Titel: Der Gang vor die Hunde
Autor: Erich Kästner
Verlag: Atrium Verlag
Erschienen: Oktober 2013
Seitenzahl: 320
ISBN-10: 3855353913
ISBN-13: 978-3855353910
Preis: 22.95 EUR
„Der Gang vor die Hunde“ ist die Urfassung von Erich Kästners Roman „Fabian“ der bisher nie seiner Urfassung erschienen ist. Denn als Kästner das Manuskript seinem Verlag vorlegte, da begann man dort sofort damit, den Roman „zu entschärfen“. Der Verlag sah in diesem Roman einen Sprengsatz für das kleinbürgerliche Spießertum der damaligen Zeit. Doch selbst in der entschärften Version galt das Buch vielen als „dekadent und obszön“.
In seinem Buch – die Geschichte spielt im Jahre 1931 – erzählt Kästner über die Situation im Berlin der damaligen Zeit. Die Arbeitslosigkeit ist riesengroß und die Braunen gewinnen mehr und mehr an Macht und Einfluss. Man begleitet den arbeitslosen Germanisten Jakob Fabian auf seinen Streifzügen durch die Stadt. Streifzüge ohne konkrete Ziele. Streifzüge ins grellbunte und dabei kalte Nachtleben einer Stadt. Viele einfach nur auf der Suche nach „der schnellen Nummer“, nach ein wenig menschlicher Zuneigung und Wärme, dann aber lediglich Gleichgültigkeit und Gefühlskälte findend. Dieser Roman ist auch ein Sittengemälde vom langsamen Sterben der vermeintlich „goldenen Zwanziger“.
Erich Kästner war damals so etwas wie ein Shootingstar der Berliner Literaturszene. So sieht das wenigstens der Atrium-Verlag. Und das Kästner mehr war als ein begnadeter Kinderbuchautor, das hat er mit diesem Buch hinlänglich bewiesen.
Dieser Roman ist geprägt durch Realismus und Authentizität – ein Buch geschrieben und geprägt von diesem ganz besonderen Zynismus ala Erich Kästner. Nicht bösartig, aber immer wieder punktgenau treffend. Kästner karikiert nicht, er überzeichnet lediglich etwas, macht aber dadurch mehr als deutlich, wie die Menschen zu damaliger Zeit lebten und dachten und wie sie sich mehr oder weniger resignierend mit allem abgefunden hatten. Es war für viele eine Flucht in Oberflächlichkeiten, unterstützt von stimulierenden Substanzen. Die Realität zu ignorieren, ihr eine Nase zu drehen, die eigene Verzweiflung draußen vor der Tür lassend – Lebensinhalt und Lebensgefühl. Kästner schaffts es auf beeindruckende Art und Weise dieses Lebensgefühl lebendig werden zu lassen.
Sicher mutet einiges in diesem Roman altmodisch und verstaubt an – aber für die damalige Zeit war es eben nicht „brav und altmodisch“. Kästner schreibt in klaren Worten (auch die erotischen Szenen betreffend), freundlich-zynisch, aber immer in der Spur bleibend. Ein Blender oder Illusionist war dieser Autor ganz sicher nicht. Ein ehrliches, ein wirklich lesenswertes Buch. 8 Eulenpunkte für ein Werk, das erst rd. 80 Jahre nach seiner Kastration im ursprünglichen Gewand erscheinen durfte.