'Veronika beschließt zu sterben' - Seiten 101 - 146

  • Für mich kristallisiert sich heraus, dass das kein Buch ist, was ich zweimal lesen werde.
    Gerade dieser Abschnitt lässt mich ziemlich bedrückt zurück.


    Vielleicht greifen die Panikattacken Maris, einer Insassin, von der hier genauer berichtet wird, mit kalter Hand auch nach mir (Nicht dass ich welche hätte!)
    Vielleicht kommt es auch vom nüchternen Ton, in dem hier berichtet wird von der Erschütterung der Lebensmauern dieser Frau, die erst versucht zu vertuschen, weil sie sich schämt, dann zaghaft Hilfe sucht, bei ihrem Mann, der ihr nicht helfen kann und die schließlich Hilfe annimmt und findet und damit dem bisherigen Leben und ihrem bisherigen Leben ungewollt und nur scheinbar für kurz den Rücken zukehrt und feststellen muss, dass hinter ihr alles zusammenfällt, was sie sicher glaubte.
    So etwas kommt vor im Leben.


    Veronika befreit sich in diesem Abschnitt. Wovon sie sich befreit, ist soweit klar. Wofür sie sich befreit, bleibt noch ungewiss. Momentan glaube ich, dass sie gar nicht sterben muss, zumindest nicht in den nächsten Tagen. Dr. Igor könnte durch eine Lüge über ihren Zustand das Wiedererwachen ihres Lebenswillens provoziert haben. Patienten darf man nicht belügen, auch scheinbar Verrückte nicht. Verschweigen kann man, sich vage ausdrücken, bare nicht falsche Diagnosen stellen.
    Interessant zumindest, dass Veronika immer Pianistin werden wollte, sich aber den Konventionen beugte und etwas erlernte, womit sie ihr Brot verdienen konnte. Insofern hatte die Mutter doch Schuld.
    Im vorigen Abschnitt habe ich geschrieben, dass man den Weg des eigenen Kindes, im Großen, nicht lenken kann, aber die Mutter hat nicht nur einen Wegweiser gesetzt, sondern auf einer Seitengasse eine Absperrung errichtet, und das macht sie in gewisser Weise doch schuldig.


    Nun zum Autor:
    Schreiben kann er, unbestritten.
    Mir gefällt aber nicht, dass er die Wahrheit zu haben scheint. Ich lese es zumindest so.
    Mir fehlen in den Sätzen großer Wahrheiten ab und an die Wörter "möglicherweise", "vielleicht" oder "sie dachte".
    Möglicherweise (und hier ist das Wort ;-) ) liegt es daran, dass ich persönlich in Stein gemeißelte Klugheiten nicht mag und auch nicht, wenn man mir, ein wenig onkelhaft, die Welt erklärt.


    Coelho-Fans mögen mir vergeben.

  • Hier spielt Zedka eine große Rolle. Wie sie zu ihren Depressionen kam. Ich werde den Regentag jetzt nutzen um den Abschnitt zu beenden und vielleicht auch den nächsten.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Mir geht es wie dir, Clare.
    Mir sind die Weisheiten auch zu offensichtlich. Ich mag sie lieber in der Veränderung der Protagonisten selbst entdecken.
    Trotzdem beschäftigt mich das Buch.


    Die Frage nach der Schuld, die Frage nach dem Sinn- zwei der existentiellsten Fragen überhaupt.
    Veronika selbst gibt ihrer Mutter nicht die Schuld. Irgendwo sagt sie, dass sie erkennt, dass nur sie allein für ihr Leben verantwortlich ist.


    Ich bin jetzt gespannt, was das Zusammenspiel dieser ganz unterschiedlichen Menschen noch zu Tgae fördert.
    Wahrscheinlich "lockt" Veronika Eduard aus seiner Welt heraus, die beiden verlieben sich. Irgendwie tippe ich in diese Richtung.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Sehr interessant finde Mari - wie die Krankheit kam und ihre Betrachtungen kurz vor der Entlassung zur Jurispudenz. Hätte Adam schon einen Advokaten gehabt. :wave


    Mist - Der GöGa reicht dann die Scheidung ein. Wie war das noch mit dem Trauspruch :gruebel Nach unserem Recht hätte Mari wohl auch nicht lange rauszögern können (ca. 5 Jahre). :cry

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • S. 113, der dritte Absatz. Vor allem: „Die Gesellschaft hatte immer mehr Regeln und Gesetze, die den Regeln widersprachen, und neue Regeln, um Gesetzen zu widersprechen.“
    Das ist für mich eine recht zutreffende Beschreibung des heutigen Zustands.


    Und vor allem ein paar Zeilen weiter: „Gleich zu Anfang ihrer Karriere hatte sie schnell ihre naive Sicht von Recht und Gerechtigkeit begriffen, daß die Gesetze nicht geschaffen worden waren, um Probleme zu lösen, sondern um jeden Streit endlos in die Länge zu ziehen.“
    Oder, wie Karen Harter es in ihrem Buch „Der Fluss der uns trägt“ schreibt: „Wie Anwälte eben sind - sie nehmen einen einfachen Sachverhalt, machen ihn so kompliziert wie möglich, bringen ihn zu Papier und lassen den Rest der Welt dann über dessen Bedeutung streiten.“ (Seite 91)


    Über die „Erfindung des Rechts (S. 116) mußte ich etwas lächeln, wenngleich das nicht einer gewissen Logik entbehrt.


    Schließlich S. 135: „Es handelt sich wie bei der Depression nur um ein chemisches Ungleichgewicht im Organismus.“
    Eine auch heute oftmals typische Einstellung.


    Inzwischen hat mich das Gefühl beschlichen, daß Dr. Igor mit seinen Patienten eine Art „Menschenversuche“ unternimmt. Irgendwas stimmt nicht mit ihm und seinen Methoden, und zwar gewaltig nicht.



    Zitat

    Original von Clare
    Für mich kristallisiert sich heraus, dass das kein Buch ist, was ich zweimal lesen werde.
    Gerade dieser Abschnitt lässt mich ziemlich bedrückt zurück.


    Das ist bei mir genau anders. Ich werde das Buch sicherlich nochmals lesen, und bedrückt hat es mich überhaupt nicht.


    Zitat

    Original von Clare
    Uns scheint es allen hier ähnlich zu gehen:
    Es passiert nicht wirklich viel, was wirklich berührt. Jedenfalls geht es mir so.


    Ich muß mich da leider ausschließen. Mich hat das teilweise sehr berührt, und fehlende „Action“ empfinde ich (in Buch wie Film) eher positiv.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zu Veronika kann ich in diesem Abschnitt eigentlich nicht viel schreiben.
    Ob ihr die ganze Befreiungsaktion wirklich hilft mag ich noch zu bezweifeln. Zumindest hat sie dann ein stärkeres Herz als gedacht. :-]
    Inzwischen glaube ich auch nicht das sie wirklich den Herzfehler hat und innerhalb der einen Woche sterben wird.


    Am meisten berührt hat mich eigentlich die Geschichte von Mari. Die Anfälle von Angst so beschrieben zu bekommen ist schon heftig. Dann sagen alle, sie soll sich unbedingt Hilfe holen. Und als sie die für sich beste Hilfe sucht, fallen ihr die Leute ( Ehemann, Anwaltskollegen ) in den Rücken.
    Obwohl ich deren Argumente auf der einen Seite auch verstehen kann, so leid es mir für Mari tut. Eine psychische Erkrankung ist irgendwie immer ein Makel, wobei ich das Gefühl habe, die Krankheiten werden in letzter Zeit ernster genommen. Und es gibt viele Leute die Vorurteile dagegen haben, von daher sind die Bedenken der Anwaltskanzlei berechtigt. Wobei sie aber auch eine Lösung im beiderseitigem Einvernehmen hätten finden können, schließlich wollte Mari ja eh aufhören und brauchte bloß die Bestätigung, das sie selbst kündigt. Irgend eine Möglichkeit hätte es bestimmt gegeben.
    Und ihr Mann? Hm, es heißt zwar in guten wie in schlechten Zeiten, aber das Zusammenleben mit einem Partner mit Ängsten und Psychosen ist wirklich kein Kinderspiel. Er hat sich ja bemüht und nicht gleich die Flinte ins Korn geschmissen. Wenn er das auf Dauer aber nicht durchhält und dabei vielleicht selbst vor die Hunde geht, kann ich es ihm nicht verübeln das er den Weg der Trennung wählt.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von Macska
    ...
    Und ihr Mann? Hm, es heißt zwar in guten wie in schlechten Zeiten, aber das Zusammenleben mit einem Partner mit Ängsten und Psychosen ist wirklich kein Kinderspiel. Er hat sich ja bemüht und nicht gleich die Flinte ins Korn geschmissen. Wenn er das auf Dauer aber nicht durchhält und dabei vielleicht selbst vor die Hunde geht, kann ich es ihm nicht verübeln das er den Weg der Trennung wählt.


    Prinzipiell stimme ich dir zu. Nur habe ich arge Probleme, eine Trennung gutzuheißen, die nicht auf Augenhöhe geschieht. Einen Anwalt vorzuschicken, das ist feige.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Macska
    Hm, es heißt zwar in guten wie in schlechten Zeiten, aber das Zusammenleben mit einem Partner mit Ängsten und Psychosen ist wirklich kein Kinderspiel. Er hat sich ja bemüht und nicht gleich die Flinte ins Korn geschmissen.


    Das ist wohl Ansischtssache. Ich empfand das schon als "ziemlich bald". Und "in guten wie in schlechten Tagen" ist heute oft nur noch zu einer Floskel erstarrt, genau wie das "bis daß der Tod und scheidet", was zu meiner Zeit sogar in der Eidesformel beim Standesamt enthalten war.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Prinzipiell stimme ich dir zu. Nur habe ich arge Probleme, eine Trennung gutzuheißen, die nicht auf Augenhöhe geschieht. Einen Anwalt vorzuschicken, das ist feige.


    In Augenhöhe wird eine Trennung von einem psychisch kranken Menschen wahrscheinlich nie erfolgen, weil er immer unterlegen ist. Allerdings ist es wirklich nicht die feine Art und Weise einfach nur einen Anwalt schicken und nicht den Mumm zu haben, die Trennungsabsichten persönlich zu überbringen.


    SiCollier
    Hat es nicht erst ein paar Jahre gedauert bis sie sich in Behandlung begeben hat und der Mann hat den Haushalt und die Familie komplett allein geschmissen, weil sie sich nicht außer Haus getraut hat? Oder habe ich da was falsch verstanden und der Zeitraum war kürzer? :gruebel

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von Macska
    SiCollier
    Hat es nicht erst ein paar Jahre gedauert bis sie sich in Behandlung begeben hat und der Mann hat den Haushalt und die Familie komplett allein geschmissen, weil sie sich nicht außer Haus getraut hat? Oder habe ich da was falsch verstanden und der Zeitraum war kürzer? :gruebel


    Ja, trotzdem fand ich das nicht unbedingt richtig, und schon gar nicht die Art, wie er das angestellt hat.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")