Inhalt:
Brandenburg 929: Beim blutigen Sturm durch das deutsche Heer unter König Heinrich I. wird der slawische Fürstensohn Tugomir gefangen genommen. Er und seine Schwester werden nach Magdeburg verschleppt, und bald schon macht sich Tugomir einen Namen als Heiler. Er rettet Heinrichs Sohn Otto das Leben und wird dessen Leibarzt und Lehrer seiner Söhne. Doch noch immer ist er Geisel und Gefangener zwischen zwei Welten. Als sich nach Ottos Krönung die Widersacher formieren, um den König zu stürzen, wendet er sich mit einer ungewöhnlichen Bitte an Tugomir, den Mann, der Freund und Feind zugleich ist ...
Autorin:
Rebecca Gablé, Jahrgang 1964, in einer Kleinstadt am Niederrhein geboren, studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt Mediävistik in Düsseldorf. Wenn sie nicht gerade an einem Roman schreibt, reist sie gern und viel, vor allem in die USA und nach England, oft auch zu Recherchezwecken. Außerdem gehört sie dem Autorenkreis historischer Romane "Quo Vadis" an. Mit ihrem Mann lebt sie unweit von Mönchengladbach auf dem Land.
Meine Meinung:
Ihr ausführliches Nachwort zu dem Buch „Das Haupt der Welt“ beginnt Rebecca Gablé mit den Worten: Jede Geschichtsschreibung ist Fiktion. Und mit diesem Tenor kann der Leser schwelgen in einer Geschichte voller Fakten und Fiktion.
Wohlweislich habe ich das Nachwort erst am Schluss gelesen, denn über die eigentliche Geschichte, die in diesem Buch steckt, sollte man nicht zuviel wissen, damit man völlig unvorbelastet die vielen Aha-Erlebnisse hat wie ich, die Spannung knistern kann und man mithofft und –bangt mit den schnell liebgewordenen Personen. Und derer gibt es eine Vielzahl.
Nicht nur Tugomir, den slawischen Fürstensohn, der innerlich zerrissen ist von der Liebe zu seinem Volk und den Sympathien, die er bald auch einigen seiner sächsischen Feinde entgegenbringt. Dessen slawische Heilmethoden ein erhellendes Licht auf die Möglichkeiten der damaligen Ärzte und Heiler werfen und der damit für einige sehr spannende Höhepunkte sorgt.
Da wäre auch Thankmar zu nennen, der große Bruder von König Otto, der sich mit Ungestüm und Übermut ins Herz des Lesers schleicht und dessen rauhbeinige und ehrliche Art auch Tugomir seine Geiselhaft leichter macht. Der trinkfest und frauenliebend einer meiner Lieblinge in diesem Buch war.
Auch Otto I. ist eine interessante Figur. In Geschichtsbüchern wird er als Mitbegründer des ersten Deutschen Reiches zu Beginn des Mittelalters angesehen und sein Leben wird hier in all seinen Facetten geschildert. Immer eingedenk der Anfangsworte, dass natürlich viele Fakten mit Fiktion zusammengefügt werden müssen, wenn so ein historischer Roman funktionieren soll. Hier möchte ich betonen, dass ich selten ein Buch gelesen habe, in dem das ewige Hin und Her zwischen den Fürsten und Grafen, die politischen Querelen und persönlichen Händel so flüssig und verständlich geschildert wurden, dass ich nie den Faden verloren habe.
Geliebt habe ich auch die Frauen in diesem Buch, die trotz ihrer schwachen Stellung zur damaligen Zeit starke und eigenständige Charakter sind, eine jede auf ihre Art unverwechselbar, zutiefst weiblich und doch stark und ihren Männern treu. Sei es Tugomirs Schwester Dragomira, die mit Otto einen Sohn bekommt, oder Ottos Frau Editha und ihre nicht minder interessante Schwester Egvina – eine richtig emanzipierte und schillernde Persönlichkeit – oder die Frau, die Tugomirs Herz erobert (hier wohlweislich kein Name, damit die Spannung bleibt).
Aber auch die Bösewichte – vor allem zwei Männer und eine Frau – werden eindringlich geschildert und es gehört zu den Stärken der Autorin, ihnen den nötigen Raum zu geben, ihre Motive zu beleuchten und ihr Tun zu erklären, so dass auch sie Tiefe und einen eigenen bösen „Charme“ bekommen. Wie überhaupt alle Charaktere ihre Schatten- und Lichtseiten haben und keiner nicht auch mal einen Fehler beging oder gar Schlimmeres. Für diese menschlichen Abgründe und Schwächen - auch meiner Helden - danke ich der Autorin ausdrücklich.
Schon in der Mitte des Buches war mir klar, dass dies eines meiner Jahreshighlights wird. Das Buch hat mit 860 Seiten keine zuviel – es hätte gerne noch länger dauern dürfen, denn nur schwer und ungern trenne ich mich von den Helden und Heldinnen dieses Buches.
Mein Fazit also: "Das Haupt der Welt" ist ein hervorragend recherchiertes, sehr komplex erzähltes und mit straffem Handlungs- und Spannungsbogen geführtes Buch. Eine Vielzahl an historischen Fakten und liebevoll hineingestrickten geschichtlichen Details werden zu einer bewegenden Geschichte um die Anfänge Deutschlands verwoben. Es fehlen weder Humor und Sarkasmus noch Trauer, Krieg und Grausamkeit. Gute und Böse müssen sterben so wie die Geschichtsschreibung und die Feder von Frau Gablé es wollen und ich war zeitweise erschüttert mit einer Träne im Auge, musste auch mehrmals schallend lachen - und am Ende bin ich glücklich und begeistert dieses Buch genossen zu haben.
10 Punkte - mehr gibt es ja leider nicht.