Jojo Moyes - Ein Bild von dir (The Girl You Left Behind)

  • 14:41 Stunden
    ungekürzte Lesung
    Sprecherinnen: Clare Corbett, Penelope Rawlins
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    Zum Inhalt
    Frankreich, 1916. In einem kleinen Ort wird eine junge Frau namens Sophie Lefevre angewiesen, täglich für die deutschen Offizieren zu kochen, die sich in ihrem Hotel treffen. Ihr Ehemann Edouard ist Maler und kämpft im Krieg gegen die Deutschen. Als das Leben noch sorglos erschien, malte er ein Porträt von ihr, das sie täglich an ihn erinnert und das auch dem neuen deutschen Kommandanten gut gefällt.
    Fast ein Jahrhundert später hängt das Bild im Wohnzimmer von Liv Halston, einer jungen Witwe. Auf der Hochzeitsreise in Paris bekam sie es von ihrem Ehemann geschenkt, der vor kurzem plötzlich starb und es erinnert sie an glückliche Zeiten. Solange, bis sie von der Geschichte und dem wahren Wert des Bildes erfährt...


    Meine Meinung
    Nachdem mich "Ein ganzes halbes Jahr" sehr beeindruckt hatte war ich gespannt, auf das neuste Werk von Jojo Moyes und wurde überrascht, wie ganz anders und gleichzeitig genauso gut auch "The Girl You Left Behind" ist. Wieder geht es um ein kontroverses Thema, das emotionales Spannungspotenzial birgt: Beutekunst.


    Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die knapp ein Jahrhundert trennt, die nicht miteinander verwandt sind und doch einiges gemeinsam haben.


    Sophie Lefevre lebt zu Beginn des 20. Jahrhunderts und verbringt nur kurze Zeit mit ihrem Ehemann, eine Zeit des beschwipsten Glücks, bevor der erste Weltkrieg und die Deutschen Einzug in ihr Dorf halten. Ihr Mann Edouard ist schon im Krieg und als sie täglich für die deutschen Soldaten kochen muss, wird ihr Leben im Dorf zu einer täglichen Wanderung über ein dünnes Drahtseil, während sie um das Leben ihres Mannes bangt. Edouard malte vor dem Krieg ein Portrait von ihr und dieses Bild erinnert sie an glückliche Zeiten.


    Eine ähnliche Bedeutung hat das Gemälde für Liv Halston, die es auf der Hochzeitsreise von ihrem Mann geschenkt bekam. Auch ihr war nur eine kurze Zeit des gemeinsamen Glücks vergönnt, bevor er plötzlich starb. Und dann soll sie auch noch das Bild verlieren, weil es scheinbar Beutekunst aus dem ersten Weltkrieg ist...


    Ich muss zugeben, dass ich kurze Zeit genervt war - vermeintlich wieder ein (englischsprachiges) Buch, in dem es nur böse deutsche Soldaten gibt. Aber es stellte sich schnell heraus, dass dies nicht so ganz stimmt und außerdem wird ja aus der Sicht der in Gefahr schwebenden Sophie erzählt. Gerade dieser Handlungsteil ist fesselte mich, weil Jojo Moyes so lebendig vom Leben während der deutschen Besatzung in einem kleinen französischen Ort erzählt. Weniger lebendig, dafür juristisch und moralisch umso interessanter ist der zweite Handlungsstrang um Liv Halston und die Frage, wem das Bild wirklich gehört, was ist Beutekunst und wie weit dürfen/können Nachfahren der (vermeintlich?) ursprünglichen Besitzer wirklich gehen. Wobei ich zugeben muss, dass mich Sophie und ihre Geschichte mehr packte als die der manchmal nervigen und verbohrten Liv.


    Aus diesen beiden so unterschiedlichen Perspektiven webt Jojo Moyes eine dichte Geschichte, in deren Mittelpunkt einige zentrale Fragen stehen: Wie weit geht man für die Liebe eines besonderen Menschen? Wodurch definiert sich diese Liebe? Und wie definieren sich Besitz bzw. Besitzanspruch?


    Beide Frauen stehen unter großem Druck, würden alles für die geliebten Ehemänner aufgeben und zehren von den Erinnerungen an glückliche Zeiten. Sophie gerät immer wieder in Gefahr als Kollaborateurin gesehen zu werden und von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen zu werden. Liv hingegen gilt als rücksichtslose Egoistin, die ein Gemälde behalten möchte, das ihr nicht zusteht und die Regenbogenpresse stürzt sich mit Vergnügen auf den Fall... Manchmal wollte ich Liv schütteln, Sophie fragen, ob der Preis nicht zu hoch ist - doch wer weiß, wie man selbst in ihrer Situation handeln würde. Jojo Moyes gelingt es, Menschen in extremen Lebenssituationen so überzeugend darzustellen, ihre Gedankengänge so glaubwürdig zu beschreiben, dass ich mich in sie hineinversetzen konnte, obwohl mein Leben zum Glück völlig anders verläuft.


    Geschickt jongliert Jojo Moyes die beiden Handlungsstränge, gestaltet dreidimensionale Haupt- und Nebenfiguren, die man am Ende ungern verlässt. Hinzu kommt noch eine interessante Wendung, durch die noch eindringlicher hinterfragt wird, ob moralisch immer vertretbar ist, was juristisch möglich ist.


    Die Stimmen der beiden Sprecherinnen Clare Corbett und Penelope Rawlins passen gut zu den Figuren, deren Emotionen werden mal wundervoll mal beklemmend spürbar.


    Fazit
    Ein unglaublich fesselndes Buch, mit lebendigen Hauptfiguren und zwei sehr unterschiedlichen und interessanten Handlungssträngen. Jojo Moyes wagt sich wieder an ein heikles Thema: Was ist Beutekunst und wie weit dürfen die Erben und die heutigen Besitzer gehen? "The Girl You Left Behind" hat mich noch nach lange nach dem Zuendehören beschäftigt und ich freue mich schon auf das neue Buch von Jojo Moyes, das Anfang nächsten Jahres auf Englisch erscheinen soll.


    PS Der deutsche Titel ist nicht unpassend, der englische finde ich jedoch passender.


    Edit: nächtliche Fehler ausgebügelt. :grin
    Weitere Edits: dt. ISBN eingefügt

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von ottifanta ()

  • Ich habe die unten verlinkte englische ungekürzte Fassung gehört.
    Die oben verlinkte dt. Fassung ist auch ungekürzt,
    13 Stunden und 58 Minuten,
    Sprecherin ist Luise Helm.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Ich fand das Hörbuch auch sehr gut, obwohl ich zugeben muss, dass ich zunächst enttäuscht war, dass der zweite Handlungsstrang am Anfang so ausführlich erzählt wird - und ich doch eigentlich wissen wollte, wie es im gegenwärtigen Handlungsstrang weitergeht...