Stören euch Idiome?

  • Liebe Eulen,


    ich lese gern und viel und beschäftige mich auch mit Sprache. Ich habe schon oft darüber gegrübelt, wie sinnvoll oder notwendig die Eliminierung von Idiomen in Texten ist. Mich würde eure Meinung dazu interessieren.


    Wie sehr stören euch umgangsprachliche (meist einer Region zugeschriebenen) Wörter in einem Roman?


    Aktuelles Beispiel, über das ich (wieder einmal) gestolpert bin, ist das Wort "eh". Gefunden habe ich es heute in der Leseprobe zu Judith Kuckarts "Wünsche", das es sogar auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2013 geschafft hat.


    Der Satz lautet:


    So uralt wie das Bild, das Karatsch von ihr hat, kann sie eh nicht mehr werden.


    Ursprünglich hielt ich das "eh" für ein Idiom des süddeutschen Raumes (wie das auch im Duden so aufgeführt ist). Allerdings habe ich es nun schon mehrmals bei Autoren aus dem Nordrhein-Westfälischen gefunden. Ist es eventuell sogar noch weiter verbreitet und ist deshalb gar kein Idiom mehr?


    Ich finde, es klingt sehr flapsig und stößt mir in einem Prosatext einfach etwas unpassend auf. Wie seht ihr das?


    LG, Rosha :wave

  • Ganz unterschiedlich. Es gibt Bücher, da passt es einfach. Bei anderen Büchern hat es mich gestört, obwohl Mundart bzw. Soziolekt - objektiv betrachtet - durchaus sinnvoll ist. Ein Beispiel für letzteres ist der Roman Tannöd, den ich sehr unangenehm zu lesen fand.


    Grundsätzlich geht es mir wohl so: je näher verwendete Idiome meiner eigenen Sprache sind, desto weniger stören sie mich. Wobei: Wiener Dialekt finde ich klasse. Ansonsten bin ich dem s-pitzen S-tein und dem Plattdeutschen näher als dem Bayerischen. Soziolekte finde ich meistens spannend, aber da kommt es sehr auf den Anteil am Gesamttext an.

  • Zitat

    Original von Bodo
    Wie bei allen schriftsprachlichen Stilmitteln kommt es mir darauf an ob es tatsächlich passt.


    Es ist wie mit Gewürzen: Zuviel von etwas verdirbt auch das leckerste Essen


    Schließe mich Bodo an und muss leider offtopic-mäßig zugeben, dass ich erst "Stören euch Idioten?" las. :lache

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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  • Umgangssprache stört mich in Büchern - wenn es passt - überhaupt nicht.
    Richtiger Dialekt hingegen gefällt mir gar nicht. Mit "richtiger Dialekt" meine ich, wenn es eben so geschrieben ist, wie es gesprochen wird: I mog net; dat is aba nich richtich.
    Wenn aber nur bestimmte Wörter verwendet werden, die eben etwas "salopp" sind, stört mich das nicht.


    Ich komme aus dem Ruhrpott und verwende leider häufig das Wort eh. Daher wäre ich da nie auf die Idee gekommen, das als Idiom zu sehen. Ich dachte immer, Idiome sind Wörter oder Kombinationen, die eigentlich eine ganz andere Bedeutung haben, aber eben regional bedingt oder aus sonstigen Gründen (Jugendslang etc.) eine völlig neue Bedeutung erhalten.
    Also z.B. geil für toll. Warmduscher/Weichei/Waschlappen für einen Menschen, den man für schwach und feige hält.


    Darum hat man gerade mit den Idiomen ja auch so Probleme, wenn man Fremdsprachen lernt. Da kann man sich dann schon mal fragen, warum die arme Frau gestern mit einem Waschlappen im Bett war und der Sex nicht gut. :lache

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Frettchen ()

  • Ich störe mich nur zu einem Teil an so etwas.


    Das mag jetzt vielleicht regionalrassistisch klingen, aber wenn ich einen amerikanischen Roman lese und der Übersetzer ist bayrischer Herkunft und ich lese überall hernehmen und herzeigen, dann könnte ich durchdrehen! :rolleyes


    Edit: Ich glaube nämlich nicht, dass Übersetzer aus anderen Bundesländern soviel von ihrem Lokalwortschatz in Übersetzungen einfließen lassen, wie die bayrischen. Mag ein Vorurteil sein, aber so ist es mir bisher erschienen.

    Sorry, I can't hear you over the sound of my awesomeness. :putzen

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Dori ()

  • Ich glaube, solche Idiome fallen einem nur dann auf, wenn sie auf einen störend wirken. Wenn sie sprachlich in das Gesamtbild passen, fallen sie auch nicht auf.


    Und das im Eingangspost zitierte "eh" wäre mir (genau wie Frettchen) gar nicht aufgefallen, da es für mich normale Sprachnutzung ist.

  • "eh" wäre mir auch nicht aufgefallen. Und stören tut es mich auch nicht.
    Witzig finde ich in dem Zusammenhang, wie man eben seinen eigenen Sprachraum oftmals als allgemein gültig empfindet, weil man sich nie Gedanken darüber gemacht hat.


    Ich habe zum Beispiel lange gebraucht, bis ich verstanden habe, dass Wörter wie "daheim" und "allmächt" oder auch "fei" sowie "freilich" nicht unbedingt jeder in Deutschland in seinem Sprachgebrauch hat. :lache
    Als Entschuldigung gilt vielleicht, daß ich nicht aus einem Deutschen Haushalt komme. :lache


    Aber trotzdem. Vielleicht sind wir ja hier im Süden auch etwas ignorant.


    Zum Thema nochmal würde ich sagen, ganze Dialekt-Passagen würden mich stören..ein Paar Idiome verstreut macht mir nichts aus. Insbesondere wenn es zum Charakter passt und ihn authentisch macht, dann fände ich das sogar förderlich.


    LG,
    Sibel

  • Wie bei den meisten: das Maß macht's. In Regionalkrimis wird es für meinen Geschmack oft schon übertrieben. Andererseits finde ich gerade dort einzelne regionaltypische Ausdrücke und Besonderheiten im Satzbau "anheimelnd".


    Rita Falk zum Beispiel. In "Dampfnudelblues" habe ich nur mal kurz in einer Buchhandlung reingelesen und bin nicht mal bis zur Mitte der ersten Seite gekommen. Für mich völlig unlesbar, weil es die Grenze zur Schriftsprache verwischt. Im Bairischen sagt man, wenn jemand hochdeutsch spricht, nicht umsonst, der "red't nach der Schreib'n".

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Josefa ()

  • Das hängt davon ab, ob ich einen Originaltext oder eine Übersetzung vor mir habe und zu welcher Zeit das Buch spielt. Ich vermute, wenn heute Jugendliche mit arabischen und türkischen Begriffen nach Hause kommen, dass sich Idiome zukünftig vermischen oder abschleifen könnten. Wenn in einem übersetzten Text ein Franzose oder ein Amerikaner in süddeutscher/österreichischer Mundart spricht, ohne dass diese Eigenart konsequent bis in den Wortschatz durchgezogen wird, stört mich das, weil ich unterstelle, der Übersetzer wäre sich seiner eigenen Mundart nicht bewusst. Auch bei einem Roman, der zu einer Zeit spielt, in der die Menschen weniger mobil waren als heute, stört mich Mundart am falschen Ort als Inkonsequenz. Ein Hamburger von 1925 ging nicht "in die Arbeit", aber ein Österreicher. Die sprachliche Wendehalsigkeit einer Figur stört mich weniger, wenn sie in der Biografie (z. B. durch die Herkunft eines Familienmitglieds) glaubwürdig angelegt ist.


    Wenn ein Buch nicht nur regional verkauft werden soll, müssen sich Autor und Verlag klar darüber sein, dass Idiome im restlichen Deutschland merkwürdig wirken können. In Leserunden und anderen Meinungen zu Büchern fällt mir häufig auf, dass regionale Ausdrücke schlicht nicht verstanden werden. Wenn jemand Geschenkpapier "umzu" macht und Leser erst nachfragen müssen, verpufft damit die (un-(?))beabsichtigte heimelige Wirkung des Idioms. Der Eindruck, bayrische Autoren und Übersetzer würden ihren Dialekt stärker einfließen lassen, könnte daherrühren, dass sich andere Regionen ihrer Dialektausdrücke bewusster sind - oder weniger Sendungsbewusstsein haben. Ich würde mir z. B. in Bayern keine Boulettte bestellen. :chen

  • Wenn Idiome dazu dienen, wörtliche Rede authentisch darzustellen, ist es für mich okay. Im Fließtext oder gar in Übersetzungen haben sie meines Erachtens nicht verloren. Ich komm aber auch aus dem hochdeutschen Raum (wenn es denn sowas gibt).


    /Die Vorschau zeigt mir gerade mein geliebtes Bremer "umzu", das in der Tat auch im Buch nichts zu suchen hat, :lache

    With freedom, books, flowers and the moon, who could not be happy? - Oscar Wilde


    :lesend Rock My World - Christine Thomas

  • Buchdoktor : die Bayern legen tatsächlich großen Wert auf ihren Dialekt. Hier im Ruhrgebiet ist es eher umgekehrt. Da gilt man recht schnell als ungebildet, wenn man "wat" und "dat" "sacht".


    Da ich das Wort "fei" überhaupt nicht kannte, habe ich Google bemüht und bin tatsächlich auf diese Seite gestoßen. Was es nicht alles gibt. :lache

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Mich stören diese Ausdrücke nicht. Ich kann mich auch an kein Buch erinnern, in dem so etwas wie "eh" vorgekommen ist. Vielleicht hatte ich bisher einfach Glück oder ich habe in zu vielen verschiedenen Gegenden gewohnt, so dass mir diese Worte nicht mehr auffallen.


    Unnötige Anglizismen, die man sich in jede Richtung zurechtbiegen kann, mag ich überhaupt nicht. :fetch

  • Ich mag generell eher Romane, die in "reinem" Hochdeutsch geschrieben sind, also ganz ohne Dialekt und entsprechend auch ohne Idiome. Allerdings gibt es Bücher, in denen es ganz einfach paßt.
    Das gilt auch für Übersetzungen und ich ziehe meinen Hut vor allen Übersetzern, die es schaffen, bestimmte Dialekte einer Sprache in einer deutschen Übersetzung herauszuarbeiten. Das geht manchmal einfach nicht ohne Idiome.

    liebe Grüße
    Nell


    Ich bin zu alt um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein (Goethe)

  • Zitat

    Original von Frettchen
    Buchdoktor : die Bayern legen tatsächlich großen Wert auf ihren Dialekt. Hier im Ruhrgebiet ist es eher umgekehrt. Da gilt man recht schnell als ungebildet, wenn man "wat" und "dat" "sacht".


    Genau das ist es, was viele den Bayern auch übel nehmen. Statt sich verschämt zu ducken, sich für den Dialekt zu entschuldigen und ihn zu verstecken, stellen sich diese impertinenten Lackln noch hin und sind stolz drauf! :lache Ich darf das sagen, ich bin gebürtige Bayerin. "Mia san mia!" wird da schon mit der Muttermilch aufgesogen.


    Aber mal im Ernst: Bei Texten versuche ich bayerische Idiome zu vermeiden und musste feststellen, dass das nicht immer gelingt, bzw. dass man gut daran tut, sich einen außerbayerischen Testleser zu suchen. Manche Begriffe sind derart im Sprachgebrauch verwurzelt, dass man sie nicht als Idiome erkennt. Ich musste zum Beispiel erst darauf aufmerksam gemacht werden, dass "heuer" kein deutschlandweit gebräuchliches Wort ist. :grin

  • Zitat

    Original von Rosha
    Manche Begriffe sind derart im Sprachgebrauch verwurzelt, dass man sie nicht als Idiome erkennt. Ich musste zum Beispiel erst darauf aufmerksam gemacht werden, dass "heuer" kein deutschlandweit gebräuchliches Wort ist. :grin


    Als irrtümlich klein geschriebenes Einkommen eine Seemannes? ... :rofl

  • Zitat

    Original von Josefa
    Rita Falk zum Beispiel. In "Dampfnudelblues" habe ich nur mal kurz in einer Buchhandlung reingelesen und bin nicht mal bis zur Mitte der ersten Seite gekommen. Für mich völlig unlesbar, weil es die Grenze zur Schriftsprache verwischt. Im Bairischen sagt man, wenn jemand hochdeutsch spricht, nicht umsonst, der "red't nach der Schreib'n".


    Rita Falk hat etwas Besonderes gemacht: Sie hat Schriftsprache um die bairische Grammatik herumgebogen. Sie verwendet (fast) keine Idiome oder Dialektausdrücke (sonst würde keiner mehr jenseits der Weißwurstgrenze den Text verstehen), sondern hat einem bayerischen Darsteller ein hochdeutsches Gewand umgelegt. Für mich der Inbegriff von lesbarer Authentizität. Der Text und die Figuren "fühlen" sich dadurch bayerisch an.


    Ganz anders hat es Ulla Hahn gemacht. In "Das verborgene Wort" lässt sie ihre Protagonisten Dialekt sprechen und hat den Fließtext hochdeutsch gehalten. Auch diese Mischung hat mir sehr gut gefallen.


    Allerdings wird hier ganz bewusst mit Sprache und Dialekt gearbeitet. Ich sehe einen großen Unterschied zu "versehentlich" eingefügten Idiomen. Die entspringen vielmehr der geografischen Heimat des Autors/Übersetzers und sind (meist) nicht als Stilmittel geplant.