschenden (religiös gebildeten) Eliten zu weit gingen. Der gebürtige Perser war in der Lage, als Religionskritiker den Islam in neuen Kontexten zu sehen. Er wurde zum Gründer des ägyptischen Journalismus (bereits 1875 wird die Zeitung Al Aham gegründet). Interessant fand ich, dass der unabhängige Denker schon zu seiner Zeit Merkmale definierte, die bis heute das wirtschaftliche Wachstum nordafrikanischer Staaten behindern und damit ursächlich für die aktuellen Krisen dieser Länder sind: die Paukschule (obwohl damals unter westlichem Einfluss der Kolonialmächte organisiert), mangelndes Interesse an Naturwissenschaften und an Ereignissen in der übrigen Welt, das Fehlen einer kritischen Presse, eine verarmte, unzufriedene Unterschicht, regiert von einer korrupten Führungsschicht.
Liang Qichao (1873-1929) inspirierte als erster moderner Intellektueller, Gelehrter und Reformer Chinas mehrere Generationen von Denkern. Liang wird zum Tode verurteilt, flieht aus China nach Japan und wird dort der berühmteste Intellektuelle. Zahlreiche chinesische Studenten können zu Beginn des 20. Jahrhunderts beim Studium in Japan die ersten Erfahrungen mit westlichen Kulturen und Werten machen. Erst wer Kontakte zu anderen Ländern pflegt, muss die Überzeugung infragestellen, das eigene Land sei die Mitte der Welt. Die intellektuelle und politische Atmosphäre des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Asien und die Probleme der heterogenen asiatischen Staaten stellt Mishra sehr lebendig dar.
Bekannter als die og. Vordenker ist als Literaturnobelpreisträger von 1913 Rabindranath Tagore. Er vervollständigt die Reihe scharfsinniger Beobachter zu seiner Zeit von Europäern beherrschter asiatischer Staaten. Tagore hatte keine antiwestliche Einstellung, lehnte aber wie Gandhi den institutionalisierten, bürokratisierten und militarisierten Staat ab.
Fazit
Pankaj Mishra charakterisiert - an Leser aus dem Westen gerichtet - aus asiatischer Sicht eindrucksvoll historische Ursachen der Krise der islamischen Welt und richtet den Blick auf zwei bisher wenig bekannte Reformer aus dem Persien des 19. Jahrhunderts und aus China zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
9 von 10 Punkten