Fast hätte ich diesen Abend verpasst. Ich wollte mich eigentlich nur mal kurz hinlegen, um dann fünf (!!) Stunden zu schlafen. Eine Erkältung hat mich erwischt und als wir (immerhin noch pünktlich) die ausverkaufte 02-World erreichen, unsere Verabredung (leicht sauer) gefunden haben, bin ich maximal gedopt mit legalen Drogen und fühle mich seltsam wattig. Innenraumkarten haben wir und aufgrund des doch eher "gediegenen" Publikums können wir uns noch so etwa in die zehnte Reihe durchschlagen. Erstaunlich wenig Smartphones hier. Kurz darauf erscheint auch schon Mr. Gabriel persönlich, um auf deutsch die "Vorband", zwei schwedische Künstlerinnen anzusagen. Das macht er jedes Mal, auf jedem Konzert, seit ich diese besuche und ich finde diese Geste sehr schön, respektvoll und warmherzig. Sie spielen drei Songs, abwechselnd mit Cello und am Klavier. Die Stimme von der blonden Sängerin gefällt mir besser, naja, die Dunkelhaarige könnte glatt Gläser zum springen bringen bringen, weil aber grade keine da sind, versucht sie es mit meinem Kopf. Uiuiui. Geschafft.
Nach einer ganz kurzen Umbaupause geht es dann los. Peter Gabriel, Exfrontman der Band "GENESIS" ( als sie noch gut war) steht mit kompletter Originalband des So-Albums auf der Bühne, wow. Gut, Kate Bush fehlt, aber sonst. Tony Levin am Bass, Manu Katché an den Drums, David Rhodes an der Gitarre und David Sancious an den Keyboards. Was für ein Anblick. Und dann sind da noch die zwei neuen Backgroundsängerinnen, die Vorband von vorhin. Oha. Gabriel spricht auf deutsch, wie der Abend ablaufen wird. Das Saallicht ist an, was die mir verhasste, scheußliche Mehrzweckhalle auch nicht grade schöner macht - und es wird anbleiben, wie er dem Publikum erklärt. Zumindest im ersten Teil von insgesamt dreien. Der erste Teil wird aus einer Art Hausmusik- Probe- Akustik bestehen, ein bisschen Musikschule zum Anfassen. Der Meister legt los mit einem komplett neuen, unfertigen Song, textlich noch unvollständig. Es folgen "Shock the Monkey" und noch zwei weitere Songs, bis bei "Family Snapshot" mittig der zweite, elektrische Teil anfängt, der Break ist auch dramaturgisch sensationell, kennt man die Geschichte des Songs. Das Saalllicht erlischt (endlichendlich, wie krass, die GANZE ZEIT WAR DAS VOLLE SAALLICHT AN!!) , wechselt mit Weißlicht von gigantischen Lichtrobotern, bedient von schwarzgekleideten, vermumten Gestalten. Sie beherrschen das schlichte Bühnenbild , wirken bedrohlich und gekoppelt mit Kameras einschüchternd. Dieser zweite Teil ist ein Mix aus "Best-Of- außer- So-" und aus uralten Siebziger Jahre- Stücken, dunkel und wirklich extrem gewöhnungsbedürftig. "Diggin' In The Dirt" ist dabei in einer gigantischen Version, Manu Katche und Toni Levin grooven. GRANDIOS. Solsbury Hill darf auch nicht fehlen, der kahle Gabriel hüpft in schwarzem Westenkleid ein bisschen moppelig über die Bühne, ist stimmlich aber so gut drauf, wie lange nicht mehr, da darf er also ruhig. Brüchig ist sie, verletzlich, berührend. Wie gesagt, bisher gibt es keinerlei Farben auf der Bühne, nur der Wechsel von Schwarz- zu Weiß, eingefangen in bewegten Bildern unglaublicher Kameraführung. Theater, moderne Kunst, Musik. Wunderschön, aber mir auch ein bisschen zu dick aufgetragen.
Teil drei, nämlich das komplette So- Album, bricht aprut mit Schwarzlicht und Farblosigkeit. Red Rain is coming down. Rot und dunkel, prasselnd und schlagend, bedrohlich. Dieses Schlagzeug. Manu Katche, Du Rhytmusgott. Unter Drummern gibt es also doch noch Musiker. Unglaublich, phänomenal. Spätestens jetzt ist mir das wattige Gefühl in mir sowas von egal. Alleine wegen dieses Stückes hat sich der Abend schon gelohnt. So ist ein fantastisches Album, ausgefeilt, stimmig, aber vor allem eines- zeitlos. Wenn ich auch bei "Sledgehammer" ( ohne Bläsersatz, kamen von den Keyboards) nicht mehr großartig reagiere und eher mit den Gedanken abschweife, es ist ein großer Song. Wenn ich auch jedes Mal zusammenzucke, wenn irgendeine Frau außer Kate Bush (in diesem Fall die dunkelhaarige Schwedin) versucht, "Don' T Give Up" zu singen - meine Gänsehaut ist bei Mercy Street umso gewaltiger. Gabriel liegt rücklings auf dem Boden, wird bedrängt von diesen Kamerascheinwerferroboterkränen, windet sich. Diese Stimme in diesem Song rührt mich immer wieder zu Tränen. Was sich auch nicht verbergen lässt, denn danach kommt...richtig... "Big Time". Grell und bunt und in glasklarem Sound. "We Do What We' re Told" kommt wieder faszinierend gut performed und dann - "In Your Eyes". Okay, Youssou n'Dour ist auch nicht dabei, dafür wieder diese schwarzhaarige Schwedin. Nun. Das sind die Songs, die mich immer wieder bewegen. Von 1986. Die auch in hundert Jahren noch ganz große Klasse sind. Die dutzende Musiker beeinflusst haben. Die mit nichts vergleichbar sind. Das sind Gabriel Songs. Unvergleichlich.
Es folgen noch zwei Zugaben, es wird sich bei allen bedankt, bei der Band, bei der Crew, bei allen. Der letzte Song ist "Biko", zu Ehren des 1977 verstorbenen Steve Biko. Gabriel spricht nochmal zu seinem Publikum, redet über wunderhafte Smartphones und was man damit alles schaffen kann. Steht auf und macht was draus, sagt er durch die Blume. Finde ich sonst sowas immer komisch auf Konzerten, moralinsauer etc - hier passt es. Macht doch mal was Sinnvolles damit.
So endet dann ein Konzert, was technisch und musikalisch mal wieder seinesgleichen sucht. Peter Gabriel in stimmlicher Bestform und Manu Katche...
Allerdings. Zwei Gestern angespielte, unfertige Songs lassen die Hoffnung auf was Neues aufkeimen. Das ist mMn dringend nötig, auch nach dem letzten Album, was schon toll war, aber naja. Was Neues wär mal klasse. Wenn es auch natürlich mal toll war, das komplette Album einfach so von vorne nach hinten mit gewohnt fantastisch-ausgefeilter Show vorgespiel zu bekommen.
Den zweiten Teil fand ich so lala, mir haben doch ein paar Sachen gefehlt, um richtig glücklich zu sein. "Here Comes The Flood", "Lovetown", "Games Without Frontiers" und noch ein paar andere. Ich finde ihn am Besten, wenn er in düstere Abgründe hinabsteigt. Außerdem hasse ich diese Scheiß O2- World. Diese kalte Halle. Was wäre das für ein Fest, ihn mal in der Wuhlheide oder in der Waldbühne sehen zu können. Wahrscheinlich die Offenbahrung. Nun ja, man kann nicht alles haben.
Vielen Dank, immer wieder, Mr. Gabriel.