Die Eroberung von Gibraltar - Rachid Boudjedra

  • Donata Kinzelbach Verlag


    Französischer Titel: La Prise de Gibraltar
    Übersetzt von Eva Moldenhauer


    Kurzbeschreibung:
    Zwei für die algerische Geschichte wichtige Ereignisse (die Eroberung Gibraltars durch den Berberführer Tarik ibn Ziad 711 und das Massaker französischer Truppen 1955 in Constantine) werden ineinander verschränkt erzählt.


    Über den Autor:
    Rachid Boudjedra, geboren 1941 in Aïn Beïda (Ostalgerien), besuchte von 1952 bis 1959 das Collège Sadiki in Tunis, um unter anderem die arabische Sprache zu lernen, die in seiner Heimat verboten war. 1960 wurde er im algerischen Befreiungskrieg, an dem er aktiv teilnahm, verwundet. Später studierte er Mathematik und Philosophie in Algier, danach in Paris. Er lehrte an verschiedenen Universitäten Europas, Nordafrikas, Nordamerikas und des Nahen Ostens. Rachid Boudjedra lebt als freier Schriftsteller in Algier.


    Über die Übersetzerin:
    Eva Moldenhauer, 1934 in Frankfurt/Main geboren, ist seit 1964 als Übersetzerin tätig. Sie übersetzte u.a. Claude Simon, Jorge Semprun, Agota Kristof, Jean Paul Sartre und Lévi-Strauss. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. 1982 mit dem "Helmut-M.-Braem-Preis" und 1991 mit dem "Celan-Preis". 2005 wurde sie für ihre Neu-Übersetzung von Claude Simons "Das Gras" für den "Preis der Leipziger Buchmesse" nominiert.


    Mein Eindruck:
    Bei manchen Büchern von Boudjedras wirkt seine Art zu schreiben auf den ersten Blick absurd. Die Eroberung von Gibraltar gehört sicher dazu. Der Roman fordert einiges vom Leser, denn er ist aufgrund der langen inneren Monologe nicht einfach zu lesen.
    Gegenwart und Vergangenheit scheinen manchmal ineinander über zu gehen, die Ausdrucksart ist kraftvoll und bildreich. Nicht selten gibt es wütende Ausbrüche der Erzähler, die in den Sätzen ohne Kommata oder Absätze eingeflochten werden.


    Was den Roman auch schwierig macht, sind die ständigen Wiederholungen und die Doppelungen. Der zeitgenössische Erzähler Kamil spricht über seinen Freund Tarik, gleichzeitig gibt es aber auch den Berberführer Tarik aus dem Jahr 711, dessen Gefolgsmann Kamil hieß.


    Der heutige Tarik ist Arzt, er war Kriegsteilnehmer im Algerienkrieg. Damals kam es auf beiden Seiten zu Menschrechtsverletzungen. In Constantine in Algerien kam es zum Massaker an Zivilisten, darunter auch Kinder.


    Die Ich-Erzählerperspektive wechselt zwischen Kamil und Tarik. Es gibt sogar noch einen weiteren, den ich namentlich nicht zuordnen kann.


    Es werden Erinnerungen an die Kindheit einbezogen, an Tariks autoritären Vater, an die Misshandlungen durch den Koranlehrer und Schikanen der Franzosen, die Tariks Cousin zu einem radikalen Widerständler werden lässt. Boudjedras Ton ist harsch und unversöhnlich, trotzdem wird ein Verstehen möglich.


    Was ich ebenfalls sehr beeindruckend finde, ist die Art, die historische Vergangenheit aus Gemälden, kunstvollen Miniaturen (Siehe z.B. das Titelbild) zu rekonstruieren.


    Mich haben bisher alle Bücher von Rachid Boudjedra, die ich gelesen habe, überzeugt. Von “Die Eroberung von Gibraltar” war ich regelrecht fasziniert. Grund ist die Komplexität der Darstellung geschichtlicher und zeitgenössischer Themen. Durch Boudjedras außergewöhnlicher Sprachgewalt und den verschiedenen Bewusstseinsstömen erreicht er die Einbeziehung auch von Emotionen und einen allumfassenden Blick.


    Demnächst wird wieder der Literaturnobelpreis vergeben. Da kann ich nur mit dem Zaunpfahl in Richtung Schweden winken.

  • Interessanter Buchvorstellung. Herzlichen Dank dafür. Dein "Wink mit dem Zaunpfahl" in Richtung Schweden finde ich besonders interessant. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Mit Assia Djebar gibt es eine weitere Autorin aus Algerin. Ihre Chance auf den Literaturnobelpreis gelten als weitaus größer.


    Boudjedra wäre wohl eher eine Überraschung.


    BTW: Langsam würde ich mir auch mal wünschen, dass Boudjedras letzter Roman Hôtel Saint-Georges endlich auch in Deutsch übersetzt wird.