Joe Lansdale - Das Dickicht

  • Der Autor: Joe Lansdale ist mit Sicherheit einer der originellsten amerikanischen Autoren der Gegenwart, ein Traditionalist ebenso wie ein Erneuerer. Kunstvoll und unbekümmert durchbricht oder ignoriert er Genregrenzen und führt damit dieselben ad absurdum, und trotz seines bereits recht umfangreichen Werkes vermag er immer noch zu überraschen und einfach dadurch die Erwartungen zu erfüllen – eben das man einmal mehr überrascht wird.


    Das Buch: Jack Parker hat gerade seine Eltern verloren und ist mit seiner Schwester und seinem Großvater unterwegs zu seiner Tante.


    Doch dann wird sein Großvater erschossen und seine Schwester von Banditen entführt, und Jack steht plötzlich alleine da. Und er hat nur einen Gedanken: seine Schwester zu befreien.


    Er heuert einen schwarzen Spurenleser an und mit dessen Partner, einem Zwerg, macht er sich auf den Weg hinter den Banditen her, wobei die Verfolgertruppe nach und nach anwächst und zB. durch eine Ex-Nutte und einen Sherriff ergänzt wird.




    Meine Rezension: Vor mehr als 15 Jahren stolperte ich eher zufällig über ein Buch von Joe Lansdale – ich kaufte es, las es und war begeistert – welchem kurz danach zwei weiter folgten, und ich wurde recht schnell ein begeisterter Leser seiner Romane, soweit sie damals auf Deutsch erschienen (inzwischen lese ich Lansdale im Original, um nicht auf Übersetzungen warten zu müssen).


    „The Thicket“ ist nun das neuste Meisterwerk aus der Felder Joe Lansdales, und es erfüllt – bezugnehmend auf mein obiges Geschreibsel – meine Erwartungen nicht nur, es übertrifft sie.


    Wie schon des öfteren wählt Lansdale hier einen jungen Menschen als Erzähler und gibt die Geschichte aus seiner Sicht wieder. Jack ist, als wir ihm zum ersten Mal begegnen ein junges, unschuldiges Landei, auch wenn er schon um die Erfahrung des Verlustes seiner Eltern reicher geworden ist, so ist er doch weit davon entfernt erwachsen oder reifer zu sein. Im Gegensatz zu seiner alles in Frage stellenden und phantasievollen Schwester ist er auch kein großer Denker oder jemand, der Dinge hinterfragt und ihnen auf den Grund zu gehen die Neigung hat.
    Das wird sich bald ändern, und er wird schneller erwachsen, als es ihm lieb ist. Damit ähnelt er Lansdales Hauptfigur aus „Ein feiner dunkler Riss“, in welchem es auch darum geht, das ein Junge zum Mann heranreift, Gut und Böse kennen lernt und beide zu unterscheiden vermag.


    Als Jacks Großvater erschossen und seine Schwester entführt wird ist sein erster und einziger Gedanke die Rettung seiner Schwester – und nicht Rache! Er will niemanden töten, die Bösen sollen verhaftet und von einem Gericht verurteilt werden.
    Dieser Illusion hängt er auch dann noch nach, als er erlebt wie in der nächsten Stadt der Gesetzeshüter seinen Posten aufgibt und den inhaftierten Bankräuber dem Mob überlässt.


    In der Stadt findet er auch seine ersten Mitstreiter, die er anheuert um die Spur der Verbrecher zu finden und zu verfolgen, der Preis ist Jacks ganzer Besitz.
    Eustace schaufelt Gräber und bezeichnet sich selbst als Spurenleser, was von seinem Kumpan, einem Kleinwüchsigen mit dem passenden Namen Shorty immer wieder angezweifelt wird.
    Beide willigen ein Jack zu helfen – nicht aus Nächstenliebe sondern für eine Belohnung.


    Dieses seltsame Paar gehört wohl ohne Zweifel zu Joe Lansdales originellsten Figuren. Keiner von beiden ist wirklich sympathisch, ganz im Gegenteil. Weder das Schicksal des recht hilflosen Jungen noch das seiner Schwester in den Händen brutaler Banditen interessiert die beiden, sie sind hinter einem Gewinn her und berechnen die Wahrscheinlichkeit diesen einzustreichen mit ein.


    Und doch schafft Lansdale das Kunststück das man beide sehr schnell irgendwie mag. Beide sind keine eindimensionalen, einfach nur amoralischen Figuren sondern, das wird recht schnell deutlich, durchaus vielschichtige Charaktere, und die Art ihres Handelns wird als Teil ihrer Erfahrungen einfach als die logische Folge dieser durchaus plausibel.
    (Lansdale ist ein außerordentliches Talent, aber ich denke eindimensionale langweilige Charaktere kann er einfach nicht).




    Ebenso wie der Sherriff und Ex-Kopfgeldjäger Winton, der an dem Kopfgeld interessiert ist, außerdem ist er in der Wildnis nicht mehr zuständig. Doch auch er hat eine Geschichte, einen Hintergrund, und – auch das ist inzwischen Standart bei einer Figur von Joe Lansdale – er entfaltet nach und nach immer mehr Facetten seiner Persönlichkeit.


    Das Thema des Buches ist nicht einfach nur der Kampf „Gut gegen Böse“, den die guten wie im Märchen natürlich für sich entscheiden ohne all zu viel Blut zu lassen, es geht wieder einmal um die Konsequenzen für „den Guten“ im Kampf gegen „das Böse.“ Jack wird mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die er sich in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte ausmalen können und er muß damit umgehen.
    Er muss eine Waffe in die Hand nehmen und auf Menschen schießen und dabei riskieren selber erschossen zu werden. Darum geht es in dem Buch, und selten wurde die Geschichte einer solchen Entwicklung packender und spannender erzählt.


    Auch wenn die Story natürlich an die Geschichte „True Grit“ erinnert haben wir hier, wenn wir bei der Verbindung bleiben, die Erwachsenenversion vorliegen. Lansdale schont seine Protagonisten ebenso wenig wie seine Leser, und gerade beim Showdown am Ende des Buches treffen seine Worte ebenso hart und unerbittlich wie die abgefeuerten Kugeln. (Dieser Showdown gehört mit der Kinoszene aus „Kahlschlag“ zum besten das Lansdale je geschrieben hat)


    Ein Punkt der Lansdales Geschichten über den Durchschnitt erhebt ist seine Ehrlichkeit. Ehrlichkeit mit seiner Story und seinen Figuren, er romantisiert nicht und er schont seine Leute nicht und es kann durchaus vorkommen das eine liebgewonnene Nebenfigur bei einem Schusswechsel getötet wird, und auch seine Hauptfiguren müssen durchaus Federn lassen.
    Andererseits hat man als Leser hier nie das Gefühl das man verscheißert wird oder das eine Szene künstlich so hingebogen wird das bloß kein Guter zu Schaden kommt.


    Und dennoch, trotz alledem schafft er es in diesem Roman eine kleine Lovestory unterzubringen.


    Die Namen von Faulkner und Twain wurden bisher neben einigen andern benutz um Joe Lansdales Werk einzuordnen und zu definieren – spätestens mit diesem Buch ist das überflüssig geworden.


    Man muß nur noch sagen: Das ist ein Buch von Joe Lansdale!


    Edit: Für das Verzeichnis die dt. ISBN eingefügt. LG JaneDoe

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    Von Lansdale kenne ich bisher nur Dunkle Gewässer, welches mir sehr gut gefallen hat. Nachdem sowohl sapperlot als auch du, Bodo, beide der Meinung seid, das wäre einer der schwächeren Romane des Autors, werde ich diesen hier wohl lesen müssen. ;-( Dabei hab ich doch gar keinen Regalplatz mehr.


    "Das Dickicht" ist einer seiner besten Romane, zusammen mit "Kahlschlag" und "Die Wälder am Fluß"!


    Du wirst also Platz schaffen müssen - oder Du machst es wie ich und stapelst in den Ecken..... :chen

  • Dein Wunschlistenelend rührt nun doch mein steinernes Buchhändlerherz:


    Für Eskalina: Die Anti-Rezi:



    Der Autor: Der Texaner Joe Lansdale ist verantwortlich für einige Schundromane, von denen ein paar in einer osttexanischen Heimat angesiedelt sind.


    Das Buch: Ein Bandit erschießt ohne ersichtlichen Grund den Großvater der Hauptfigur und entführt dessen Schwester, woraufhin sich dieser in Begleitung einiger schräger Gestalten an die Verfolgung macht.


    Meine Rezension: Hier ist nun ein weiteres überflüssiges Werk aus der Feder des Schundautoren Lansdale - wie schon einige Male zuvor aus der sicht eines Jugendlichen erzählt, da Erwachsene Charaktere den Autor vermutlich überfordern.


    Dessen Begleiter waren vermutlich lustig gemeint, sind aber - auch das passiert dem Autor hier nicht zum ersten Mal - für einige Randgruppen unserer Gesellschaft nur schwer zu ertragen, da ihre Darstellung rassistisch und obszön ist. Überhaupt befleissigen sich seine Figuren einer viel zu unflätigen Sprache.


    Und dann - der Höhe- bzw Tiefpunkt des Romans: Der Junge treibt Unzucht mit einer Prostituierten! Und wieder zeigt sich das dem texanischen Schmierfink nicht einmal die jungfräuliche Jugend mehr heilig ist.


    Ein zutiefst widerwärtiges Stück Schund! Jawoll!

  • "Anti-Rezi" find ich gut. Bodo hat das Zeugs, daraus ein neues Genre zu erschaffen. Kreative Innovationen, vor allem aus dem verstaubten Buchgewerbe, sind immer gut. Hut ab, Herr Kollege!

  • Das Joe R. Lansdale immer wieder mit den grossen Südstaaten-Erzählern wie William Faulkner oder Mark Twain verglichen wird ist für eingefleischte Fans des texanischen Schriftstellers nichts Neues aber das auf der Rückseite dieses soeben erschienen Romans nun auch noch die Gebrüder Grimm erwähnt werden lässt einem erstaunt die Augenbrauen heben. Als ich dieses Buch ausgelesen habe ging mir spontan der atypische Begriff "Wild West Märchen" durch den Kopf und ich fand diesen so passend, dass er sich in meinem Gehirn festgesetzt hat. Wenn man die klassischen Volksmärchen genauer betrachtet und etwas seziert stösst man regelmässig auf brutale Gewaltszenen die man aber nicht bewusst wahrnimmt und diese teilweise grausamen Geschichten erzählt man dann ohne schlechtes Gewissen seinen (Enkel- / Paten-) Kindern. Vom Grundgerüst und dem Handlungsverlauf her gesehen hat diese Geschichte durchaus was von einem Märchen und dem traditionellen Kampf Gut gegen Böse. Wobei hier die Bösen bis ins Mark verdorben sind und die Guten KEINE strahlenden Helden sind, sondern eine Mischung aus beidem.


    Inhalt: Eine Pockenepidemie rafft in Texas ziemlich viel Menschen dahin, darunter auch die Eltern von Lula und Jack Parker. Zusammen mit ihrem Grossvater wollen sie den unheilvollen Ort verlassen und zu einer Verwandten ziehen. Unterwegs werden sie an einem Flussübergang von Banditen überfallen, der Grossvater wird ermordet und Lula entführt. Jack kann sich ins nächste Städtchen retten. Da erfährt er das die gleichen Ganoven die Bank ausgeraubt und den Sheriff erschossen haben. Die ersehnte Hilfe um seine Schwester aus den Händen der Gauner zu befreien kriegt er "nur" von einem Kopfgeldjäger-Duo, ein Liliputaner der Shorty genannt wird und Eustace, ein hünenhafter Schwarzer. Naja, wenn man die Wildsau namens Keiler dazurechnet die Eustace von klein auf aufgezogen hat und die nun ausgewachsen ist es wohl eher ein Trio. :zwinker Auf den Spuren der Gauner wächst die illustre Truppe um ein Freudenmädchen namens Jimmie Sue, Sheriff Winton und einem Schwarzen der Spot gerufen wird an. Jeder für sich ein absolutes Original und zusammen ein kunterbunter Haufen der einem ein Schmunzeln auf Gesicht zaubert.


    Es wird kein genaues Datum genannt aber anhand zahlreicher Hinweise müsste sich diese Geschichte so um bzw. kurz nach 1910 abgespielt haben. Eine Zeit also, in der sich der klassische Wilde Westen wie wir ihn uns mit Indianer, Cowboys und Farmer auf Pferden vorstellen dem Ende zu neigte und dem sich rasant verbreitenden technischen Fortschritten weichen musste. Aber Lansdale serviert der Leserschaft hier nochmals einen traditionellen Western aber mit höchst eigenwilligen Hauptfiguren. Lösen muss man sich vom verklärten Bild das die vielen Western-Filme vermitteln. Hier geht es brachial, brutal und sehr blutig zu und her. Es verstreichen kaum zwanzig Seiten ohne das jemand umgebracht, eine Leiche aufgefunden oder jemand arg gequält wird. Der Autor bricht die Vehemenz dieser Szenen indem er sie kurz hält, mit pechschwarzem Humor unterlegt und dann spornstreichs die Handlung vorantreibt. Aber für Leser/-innen die sowas nicht vertragen ist dieses Buch eh absolut nix. Eine zarte Liebesgeschichte bildete den Kontrast zum rauen Umfeld und natürlich steuert alles auf ein furioses Finale hin und enden tut es ...


    Joe R. Lansdale ist mit diesem Werk ein Bravourstück gelungen. Ein knochenharter Western mit pechschwarzen Pointen aufgelockert und skurrile Hauptfiguren mit glasklaren Kontouren die hie und da die Leserschaft überraschen, besonders Shorty sei in diesem Zusammenhang erwähnt. Die literarische Qualität nüchtern betrachtet ist gut, den Unterhaltungsfaktor find ich sogar Top! Ich würde die Geschichte gerne verfilmt sehen ... Wenn die Gebrüder Grimm noch am Leben wären, würden sie diese Erzählung umgehend in ihre Märchensammlung aufnehmen. Garantiert. Wertung 9 bis 10 Eulenpunkte.

  • :bruell Bodo! Warum steht das Buch unter Zeitgenössisch? ?(


    @ Tilia Salix Ich hab nicht geschrieben das "Dunkle Gewässer" ein schwächerer Roman von Lansdale ist. Er ist nur nicht ganz so gut wie seine Besten ... :grin