Komischer Umgang mit dem Tod

  • Zitat

    Original von Charlotte


    Fotos von ihm ansehen zu können, hat ein paar Tage gedauert. Ich habe mich anfangs nicht getraut. Warum das so war, kann ich heute auch nicht mehr beschreiben. Ich hatte richtige Angst davor, das Fotoalbum zu öffnen.
    Meinen Anrufbeanworter habe ich weggestellt. Ich bin mir sicher, daß dort noch irgendeine alte Nachricht von ihm drauf ist, aber es wäre unheimlich, sein Stimme jetzt zu hören.


    Alles was du für richtig hältst, ist nicht verrückt
    :knuddel1


    Ich habe zu Hause etliche Videos und hunderte von Fotos wo mein Mann drin und drauf zu sehen ist und auch zu hören auf den Videos. Die DVDs, die zuletzt dazu kamen sind von seiner Beerdigung und vom Totenfest.


    An einem Freitagabend oder schon mitten in der Nacht habe ich mir diese DVDs angetan. Von vieren habe ich zwei geguckt, mein Samstag danach war unbeschreiblich .............. ich war am Boden zerstört und bis heute habe ich die beiden letzten DVDs nicht geguckt. Ich kann es nicht, ich will es nicht ............. und auch die Akten über die Umstände des Unfalls und die Zeit zwischen Unfall und seinem Tod ........... ich kann es nicht lesen und ich will kein Foto sehen von dem Führerhaus seines 40to-LKW ............. aber ich habe alles zu Hause, ich könnte jederzeit gucken und lesen wenn ich wollte. Ich hab alles verstaut in seinem Lieblingslederaktenkoffer und da bleibt es bis ich bereit bin.


    Die 'normalen' Fotos von ihm habe ich zu Hause überall herum stehen und die Totenbriefe vor seiner Beerdigung habe ich alle selbst geschrieben, gedruckt und verschickt, da hab ich mir nicht helfen lassen und auch nichts vorgefertigtes machen lassen. Das war allein meine Sache.


    In mancher Hinsicht habe ich sehr zwiegespalten reagiert aber das ist dann wohl so.


    Gabi

  • Was Ihr erzählt, finde ich kein bisschen zwiegespalten oder ähnlich, sondern völlig verständlich und natürlich in der Trauer, ganz normal. Wahrscheinlich geht es den meisten so, welche einen ganz engen Angehörigen verloren haben.


    Ich hab die Gitarre meines Bruders auch immer noch, total verstimmt, doch das bleibt Familienbesitz. Die Fotos meines Vaters kann ich auch nicht lange ansehen, auch jetzt nach 10 Jahren wird mir ganz elend und komisch dabei.


    Ich habe nur eine einzige zufällige Tonaufnahme von ihm. Diese musste ich komischerweise immer wieder anhören, denn sie ist so kurz, ein einziges bäriges Begrüssen des Babys (mein Neffe, der jetzt 11 ist), dass man automatisch das Bedürfnis bekommt, diesen Ton irgendwie zu verfestigen und anzuhalten.

  • Das ist es wahrscheinlich was man will:
    festhalten!


    Und ein Ton, ein Wort oder ein ganzes Gespräch das ist was anderes als ein Bild.


    Wenn sich irgendwo in meiner Nähe Leute in Twi unterhalten dann zucke ich unwillkürlich zusammen ................ diese Sprache beherrsche ich nicht aber sie ist mir so vertraut ............ auch die Art der Sprache, das ist anders als in Deutsch ........... oder es fällt einem nicht so auf ............. da sind immer wieder Laute dazwischen, die ich im Leben nicht gelernt hätte, sie geben Stimmungen wieder oder betonen etwas besonders ......... und manchmal sind es einfach nur Klicklaute in der Kehle, das kann man gar nicht nachmachen.


    Aber ich gehe dann nicht weg, ich höre zu und erinnere mich.


    Gabi

  • Ich träumte vor und nach seinem Tod von ihm, in einem der Danach-Träume begrüsste er mich fröhlich, so wie ich es von ihm kannte und liebte. Da sagte ich ihm offen, er sei doch tot, worüber er völlig überrascht war, so wie es einem real erginge, wenn das jemand zu Dir sagen würde. Ein Traum, den ich nie vergesse.

  • Schön, daß Du Deinen Traum hier geschrieben hast.
    Ich hatte fast den gleichen Traum. Mein Bruder hat mich zu seinen Lebzeiten oft spontan auf einen Kaffee besucht.
    So auch in einem Traum. Ich öffnete ich ihm die Tür und freute mich total ihn wiederzusehen. Er aber war sehr verwundert über meine übergroße Freude. Ich habe es aber im Traum nicht übers Herz gebracht ihm zu sagen, daß er eigentlich tot ist.
    Es gab noch so einen ähnlichen Traum kurz nach seinem Tod. Danach habe ich leider nie wieder von ihm geträumt :-(


    Historikus : Sorry, daß wir hier ein bißchen vom eigentlichen Eingangs- Thema abkommen. Aber ich finde diese Unterhaltung sehr interessant und aufschlußreich.

  • Ich finde es auch schön, wie offen wir hier darüber reden können und wie viele Gemeinsamkeiten und Parallelen da zu finden sind, irgendwie tröstlich, zu wissen, nicht als einzige solche bizarren Momente erlebt zu haben.


    Noch zweimal träumte ich danach von meinem Vater: In einem der Träume wollte ich meinen Vater aus seinem blumigen Grab rausholen, was mir irgendwie durch Zauberkraft gelang. Der Traum hatte absolut Volkssagencharakter.


    Aber durch dieses Zauberritual erweckte ich auch alle anderen Toten des Friedhofs, dabei die Bösen, und ich sah ein, dass es besser war, meinen Vater zurückzubringen und ihn ruhen zu lassen. Von da an träumte ich nur noch schemenhaft von ihm, mein Unbewusstes hatte endlich begriffen, dass mein Vater tot ist.

  • Zitat

    Original von Evelyne Marti
    Ich finde es auch schön, wie offen wir hier darüber reden können und wie viele Gemeinsamkeiten und Parallelen da zu finden sind, irgendwie tröstlich, zu wissen, nicht als einzige solche bizarren Momente erlebt zu haben.


    ich finde diesen thread auch überaus bemerkenswert (und tröstlich)

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • Ja, danke, His, das hast Du. ;-)


    Ich glaube, der Tod hat derart viel Beängstigendes, weil es doch manche sogenannten letzten Fragen aufwirft.


    Meine Mutter erzählt mir manchmal von ihrem Vater und aus ihrer Kindheit. In der Gasse, wo sie als Kind wohnte, lebte gegenüberliegend eine Hellseherin (oder Zigeunerin), welche den Tod der Leute voraussehen konnte, tatsächlich starben dann wirklich die besagten Leute. Mehr weiss meine Mutter nicht, denn diese Frau zog bald darauf weg, bekam wohl selbst einen Schrecken über das Eintreffen ihrer Voraussagen. :wow
    Solche Dinge beschäftigen mich ebenfalls, kommt ja in allen Kulturen vor, auch in der Bibel.

  • Ich habe auch oft Träume/Visionen gehabt, wo ich einiges vorrausgesehen habe, was dann auch wirklich passiert ist.


    An dem Wochenende allerdings, als mein Bruder starb (er starb an einem Samstagmorgen und wurde am Nachmittag des folgenden Dienstags von mir gefunden) habe ich weder etwas gefühlt, noch geträumt.
    Es war für mich ein total normales Wochenende und ich habe noch nicht einmal besonders oft oder intensiv an meinen Bruder gedacht.


    Mich würde sehr interessieren, ob ihr den Tod einer nahestehenden Person schon einmal im Vorhinein "gefühlt" habt.


    Mich hat es damals ziemlich fertig gemacht, daß ich ein ganz normales Wochenende verbracht habe, während mein Bruder starb bzw. tot in seiner Wohnung lag.

  • Ja, es gab da tatsächlich einen Traum bzw. mehrere Träume in der Familie, welche als Todesahnungen gedeutet werden können. Sie fielen auf, weil alle um meinen Vater kreisten und vorher nie grossartig von ihm geträumt wurde.


    Ich hatte einen Traum, mein Vater selbst (obwohl er sich sonst nie an seine Träume erinnern konnte) und meine Schwester. Die drei Träume wurden in der Familie thematisiert, vorher sprachen wir eigentlich nie detailliert über Traumdeutung.


    Alle drei Träume können auf den Tod meines Vaters hin gedeutet werden. Natürlich ist es leicht, im Nachhinein so zu interpretieren, doch wir alle hatten ein merkwürdiges Gefühl, es lag etwas Schweres in der Luft.


    Mein Vater starb an einem Herzschlag, es war also kein absehbarer Tod. Nach meinen bisherigen Recherchen scheinen viele Menschen sowas vorauszuspüren, man beachtet es nur nicht, weil die Signale oft sehr unscheinbar sind.


    Bei meinen Brüdern kann ich mich auch nicht an Träume oder ähnliches erinnern.

  • Ich glaube nicht an Hellseherei, ich denke, dass es sogar normal ist, dass Menschen einen gewissen Instinkt zum Tod haben.


    Wie ist es sonst zu erklären, dass meine Mutter, die in der Altenpflege arbeitet, immer wieder beobachten kann, dass alte Menschen zB obwohl todkrank nicht eher sterben, bis sie etwas erledigt haben, wie zB den Besuch des Sohnes aus Amerika etc.


    Gruß

  • Zitat

    Original von Charlotte
    Mich würde sehr interessieren, ob ihr den Tod einer nahestehenden Person schon einmal im Vorhinein "gefühlt" habt.


    Mich hat es damals ziemlich fertig gemacht, daß ich ein ganz normales Wochenende verbracht habe, während mein Bruder starb bzw. tot in seiner Wohnung lag.


    Am Abend bevor mein Mann starb starb sein Großvater in Ghana, genau 20 Stunden vor ihm. Der 'alte Mann' oder Nana, wie wir ihn nannten ist 104 Jahre alt geworden und eigentlich war abzusehen, dass er bald sterben würde. Er war das Oberhaupt der (sehr großen) Familie und er wollte, dass mein Mann nach seinem Tod seinen Platz einnimmt. Oft hat mein Mann vor dem Bild des alten Mannes gestanden und gebetet, dass der liebe Gott ihn, den alten Mann, noch lange leben läßt ............. würde er jetzt bald sterben, hätte er ein großes Problem. Mein Mann hätte viel Geld aufbringen müssen für Bestattung, Flug usw. und das hätte er zu keinem Zeitpunkt 'übrig' gehabt.


    Na ja, nach deutscher Zeit ist der Großvater in Ghana um 18:11 Uhr gestorben, in Ghana war es 19:11 Uhr. Meinem Mann hat an diesem Abend das Essen nicht geschmeckt, er war müde und, was man bei ihm eigentlich überhaupt nicht kannte, gereizt und nervös. Er sprach davon, dass er am Wochenende unbedingt im Dorf anrufen müsse ............... er fühlte, dass es dem Großvater nicht gut geht. Diese Gefühle hatte er ab und zu und jedesmal war auch irgendwas in Ghana passiert.


    Ich hab an dem Abend wie immer alles vorbereitet für den nächsten Arbeitstag meines Mannes. Den ganzen Abend habe ich das Telefon mit mir herum geschleppt damit ich keinen Anruf verpasse. Worauf ich genau wartete war mir allerdings auch nicht klar. Es kam aber kein Anruf. Wäre uns an diesem Abend mitgeteilt worden, dass der alte Mann tot ist, mein Mann wäre nicht zur Arbeit gegangen.


    In dieser Nacht bin ich nicht, wie so oft in den ganzen Jahren, wach geworden und hab mich von meinem Mann verabschiedet. Am nächsten Morgen habe ich kontrolliert ob er alles mitgenommen hat, sein Handy hatte er vergessen. Alles andere hatte er bei sich. Beim Kaffee kochen habe ich an diesem Morgen sein Glas zerdeppert. Mein erster Gedanke war, haben wir noch solch ein Glas und was wird mein Mann sagen wenn SEIN Glas kaputt ist. Es war kein besonderes Glas und wir hatten einen ganzen Schrank voller Gläser. Ich weiß bis heute nicht, warum ich stundenlang über dieses blöde Glas nachgedacht habe.


    Im Büro ging es mir dann auch nicht so richtig gut, ich hatte den ganzen Morgen über das Bedürfnis, ihn anzurufen. Eigentlich habe ich das nur in Notfällen gemacht aber an diesem Morgen wollte ich wissen, ob er ok ist. Na ja, sein Handy lag zu Hause und ich konnte nicht mit ihm sprechen. Je später es wurde desto unruhiger wurde ich. Gegen 11 musste ich für meine Kollegen Kaffee kochen, einer der Kollegen wollte gegen Mittag seinen Geburtstag feiern. Zu diesem Zeitpunkt war ich total konfus und ich bekam langsam Bauchschmerzen. Den Geburtstag habe ich nicht mitgefeiert, meine Kollegen waren verdutzt über meine 'schlechte Laune', so kannte mich hier niemand.


    Der Unfall passierte um kurz nach 11, gestorben ist mein Mann fast genau 3 Stunden später, auf der Autobahn im Krankenwagen.


    Um diese Zeit war ich im Büro fast kein Mensch mehr, ich hätte heulen können und wußte nicht warum. Vom Büro aus bin ich mit Bauchschmerzen nach Hause und als erstes habe ich in der Küche nachgeschaut, ob seine Arbeitstasche dort ist. War sie nicht und ich wurde langsam konfus. Dabei war es normal, dass er später kam, es gab keine festen Arbeitszeiten und er hat mich immer angebettelt, dass ich mir nicht so viele Sorgen machen soll.


    Als die Polizei um 18:30 zu mir kam war mir klar, dass etwas passiert sein muss ............. und ich habe gebetet, lieber Gott, lass es nur einen ganz normalen Unfall sein ........... Hauptsache er lebt. Na ja, was danach bei uns zu Hause ablief, das habe ich mehr wie einen Film in Erinnerung, Details krieg ich nicht mehr zusammen. Ich weiß nur, dass ich unbedingt zum Krankenhaus wollte, nach Köln, und keiner wollte mit mir fahren. Alle um mich herum haben wie verrückt telefoniert und irgendwann kamen dann etliche Anrufe aus Ghana. Ich habe nichts verstanden, nur etwas von Tod und Sterben und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, woher sie etwas wissen können. Niemand hatte bis dahin in Ghana angerufen. Aber sie wollten uns allen nur mitteilen, dass der alte Mann gestorben ist.


    Bis heute werde ich das Gefühl nicht los, dass die Tode der beiden Männer zusammen hängen. Beide wären nicht mit dem Tod des anderen zurecht gekommen ................... so hatten beide kein Problem damit, beide wußten nichts voneinander.


    Ich bin mir ganz sicher, dass ich etwas gespürt habe und das schon einige Stunden bevor mein Mann starb.


    Nach seinem Tod habe ich viele Träume gehabt in denen er mir 'geholfen' hat Entscheidungen zu treffen. Die Träume wurden immer seltener und mittlerweile träume ich gar nicht mehr. In den ersten Monaten waren sie für mich eine große Hilfe, ganz egal wie andere das sehen.


    Gabi

  • Mein Vater ist vor 5 Jahren an Magenkrebs gestorben :cry. Für mich war das eine sehr harte Erfahrung, denn ich kannte ihn nur als starken Mann der alles übersteht. Als er dann krank wurde, war ich guter Hoffnung, dass er schnell gesund wird. Es sah auch alles gut aus, er kam nach Hause und konnte nur verbunden werden. Dann platzte ihm zu Hause die Galle oder zumindest bekam er an der Galle Schwierigkeiten, so dass sich die ganzen Metastasen im Körper verteilten und er wurde am ganzen Körper gelb.
    Als er dann im Krankenhaus war, dauerte es nur noch wenige Tage bis er starb. Es hat so weh getan.... er war so abgemagert plötzlich und trotzdem hat er mich angelächelt. Er wusste, dass er sterben würde und hat es akzeptiert.


    Am gleichen Abend noch habe ich alle Bilder von ihm herausgeholt und sie mir angesehen. Ich war so kaputt und wollte einfach nur noch, dass das alles ein böser Traum ist und er noch lebt. Es hat so verdammt weh getan und ich spüre diesen Schmerz bis heute noch. Ich seh ihn immer noch vor mir und werde diesen Tag niemals vergessen. Sein Tod hat mich stärker gemacht, aber ich habe einen wunderbaren Menschen verloren.


    Und ich glaube fest daran, dass seit seinem Tod ein Stern über mich wacht, der an seinem Todestag erschien. Er strahlt ganz hell und ich glaube fest daran, dass das mein Vater ist der auf mich achtet.....

    Auch aus Steinen,
    die dir in den Weg gelegt werden,
    kannst du etwas Schönes bauen

    Erich Kästner

  • :knuddel


    Es braucht einfach seine Zeit, um das alles zu überwinden. Jetzt, nach 10 Jahren, schaue ich gelassener zurück, doch gerade in den ersten Jahren tat es wirklich sehr weh. Es ist, als wäre einem das Bein abgeschnitten worden, ein Mensch, der so nah zu einem gehörte, ist plötzlich weg. Noch erst sprach er mit mir, konnte ich seine warme Hand in meiner spüren, und jetzt auf einmal ist sein Leben entwichen, die Hand ganz kalt und welk.


    Ungefähr 2 Stunden vor seinem Herzschlag (er starb um etwa 19 h) zog es mich innerlich zu meinem Vater und ich schritt die Treppe runter, der Wohnstube entgegen, wo mein Vater sich vorwiegend aufhielt. Als ich am unteren Ende des Treppenbogens anlangte, hielt mich etwas zurück.


    Der Raum war von dort aus nicht überblickbar, nur gerade das Fenster, das zum Garten führt. Fahlgelbes Sonnenlicht drang durch das Fenster und mich beschlich zum ersten Mal in diesen Räumen ein kalter Schauer, als würde sich etwas in mir zusammenziehen. Eine todhafte Stille, die nur schwer erträglich war. Das war mehr als ungewöhnlich, denn in den anderen Räumen lag hochsommerliche Schwüle.


    Nein, mein Vater konnte nicht im Raum sein, in dieser eisigen Stille! Ich dachte noch, so etwa wäre es, wenn der Tod in einen Raum treten würde.


    Auf einmal hörte ich ein leises Räuspern, mein Vater musste also doch da sein. Ich ging zu der Couch, wo er lag, was an sich nichts Ungewöhnliches war, denn er hielt dort täglich seinen Mittagsschlaf. Ich schaute deshalb zuerst gar nicht recht hin, sondern atmete erleichtert aus und erzählte ihm gleich, welches todhafte Gefühl mich gerade zuvor beschlichen habe und dass er nun doch hier liege, sei wirklich merkwürdig, so verlassen, wie der Raum mir in seiner todhaften Stille erschien.


    Auf dem Gesicht meines Vaters lag ein weisses Stofftaschentuch, er legte sich immer ein solches zurecht, da das Licht ihn beim Mittagsschlaf störte und er damit besser schlafen konnte. Doch diesmal erwiderte er mit dünner Stimme, ich solle ihn in Ruhe lassen. Die ungewöhnliche Tonlosigkeit in seiner Stimme erschreckte mich, wieder war diese eisige Stille im Raum. Ich eilte zu meiner Mutter, fragte sie, ob irgendetwas vorgefallen sei, doch nichts dergleichen.


    Meine Mutter ging daraufhin runter zu ihm und ich zog mich verwirrt zurück, horchte aber dann doch besorgt nach unten. Ich hörte, wie mein Vater aufstand, es schien alles OK.


    Meine vorherigen Eindrücke konnte ich trotzdem nicht ganz abschütteln. Dieses eisige Gefühl hatte ich nie zuvor in diesen Räumen erlebt, im Gegenteil. Wenn mein Vater seinen Mittagsschlaf hielt, ruhte normalerweise alles in friedlich heiterer Eintracht, wie bei einem schlummernden Baby. Gerade dieser Kontrast erschreckte mich.


    Circa 1 Stunde später kam meine Mutter zu mir, mein Vater war tot...

  • Bei mir war es so, daß ich überhaupt keine Vorahnungen hatte. Klar, habe ich mir Sorgen gemacht, als meine Stiefmutter mich Dienstags anrief und sagte, daß mein Bruder schon den zweiten Tag nicht zur Arbeit erschienen war.
    Das war eigentlich nicht seine Art, ohne Entschuldigung zu fehlen.
    Aber irgendwie war ich trotz allem bis zum Schluß sehr optimistisch, es würde sich alles zum Guten aufklären.


    Seine Wohnung zu betreten war etwas unheimlich. Das hatte aber wohl eher damit zu tun, daß ich ungefragt in seine Privatsphäre drang.
    Im Nachhinein lag ein etwas komischer Geruch in der Luft. Aber den habe ich damals nicht so wahrgenommen. Zum Glück war ich nicht allein. Meine Stiefmutter war mitgekommen.


    Wir hatten die ganze Wohnung durchsucht. Nur im Schlafzimmer hatten wir noch nicht nachgesehen. Meine Stiefmutter war im Wohnzimmer als ich die Hand auf die Türklinke legte.


    Immer noch keine Vorahnung, nur etwas Angst die Tür zu öffnen. Weil ich nicht wußte, was mich dort erwartet.


    Die allererste Sekunde fiel mir ein Stein vom Herzen. Er lag im Bett. Wir hatten ihn gefunden!!! Kein Motorradunfall oder so etwas.
    Aber dieser Gedanke hielt nur den Bruchteil einer Sekunde.
    Dann sah ich was wirklich passiert war.
    Aber in diesem Moment möchte man es nicht wahrhaben. Ich hoffte immer noch auf ein Wunder, daß alles schlimmer aussah als es wirklich war.
    Obwohl ich eigentlich genau wußte, daß er tot ist.
    Irgendwie blockt in diesem Augenblick der Verstand bzw. die Gefühle. Man nimmt sehr wohl wahr, was passiert, nur kann man es nicht begreifen, fassen. Es ist schwierig zu erklären.

  • Zitat

    Original von Branka
    Als er dann im Krankenhaus war, dauerte es nur noch wenige Tage bis er starb. Es hat so weh getan.... er war so abgemagert plötzlich und trotzdem hat er mich angelächelt. Er wusste, dass er sterben würde und hat es akzeptiert.


    Das erinnert mich ein bisschen an meinen Vater. Er war schon lange sehr krank, er verweigerte Arztbesuche und eine OP wollte er sowieso nicht mehr, wahrscheinlich weil er ahnte, dass es nichts mehr bringen würde.


    14 Tage lag er im Krankenhaus, von Tag zu Tag konnte man sehen, dass es ihm immer schlechter ging. Er konnte nichts mehr essen, nicht trinken und man hatte das Gefühl, dass seine Augen von Tag zu Tag größer wurden.


    Eigentlich waren es seine Augen, die mich immer unendlich traurig machten. Er sprach ja kaum noch. Eine Woche vor seinem Tod war ich an einem Sonntagmorgen bei ihm um ihm die Fingernägel zu schneiden und ihn zu rasieren. Meine Mutter hat sich nicht gekümmert und ich wollte ihn so nicht sehen.


    Nachdem ich alles erledigt hatte (es war das erste Mal, dass ich so etwas bei meinem Vater gemacht habe) sah er mich an und sagte:
    'Nimmst du mich jetzt mit nach Hause? Komm, laß uns gehen.'


    Er konnte gar nicht mehr gehen ........... und zu diesem Zeitpunkt hatten wir geplant ihn nach Hause zu holen. Pflegebett und alles was wir für ihn brauchten hatten wir bereits bestellt, ich hatte meinen kompletten Jahresurlaub angemeldet ............... wir wollten, dass er zu Hause sterben kann.


    Das haben wir alles nicht mehr geschafft aber zumindest konnten wir bei ihm sein. Er war zum ersten Mal in seinem Leben in diesem Kreis die Hauptperson und ich denke, er hatte sich das lange verdient.


    Gabi