Connie Palmen las am 16.September 2013 in Hamburg

  • Connie Palmen las am 16.September 2013 in der Kirche St. Katharinen zu Hamburg


    Schon lange hegte ich den Wunsch, die niederländische Autorin Connie Palmen, die durch ihre Romane "Die Gesetze" und "I.M." u.a. einem großen Publikum auch außerhalb ihres Landes bekannt geworden sein dürfte, auf einer Lesung zu erleben.
    Ihre neueste Arbeit "Logbuch eines unbarmherzigen Jahres" sollte Grund genug gewesen sein, die Schriftstellerin im Rahmen des Harbour Front Festivals an die Elbe einzuladen. Das Buch, das sich als eine Art Tagebuch über den Verlust ihres zweiten Ehemannes und großen Staatsmannes Hans van Mierlo versteht, wird von Connie Palmen selbst als lose Kritzeleien über die Trauer, denen später eine Form gegeben wurde, an diesem Abend bezeichnet.


    Veranstaltungsort an diesem kalten Septembertag ist die schlichte, erst kürzlich renovierteund wärmende Kirche St. Katharinen. So mancher der geschätzten 150 Zuhörer dürfte sich vor der Lesung gedacht haben, dass es keinen passenderen Ort als eine Kirche für einen Abend über Trauer und Verlust gibt. Die Autorin wird es an diesem Abend anders sehen.
    Schriftstellerin Connie Palmen und Moderatorin Heide Soltau erscheinen gut gelaunt und pünktlich um 20 Uhr auf dem Podium. Nach einem Begrüßungswort der Pastorin leitet Heide Soltau in die Lesung ein und gibt den Rahmen der Veranstaltung vor. Connie Palmen, die ohne Übersetzer auskommt, berichtet anfänglich, wie es zu diesem mit "I.M." scheinbar vergleichbaren Buch kam. Im Gegensatz zum Roman über den Verlust ihres ersten Mannes erzählt sie, dass sie nicht in der Lage war, ihre Aufzeichnungen in eine Romanform zu gießen. Vielmehr beginnt sie 48 Tage nach dem Tod ihres zweites Mannes mit losen Kritzeleien, will die Trauer, die sie umgibt einfangen und Erinnerungen festhalten. Als Tagebuch möchte sie ihre Notizen nicht verstanden wissen, erinnern sie doch an schwärmerische
    Mädchenaufzeichnungen und nennt deshalb ihre Kritzeleien Logbuch.


    Nach der ersten Lesung über den 48.Tag versucht die Moderatorin mit Connie Palmen ins Gespräch zu kommen. Doch das misslingt merklich.
    Ersichtlich ist, dass die beiden Frauen keinen Draht zueinander haben, die Fragen an den Gast des Abends unglücklich gewählt wurden und Connie Palmen ihre Gesprächspartnerin ihre intellektuelle Überlegenheit deutlich spüren lässt.
    So bleibt wenigstens noch Zeit für einen weiteren, eindrucksvollen Leseabschnitt, der sich mit Literatur beschäftigt, in deren Mittelpunkt ebenfalls das Abschiednehmen steht. Connie Palmen erklärt nach dieser zweiten Passage, dass es sich bei ihrem Logbuch keineswegs um ein Ratgeberbuch, sondern um ein Buch über ihr Leben, das so ganz anders als das vieler Menschen verläuft, handelt. Mit dem Vorwurf - ihre Bücher seien intim - konfrontiert, erwidert sie scharfsinnig, dass die Intimität nur ein Effekt ihrer wahrhaftigen Schreibe sei.
    In der Kirche ist es still geworden, Heide Soltau will sich erneut einbringen und fragt die Autorin, was es für sie bedeute, in einer Kirche zu lesen. Mit niederländischem Humor antwortet Connie Palmen, dass es überall das gleiche Theater sei.


    Im Anschluss - es ist mittlerweile 21.30 Uhr - bietet sich die Gelegenheit, Bücher signieren zu lassen. Weit vorn stehe ich in der Reihe, vor mir einige ältere Damen, eine spricht Connie Palmen, die an diesem Abend in einem blauen Blazer und mit Gold- und Perlenkette erschienen ist, an. Es folgt ein sehr kurzes niederländisches Gespräch, auf das sich die Moderatorin veranlasst sieht, nach Rücksprache mit der Autorin einige energische bis disziplinierende Worte an die Signierwilligen zu richten, von denen geschätzt noch 50 hinter mir stehen. Die Dame vor mir flüstert
    in Richtung Autorin nur noch:"Ich bewundere ihre Intelligenz." Ich denke mir meinen Teil, lasse "I.M." signieren und verzichte aus Gnatz auf einen Kauf des Logbuchs.


    Später sitze ich in der U-Bahn, das Licht ist schummerig und in der Fensterscheibe spiegelt sich mein Gesicht.
    Ich frage mich nicht zum ersten Mal, warum ich die Anstrengungen in Kauf nehme, eine Karte zu organisieren und eine Anfahrt von 90 Kilometern zu bewältigen. Es kann wohl nur an meiner Unbelehrsamkeit liegen...

  • Vielen Dank für diesen interessanten Bericht.
    Seinerzeit bekam ich I.M. weitervererbt, mit dem Hinweis, die Verschenkende sei nicht damit warm geworden. Ich habe exakt bis zu der Stelle gelesen, als die Prota sich in die Hose gemacht hat, wohlgemerkt aus Verliebtheit! :yikes Das war der Moment, an dem das Buch und ich uns scheiden mussten, obwohl wir noch kaum zusammen gekommen waren. :grin Ganz ernsthaft, das ist eins der wenigen Bücher, das ich tatsächlich in die Papiertonne geworfen habe.


    Und weil das Leben einen manchmal gar lustigen Humor hat, habe ich in diesem Jahr zum Geburtstag das "Logbuch" geschenkt bekommen. :rolleyes


    Nach deinem Bericht, liebe Salonlöwin, kann ich nun zumindest erahnen, dass die Autorin ein Mensch ist, der zum Lachen in den Keller geht. :keks


    Darf man Buchgeschenke zur Adoption freigeben? :gruebel

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Franz Kafka

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  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Rosha, lies es wenigstens an. Schließlich hat Frau Palmen nicht nur einmal betont, dass sie nur fürs Publikum schreibe ;-).
    Die Idee, die Stadien einer Trauer zu dokumentieren, seine Gefühle in Worte zu fassen, gefällt mir und ist ein großer Schatz, eigentlich ein Nachlass für einen selbst.


    Ja, du hast schon recht, ich sollte zumindest mal reinschauen. Vielleicht ergibt sich ja zum Thema Trauer eine gemeinsame Kommunikationsebene, bzw. eine empathische Basis zwischen der Autorin und mir.


    Jeder trauert anders, vielleicht kann ich das nachvollziehen. Das Verlieben in I. M. war mir dann doch zu "exotisch". :grin Der für mich einzige, plausible Grund, sich in die Hose zu pinkeln, ist Angst. Okay, vielleicht noch eine schlechte Blase..., aber definitiv nicht Verliebtheit. :pille

  • "I.M." war ja damals in aller Munde und ich bin auch um das Buch herumgeschlichen. Dummerweise/Glücklicherweise habe ich aber vorher ein ausführliches Interview mit der Autorin gelesen, das mich davon abgehalten hat, dieses (oder auch nur irgendein anderes) Buch der Autorin zu kaufen. :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Den Bericht fand ich sehr interessant, danke dafür.


    Es klingt für mich so, als wäre die Moderatorin nicht sehr souverän, vielleicht sogar schlecht vorbereitet. Ein guter Autor sollte das überspielen können, aber einfach ist das sicher nicht immer.
    Immerhin hatte ich vor ca. 10 Jahren auch mal eine Lesung mit Connie Palmen gesehen, da kam sie mir eigentlich gelassen und humorvoll vor.


    Manchmal frage ich mich, wie die Moderatoren ausgewählt werden, da ich dieses Jahr bei Harbour Front auch eine katastrophale Moderatorenleistung bestaunen konnte. Da hat der Autor aber mit Ironie gekontert und auch einen guten Draht zum Publikum gefunden. So war jedenfalls mein Eindruck.

  • Die Lesung, scheint mir, ist für Dich gründlich vor den Baum gegangen. Schade.


    Wenn Du weiterhin Bücher suchst, in denen es um die Verarbeitung von Trauer und Verlust (eh zwei verschiedene Sachen) geht, kann ich Dir das unten hoffentlich verlinkte von Joan Didion empfehlen. Sie beschreibt darin das Jahr, nachdem ihr Mann ganz plötzlich starb, während eines gemeinsamen Abendessens. Ich hatte es vor ein paar Jahren gelesen, als dann für mich ein Jahr magischen Denkens begann (oder der Versuch), konnte ich aus der Erinnerung einiges an Fundament für meinen Alltag finden. Lesen kann ich es allerdings derzeit immer noch nicht wieder. Schade.


    Edit(h) sagt, ich Depperle habe sogar schon eine Rezension geschrieben.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von blaustrumpf ()

  • Hallo Vorleser,


    woher wusste ich nur, dass Dir die beiden Bücher gefallen :grin?



    Hallo blaustrumpf,


    danke für einen Tipp, den Connie Palmen ebenfalls während ihrer Lesung gegeben hat. Ebenso hat sie auf Joyce Carol Oates und Simone de Beauvoir verwiesen, die sich auch literarisch mit dem Tod ihrer Gefährten auseinandergesetzt haben.