Skisprung kommt vor dem Fall
Nicht ganz einfach, diese Rezension. Man kann das Buch auf mehreren Ebenen bewerten, und nicht alle davon finden zum gleichen Ergebnis. Doch von vorn.
Zunächst einmal hatte mich verwundert, dass das Buch im Zabert-Sandmann-Verlag erschienen ist - ein Verlag, der - zumindest bei mir - eher für bebilderte Sachbücher, insbesondere Kochbücher, steht. Und nicht für Autobiographien. Doch ich stelle fest, dass das Buch dem Verlagsprofil weitestmöglich angeglichen wurde: Hochglanzpapier, viele Fotos, Erklärungen zur Sportart Skispringen, Interviews, kleinschrittige Beschreibungen, gute Verständlichkeit. Sehr ansprechend aufgemacht, und insofern hohe Punktzahl von mir.
Auf der nächsten Ebene punktet das Buch bei mir schon deutlich weniger. Ist es wirklich eine Autobiographie? Hier möchte ich mit einem sehr gedehnten "Jein" antworten. Wie ich schon nach der Leseprobe vermutet hatte - Sven Hannawald ist ein eher direkter, natürlicher Mensch, der es nicht gewohnt ist, über sich zu sprechen. Das merkt man dem ganzen Buch an. Das Buch wirkt auf mich wie ein schüchterner Mensch, der vor ein Mikrofon gezerrt wurde, und der nun aus lauter Verlegenheit anfängt, Banalitäten aneinander zu reihen. "Und dann machte ich...", "und dann folgte..." - und so weiter.
Damit möchte ich, wohlgemerkt, weder Herrn Hannawald, noch seine Geschichte abqualifizieren! Aber das Buch wirkte auf mich eben, ehrlich gesagt, streckenweise oberflächlich und langweilig. Seitenweise Hintergründe über das Skispringen, die Geschichte des Sports, die Entwicklung des Sprungstils, die verwendeten Materialien, der Bau der Schanzen... hm, für Sportfans sicher ganz interessant. Ich hatte das Buch jedoch aus persönlichen, menschlichen Gründen lesen wollen. Zumal es ja im Wesentlichen um einen Burn-Out gehen sollte. Doch wirklich persönlich wird Sven Hannawald kaum.
Es sei ihm natürlich gegönnt, seine Privatsphäre und seine Gefühle zu schützen. Dennoch, dann hätte man sich eindeutiger entscheiden können. Entweder ein reines Sportbuch, oder eine persönliche Geschichte. Besonders in den letzten zwei bis drei Kapiteln ist mir da einiges sauer aufgestoßen. Innerhalb von gefühlten zwei Seiten war er zunächst liiert, dann wieder getrennt, die Psychologin erzählte auf einmal von einer "komplizierten Beziehung", dann wieder hatte er einen Sohn (??), dessen Mutter nie genannt wird, und zum Schluss will er heiraten. Sorry, das war mir alles zu sehr verworren. Dann hätte man das Private lieber gleich ganz weggelassen.
Man merkt allerdings sehr deutlich, dass die Zusammenarbeit mit einem Co-Autor eng war. Ulrich Pramann hat ganze Arbeit geleistet, hat verdichtet, hat das Interessante aus Svens Erzählungen herausgeholt. Und er hat auch angeregt, alte Wirkungsstätten und ehemalige Trainer zu besuchen. Das fand ich eine schöne Idee! Allerdings versandet diese Idee beinahe. Immer nur gefühlte ein bis zwei Zeilen zu Beginn jedes Kapitels über einen solchen Ausflug in die Vergangenheit, dann geht es wieder ellenlang um den Sport. Nun, es kann natürlich sein, dass genau das mir als Botschaft aus dem Buch überbracht werden sollte: dass es, neben dem Sportler Hannawald, den Privatmenschen Hannawald so gut wie nicht gegeben hat. Das erschüttert mich ein wenig...
Noch eine Kleinigkeit fiel mir auf. Sven Hannawald meinte nämlich, dem Leser manche Begriffe "erklären" zu müssen. Das wirkte teils possierlich, teils auch peinlich. Gut, dass ein medizinisches Erstgespräch "Anamnese" heißt, mag nicht jeder wissen. Aber dass man einem Leser noch erklären zu müssen glaubt, dass die physikalische Krafteinheit "Newton" lautet, also bitte, da war ich ein wenig pikiert. Fragt sich natürlich, welche Leserschaft man im Auge hatte.
Insgesamt siedelt sich meine Bewertung im mittleren Feld an. Das Buch ist nicht schlecht, schlicht anders, als ich erwartet hatte. Einem Hardcore-Fan von Biographien würde ich es unter Umständen eher nicht empfehlen. Einem Sportfan schon.