Skandinavier sind nicht gerade dafür bekannt, besonders heißblütig zu sein. Im Jahre 2004 hat sich in der Stadt Bergen eine Band aufgemacht, mit diesem Klischee gründlich aufzuräumen. Zunächst musste ein eingängiger Name her: Mit der Provokation „Kakkmaddafakka“ ist das schonmal gelungen, trotzdem waren sie in den ersten Jahren ihrer Existenz allenfalls in ihrem Heimatland eine Nummer. Im Jahre 2011 änderte sich das, da schlugen die Norweger um die Gebrüder Vindenes mit dem eingängigen Ohrwurm-Pophymnen-Album „Hest“ ein, das internationale Beachtung fand. Seitdem sind die Jungs ein gern gebuchter Act in Clubs und auf Festivals.
Ich hatte sie seitdem auf meinem Radar und als sie in diesem Jahr mit „Six Month is A Long Time“ ein Album nachlegten, das genau da weitermacht, wo „Hest“ aufgehört hat, haben sie sich auch als Konzertoption angeboten. Es war dann aber eher eine spontane Entscheidung, am Samstag dorthin zu gehen. Leider ist es mir nicht mehr gelungen, meine 100% musikgeschmackskompatible Arbeitskollegin zum Mitkommen zu bewegen und so wagte ich das Experiment im Alleingang.
Als ich dann im „Astra“ aufschlug fühlte ich mich irgendwie im falschen Film und ich wünschte mich instinktiv ein paar hundert Meter westwärts in die „O2-World“ wo Altmeister Peter Gabriel zur gleichen Zeit ein Publikum anzog, das altermäßig besser zu mir gepasst hätte. Was hatte ich erwartet? Ich hatte zwar schon mit überwiegend jungem Publikum gerechnet, was nach meinen letzten Konzerterlebnissen, die ich in meinen Berichten etwas sarkastisch „Gammelfleischpartys“ genannt hatte, eine durchaus willkommene Abwechslung war. Doch, dass ich dann auf zu ein zu 90% weibliches, seeeehr junges Publikum traf, hat mich dann doch etwas verblüfft. Ich erntete dann auch ein paar Was-will-denn-der-alte-Sack-hier-Blicke und fragte mich, welchem Missverständnis ich aufgesessen war. Kakkmaddafakka machen zwar eingängigen Pop, aber sie sind definitiv der Gegenentwurf zu einer Boy-Band. Eigentlich kann man ihre Musik stilistisch gar nicht wirklich einordnen, was immer ein gutes Zeichen ist. In Wikipedia steht zwar Rock-Pop-Rap-Disco ist aber genauso unzutreffend wie jeder andere Versuch sie in irgendein Klischee zu pressen.
Aber bleiben wir chronologisch. Die Vorband war ein Elektropop-Duo, deren Namen ich nicht mitbekommen habe. Aber das war ganz fein. Die vorbereiteten Samples wurden mit einem leibhaft gespielten Bass aufgepeppt und der DJ hängte sich dann auch immer wieder seine E-Gitarre um, der er funkige Rhythmen entlockte und somit eine sehr erfrischende Symbiose aus synthetischer und handgemachter Musik produzierte. Die Mädels um mich herum quatschten allerdings die ganze Zeit und die Kleine neben mir schrie ständig etwas von irgendeinem Burger-Laden, wo man hinterher hingehen wolle. Meiner Bitte etwas leiser zu schreien versprach sie nachzukommen, was ihr nur unzureichend gelang. Als Entschädigung lud sie mich auf eine Zigarette ein, was ich dankend ablehnte.
Der Hauptact begann dramatisch mit einer Konserve: Edvard Griegs „Halle des Bergkönigs“ aus der Peer Gynt Suite. Während sich das Stück seinem furiosen Finale näherte, sprangen diese Typen auf die Bühne und einer schwenkte eine gigantische „Kakkmaddafakka“-Flagge. In diesem Moment begann das (übrigens zu 90% weibliche, hatte ich das erwähnt?) Publikum frenetisch zu feiern und hörte auch nicht damit auf, bevor der letzte Ton verklungen war.
Es ist unglaublich, mit welcher Präsenz , welchem Charme, welchem Sex-Appeal (ja das muss ich selbst als Mann anerkennen) diese Typen das Publikum um den Finger wickeln. Dabei hatten sie das gar nicht nötig, denn die Mädels haben jeden Song textsicher mitgegrölt, was auch nicht so schwer ist, denn alle Songs von denen laden förmlich dazu ein, mitgegrölt zu werden. Ich selbst habe mich davon anstecken lassen und hüpfte mit den Mädels im Takt und sang inbrünstig jede auch noch so sinnfreie Textzeile mit, wie zum Beispiel: „Now I'm gonna be Bill Clinton. Now I'm gonna be Bill Clinton. You can call me Bill. Bill Clinton. You can call me Bill. Bill Clinton.“ Oder „You got someone new I'm just a jealous motherfucker alone! You got someone new, It makes me sad, but you deserve it “.
Der Höhepunkt meiner Belastungsfähigkeit war dann erreicht, als meine „Rauchpartnerin“ sich beschwerte, dass ich ihr die Sicht versperrte und mich darum bat, etwas dagegen zu tun. Ein Blick in die Runde klärte mich auf, was sie meinte, denn die wenigen anwesenden männlichen Begleitungen hatten ihre zu kurz geratenen Mädels auf die Schultern genommen. Meinem Rücken tat das gar nicht gut und als Sonnyboy Pål Vindene sein Chello ablegte, um gerade in diesem Moment einen Song anzustimmen, der da heißt: „Is she, Is she old? Is she old enough for me?“, musste ich herzhaft lachen. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich neben der Band wohl nahezu der einzige Mensch in der Halle war, der erkannt hat, dass „Gangsta“ eine Bob-Marley-Hommage ist, denn er beginnt mit dem Riff von „I shot the Sherrif“ …
Zum Glück durfte ich dann aber meine Schultern wieder entlasten, als der Bassist demonstrierte, dass er auch eine feine Konzertgitarre spielen kann und gesanglich (wie übrigens alle Bandmitglieder) in der Topkategorie anzusiedeln ist. Später bei einem Michel-Jackson-Cover offenbarte er sogar tänzerische Qualitäten inklusive Moon-Walk und In-den-Schritt-Greifen. Was ich so bisher noch nicht gesehen habe, die Jungs leisten sich ein Backing-Duett (die übrigens auch Gelegenheit erhielten sich in einem a Capella-Einspiel gesanglich zu präsentiern), das aber eigentlich so ‚ne Art Chearleader-Rolle spielt. Herrlich selbstironisch unterstützen die Herren im Hintergrund mit tänzerischen Einlagen das Geschehen und bringen die Mädels zum Kreischen.
Also alles in allem eine großartige Show, auch wenn man männlich und weit über 25 ist, wurde man davon mitgerissen. Am Ende der Show zelebrierten sich die Jungs noch, indem sie sich gegenseitig umarmten und Tina Turner „The Best“ schmetterte. Dann alle acht wie in einem Klassik-Konzert Arm in Arm mit Verbeugung. Die Liebeserklärung an meine Stadt, die Axel Vindenes herausbrachte, habe ich ihm sogar abgenommen. Sie haben ihr aktuelles Album auch in der Nalepastraße aufgenommen und beschlossen ihre Deutschland-Tour mit dem gestrigen Konzert. Wie gesagt, ein sehr schöner Abend.
Als sie längst letztmalig hinter der Bühne verschwunden waren, schallten noch lange die Sprechchöre:
Kakkmaddafakka,
Kakkmaddafakka,
Kakkmaddafakka!
Auch wenn dieses Video aus der Tape-TV-Über den Dächern-Serie so total anders ist, als die Show gestern. Es gibt einen Eindruck von den Jungs...