Der verstrahlte Westernheld - Rudolph Herzog

  • Auch wenn es natürlich immer noch eine gewisse Bedrohung durch Atomwaffen gibt, die von irgendwelchen Diktatoren, aber auch von einigermaßen stabilen Demokratien wie Indien ausgeht: das Damoklesschwert des atomaren Weltuntergangs, wie es noch in den 80er Jahren das Lebensgefühl einer ganzen Generation prägte, ist Geschichte.
    Vielleicht gerade deshalb ist die friedliche Nutzung der Kernenergie für viele Nationen von einem kleinen renitenten Land in der Mitte Europas einmal abgesehen, Zukunftstechnologie. Das geht soweit, dass die Internationale Atomenergieorganisation und ihr Generaldirektor el-Baradei 2005 den Friedensnobelpreis verliehen bekamen.


    Dass die Kernernergie jedoch keine Technologie ist wie jede andere, zeigt diese kleine Kulturgeschichte der Kernfoschung, man könnte es auch eine vollkommen physikfreie Betrachtung des Atomzeitalters nennen.
    Bekanntlich ist „Der Tod ein Meister aus Deutschland“, und so beginnt auch Herzogs Buch in Deutschland. Denn obwohl Hitler nicht sehr weit bei seiner Entwicklung von Atomwaffen kam, nutzten sowohl die sowjetische, als auch die us-amerikanischen Siegermacht das Wissen deutscher Wissenschaftler zur Entwicklung ihrer eigenen Bombe.
    Stand damals zunächst die enorme Sprengkraft der Atombombe im Fokus des Interesses, war spätestens 1945 zumindest den Militärs auch die enormen Gefahren bekannt, die mit der radioaktiven Strahlung einhergehen.


    Doch das verhinderte natürlich nicht den „Irrsinn aus dem Atomzeitalter“, von dem Herzog hier berichtet: Während die Amerikaner mangels Kolonien ihre eigene Bevölkerung, etwa den besagten Westernheld John Wayne, verstrahlten, bombten Franzosen und Engländer im fernen Pazifik und Australien, von den sowjetischen Versuchen in der kasachischen Steppe ganz zu schweigen.


    Doch neben diesen ganz offensichtlichen Schweinereien, gräbt Herzog auch andere Kuriositäten des Atomzeitalters aus. Dazu gehören die manchmal fast verzweifelten Versuche, die bisher rein militärisch genutzte Kernenergie auch für zivile Zwecke nutzbar zu machen.So ist etwa das Modell eines atomgetriebenen Autos fester Bestandteil der Ikonografie der 50er Jahre. Doch es gab auch ernsthafte Pläne, Atombomben beim Eisenbahnbau zu nutzen, etwa wenn sich Bergketten den Projektierern in den Weg stellten.


    Solche und noch viele andere, teilweise haarsträubende Geschichten rund ums Atom zeigen dabei zwar zum einen die fast schon morbide Faszination die diese Technologie, zum anderen aber auch die nahezu unbegreifliche Sorglosigkeit, mit der damit umgegangen wird, mit teilweise katastrophalen Folgen.


    Ich nehme an, dass dieses Buch für Menschen, die sich mit dem Thema schon etwas ausgiebiger beschäftigt haben, nicht all zu viel Neues bietet, und auch wer sich für die technische/physikalische Seite der Atomenergie interessiert, hat in diesem Buch kaum eine Chance, die Zusammenhänge zwischen Kernspaltung, Plutonium und waffenfähigem Material zu verstehen.


    Eines aber macht dieses Buch auf kurzweilige, aber auch schockierende Weise deutlich: In erster Linie ist nicht die Kernenergie das Problem, sondern die Menschen, die sie zu beherrschen glauben. Sei es Nachlässigkeit, sei es Gewissenlosigkeit oder Gier, es gibt einfach keinen Grund zu glauben, dass mit dieser Technologie in Zukunft umsichtiger umgegangen wird als bisher.
    Irgendwie haben mich einige der Vorfälle, die Herzog zusammengetragen hat, an die Simpsons-Folge erinnert, in der Homer seinen Brennstab verbaselt: sie wären ja teilweise fast lustig, wenn sie nicht so dramatisch wären.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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