wieder einmal eine frage an unsere autoren, vor allem die, die sich mit historischen romanen beschäftigen.
ähm... es geht mir jetzt NICHT darum, ob es eine päpstin gab oder nicht, dies gleich jetzt einmal vorweg, um diese diskussion hier abzugrenzen.
mir geht es um daten.
nehmen wir an, ihr schreibt über eine tatsächlich existente persönlichkeit.
meine gedanken dazu sind (vielleicht falsch*g*):
du, iris, hast es in gewisser hinsicht sicher am einfachsten, denn du musst doch meist "nur" ungefähr monatsgenau eine person an einem bestimmten ort weilen lassen, oder? es ist ja alles sooo lange her.
schwieriger wird es da schon bei erics prinz von savoyen oder ines´maler. über die weiss man ja schon etwas mehr.
wenn ihr jetzt ein buch zB über napoleon bonaparte (I.) schreiben wollt...
okay, ihr wisst (oder könnt leicht ermitteln), von wann bis wann er wo gelebt hat, wann er welche kriege wo führte, verbannt wurde, starb.
aber geht ihr tatsächlich so weit, etwas taggenau (von heirat, krönung etc mal abgesehen) zu eruieren? sicher, man sollte ihn nicht in fontainebleau weilen lassen, wo jeder mäßig interessierte weiß, dass er in russland war,
aber wie genau muss man da sein? und wie ermittelt ihr so etwas? überprüft so etwas ein lektor? melden sich ggf. fehlerfindende leser?
danke
recherchen
-
-
@frosch
ich habe beim Maler Gottes alles gesammelt, was ich über Grünewald finden konnte. Ich war in Bibliotheken, Archiven, an den Orten, an denen er gelebt hat usw.
Dann gab es in Form einer Tapetenbahn einen riesigen Lebenslauf über dem Schreibtisch, der exakt eingehalten wurde. Die freien Stellen dazwischen habe ich mir ausgedacht.
Trotzdem passieren immer wieder Fehler. In der Pelzhändlerin habe ich an einer Stelle von Kartoffeln gesprochen, obwohl ich eigentlich weiß, dass es damals noch keine Kartoffeln gab.
Die Lektoren habe schlicht keine Zeit, ALLES zu überprüfen. Aber stichpunktartig wird das auf jeden Fall gemacht. Und ja, ich habe auf Lesungen ein paar Leute getroffen, die
irgendwann mal irgendwo etwas über Grünewald gelesen haben, das so nicht im Roman stand.
Frosch, kannst du dich an den Skandal vom vorigen Jahr erinnern? Thor Kunkel hatte einen Roman geschrieben, in dem es um die Pornografie in der Nazizeit ging. Er hatte so viele Fehler darin, dass das Buch vom Markt genommen werden musste. Wenn dir das passiert, kannst du dich besser gleich nach einem anderen Job umsehen. Vielleicht als Redakteur bei "Genial daneben" oder so. -
und wenn nun die historische figur nur eine nebenrolle spielt?
dann AUCH eine tapetenbahn?
aber dann vermutlich nur auf den im buch vorgesehenen zeitraum bezogen.
trotzdem, mein respekt vor euch steigt weiter!
danke für die antwort!
von dem skandal bekam ich nichts mit...
aber ich kann mir die konsequenzen vorstellen.
der verfasser braucht definitiv einen zweitnick -
Hallo Frosch,
obwohl historische Romane keine Lehrbücher für Geschichte sind, sollte es für einen Autoren selbstverständlich sein, sich so umfassend wie möglich zu informieren. Mir wäre nichts unangenehmer, als hier einen kapitalen Bock zu schießen.
Obwohl "Die Fürstin" Charlotte nicht nur eine Phantasiefigur ist, sondern auch über ein erfundenes Fürstentum herrscht, habe ich den Hintergrund zu diesem Roman aller Sorgfalt recherchiert. Dazu gehörten Biographien aller im Roman auftauchenden geschichtlichen Personen, entsprechendes Kartenmaterial, der geschichtliche Hintergrund, in dem dieser Roman eingepasst werden sollte, sowie etliches an Bildbänden über die im Roman beschrieben Bauwerke, die Mode jener Zeit, Sitten und Gebräuche und dergleichen mehr.
Alle wichtigen Dinge werden von mir im Computer in einer Datensammlung eingetragen, dort geordnet und immer wieder ergänzt. Die Recherchen beginnen teilweise zwei Jahre, bevor ich mit einem Roman beginne, und enden erst, wenn das Verlagslektorat erfolgt ist.
Viele Grüße
Eric
-
Zitat
Original von frosch1
du, iris, hast es in gewisser hinsicht sicher am einfachsten, denn du musst doch meist "nur" ungefähr monatsgenau eine person an einem bestimmten ort weilen lassen, oder? es ist ja alles sooo lange her.
Es ist ein ziemlicher Irrtum anzunehmen, daß Recherche oder die Umsetzung von Recherche leichter wird, je weniger Daten man zu haben glaubt. Freiheit ist hier die Abwesenheit von Sicherheit, und wer -- wie so mancher Autor, der in der Antike wildert -- das ausnutzt, um besonders wild zu fabulieren, fällt meist äußerst schmerzhaft auf die Schnauze.
Außerdem wird bei der Suche nach verstreuten und tw. entlegenen Quellen die Recherche aufwendiger. Und je weiter man in der Geschichte "nach hinten" geht, um so schwieriger werden die Fragen zu Sachkultur, Weltanschauung, sozialen Umständen, Lebensweise usw.Recherche dient vor allem dem Autor, damit er sich mit schlafwandlerischer Sicherheit in der Welt seiner Geschichte bewegen kann.
Genau das vermisse ich schmerzlich bei der Mehrzahl der historischen Romane.
-
@ iris: mir ist beim durchlesen meines postings aufgefallen, dass es abwertend aufgefasst werden kann, trotz der "-".
aber so war es nicht gemeint.
mir ist schon klar, dass es - will man eben nicht, wie du es ausdrückst, wildern - bei länger zurückliegenden zeiten zwangsläufig weniger material gibt bzw. dieses schwerer zu ermitteln ist.
und ich finde in solchen fällen allzuviel dichterische freiheit auch schlecht.
mir ging es aber in erster linie um ZEITLICHE fakten.
und da ist sicher leichter feststellbar, wann horatio nelson sich am gründonnerstag des jahres xxx aufgehalten hat als wenn man von hermann/arminius schreibt.
insofern kann einem da weniger schnell eine unrichtigkeit nachgewiesen und vorgeworfen werden.
verstehst du, was ich meine? -
Zitat
Recherche dient vor allem dem Autor, damit er sich mit schlafwandlerischer Sicherheit in der Welt seiner Geschichte bewegen kann.
<zustimm> Egal, in welchem Umfeld man sich bewegt - ob man einen sozialkritischen Roman schreibt, der in der Jetztzeit in einer Plattenbausiedlung spielt, oder ob man einen viktorianischen Historienschinken verfaßt -, man muß sich selbst und später dem Leser das Gefühl geben, sich sicher zu bewegen. Der Teufel steckt oft im Detail, wie das Beispiel von Ines' Kartoffeln zeigt. Je mehr stimmige Details man bringt, um so interessanter ist das Buch, lehrreich, dicht, fesselnd, aus historischer Sicht spannend. Je bekannter das Umfeld ist, umso größer ist die Gefahr, sich zu verrennen - da muß man tonnenweise Material büffeln. Und es sind nicht nur die Dinge, die zu anderen Zeiten anders waren, die Menschen waren es auch. Unser derzeitiges soziales und kulturelles Gefüge weicht erheblich von dem ab, was vor hundert, fünfhundert, tausend, aber auch schon vor zwanzig Jahren zwischen den Menschen abging. Das gilt darüberhinaus natürlich auch für verschiedene soziale Umfelder - wer nicht weiß, wie es in einer Plattenbausiedlung wirklich zugeht, sollte lieber die Finger vom Thema lassen. Oder eben vor Ort intensive, lange und tiefgehende Gespräche führen.
-
Hallo, Frosch1.
Zitatmir ging es aber in erster linie um ZEITLICHE fakten.
Das ist nur die Spitze des Eisbergs.
-
das ist mir klar, tom. aber genau um daten (an denen sich personen eben nachweisbar an einem bestimmten ort aufhielten) ging es mir vorrangig. weil ich, würde ich etwas "historisches" schreiben wollen, mit einer art zeittafel für die beabsichtigten handlungen beginnen würde.
ich wollte wirklich niemandes schaffen gering bewerten!ooops: dein längeres posting hab ich jetzt erst gesehen.
*zu herzen nehm* -
Zitat
Original von Ines
@froschTrotzdem passieren immer wieder Fehler. In der Pelzhändlerin habe ich an einer Stelle von Kartoffeln gesprochen, obwohl ich eigentlich weiß, dass es damals noch keine Kartoffeln gab.
Die Lektoren habe schlicht keine Zeit, ALLES zu überprüfen.Eine ziemlich blöde Frage, ich weiß
Aber was passiert nun mit dem "Kartoffel-Fehler"? Wird das in der nächsten Auflage geändert? Oder lässt man es so stehen, obwohl man sich mittlerweile des "groben" Fehlers bewußt ist?
frosch1 : Übrigens finde ich hier deine Fragen an die Autoren (und natürlich die Antworten derselbigen) immer wieder sehr lesenswert
-
danke, charlotte.
und ich bin immer wieder freudig überrascht, mit welcher bereitschaft die autoren auf solche fragen antworten -
Hallo, Frosch1.
Verstehe, Du willst ausschließen/sicherstellen, daß die von Dir erdachten "Bewegungen" der historischen Person(en) unwahrscheinlich/möglich waren. Dafür mußt Du Dir eine Menge Material schnappen, und es wird kaum machbar sein, da ganz sicher zu gehen. Je prominenter die Person, umso mehr (widersprüchliches) Material wird es geben. Ich denke aber, daß gewisse Freiheiten vorhanden sind, schließlich schreibst Du keine Bio-/Monographie, nehme ich mal an, sondern Fiktion um historische Figuren herum, richtig?
Zitatich wollte wirklich niemandes schaffen gering bewerten!
Das hatte ich auch nicht so verstanden.
-
NOCH schreib ich gar nichts*g*.
es spukt nur manchmal ein wenig in meinem kopf.
und wenn ich dann hier so einiges lese, dann ist es das reinste wechselbad der gefühle.
einerseits bekomme ich lust, es in angriff zu nehmen, andererseits zweifel am umsetzungsvermögen.
aber ich denke, wenn es sein soll, kommts irgendwann.
und bis dahin werden infos gehamstert -
die zweite und dritte Auflage der Plezhändlerin musste so schnell nachgedruckt werden, dass keine Zeit für den Kartoffelfauxpas blieb. Ob es eine vierte Auflage geben wird und wann und wo und wie und überhaupt, ist noch nicht entschieden. Ich werde zur Buchmesse meine Lektorin treffen und sie fragen.
-
Manchmal denke ich darüber nach, warum Autoren Autoren sind.
Jeder Mensch hat einen Beruf. Und den sollte er ordentlich machen, sonst ist ein Arzt kein Arzt, ein Lehrer kein Lehrer.
Die Aufgabe eines Autors ist das Schreiben, und noch wichtiger ist eine verantwortungsbewusste Recherche.
Sonst IST ein Autor für mich kein Autor, wenn er vor dem Schreiben keine anständige Recherche durchführt.
Man erkennt es als Leser genau, wenn ein Autor rechercheirt hat.
Für mich trennt das die Spreu vom Weizen.
Ein hervorragendes Beispiel ist sicherlich unsere Iris, denn wenn ich schon eines ihrer Bücher anfasse, befällt mich ein wohliger Schauer des Bewusstseins, dass diese Frau verdammt noch einmal weiß, worüber sie schreibt.
Gruß
-
was deine aussagen über recherchen angeht, his, stimme ich dir zu.
und da ich nicht 100% sicher bin, wie ich deine bemerkung über iris einordnen soll, nochmal: ich wollte iris´ werke nicht abwerten.
zu deiner frage, warum man autor ist:
(ich habe kein buch veröffentlicht)
in der schule habe ich mit großer begeisterung aufsätze verfasst, die so "lebensecht" waren, dass meine familie zeitweise über heikle dinge in meiner gegenwart nur englisch sprach*g*. in den höheren klassen bescheinigten meine lehrer mir "eloquenz" (was mich wunderte, denn damals kannte ich dieses wort nicht einmal), aber das muss man natürlich in der relation zu meinem damaligen alter sehen.
als ich einmal verreist war, erforschte ich einen gewissen landkreis ausgiebig durch wanderungen, für die ich mir inspirationen im örtlichen tourimusbüro holte. bei jedem neuen besuch dort gab ich "feedback" über die zuletzt durchgeführte wanderung und meine erlebnisse unterwegs.
eines tages fragte man mich dort: sagen sie mal, können sie so schreiben wie sie reden? als ich sagte, ich wüsste nicht genau... schickten sie mich nach einem entsprechenden ankündigenden anruf zur redaktion des käseblättchens im nächstgrößeren ort. naja, und für die schrieb ich dann eine mehrspaltige zusammenfassung meiner erlebnisse dort. in der saure-gurkenzeit wurde das veröffentlicht und bescherte mir ein großartiges honorar von 58, 97 dm (oder so). was ich weder wusste noch gar genehmigt hatte, war, dass man meinen erlebnisbericht später in einer anderen kleinen zeitung ebenfalls veröffentlichte, aber ein jurist sagte mir, dass ich ohne vertrag sämtliche rechte abgegeben hätte. der artikel wurde darüber hinaus in einen werbeflyer über diese region übernommen (ebenfalls ohne finanziellen vorteil für mich).
wenn ich jetzt versuchen würde, etwas zu schreiben, dann deshalb, weil ich über bestimmte geschichtliche epochen sehr viel gelesen habe. dabei bin ich auf einige zusammenhänge gestoßen, die vermutlich in keinem geschichtsbuch stehen, eigentlich auch nicht wichtig sind, aber "gut aufgemacht" und mit einem verbindenden element versehen (dazu habe ich auch schon eine idee) vielleicht für einige geschichts- und geschichteninteressierte leser unterhaltend sein könnten.
und weil es mir spaß machen würde, etwas "zu hinterlassen"*g*.
literarische fußspuren oder so.
wenn ich dabei etwas geld verdienen würde, wäre mir das angenehm.
wie gesagt, der gedanke reizt mich, aber ich bin unentschlossen (siehe oben unter "wechselbad der gefühle"). -
Zitat
Original von frosch1
mir ging es aber in erster linie um ZEITLICHE fakten.
und da ist sicher leichter feststellbar, wann horatio nelson sich am gründonnerstag des jahres xxx aufgehalten hat als wenn man von hermann/arminius schreibt.
insofern kann einem da weniger schnell eine unrichtigkeit nachgewiesen und vorgeworfen werden.
verstehst du, was ich meine?
Der jeweilige Kenner (dazu muß man beileibe nicht studiert haben) findet Unrichtigkeiten überall. Bei vielen z.B. mittelalterlichen Ereignissen gibt es außerdem sogar unter Historikern Streitigkeiten, weil die Quellen einander in Daten widersprechen; in diesem Fall sollte man darauf hinweisen, welchen Quellen man folgt und möglichst sogar die Gründe angeben.
Ich habe kein Problem damit, wenn jemand aus nachvollziehbaren Gründen (z.B. um ein bestimmtes poetisches Programm durchzuziehen oder bestimmte Dinge deutlich zu machen, die über das Geschehen hinausweisen) bewußte Modifizierungen an historischen Daten vornimmt (Eco macht das jedesmal!).
Allerdings stört es mich enorm, wenn historische Realität insgesamt verfremdet wird, indem man fröhlich verbreitete Vorurteile bedient, um die "Glaubwürdigkeit" zu erhöhen (beliebtes Beispiel: Frauen im Mittelalter :rolleyes). -
Also gibt es graduelle Unterschiede bei dem was man noch so durchgehen lässt (Kartoffelbeispiel) oder eben nicht mehr tolerieren kann (Lara Croft-Frauen im Mittelalter). Das ist allerdings ja sehr subjektiv, da die Leseansprüche bei jedem Leser anders sind.
Gruss,
Doc
-
Zitat
Original von frosch1
<...> ein jurist sagte mir, dass ich ohne vertrag sämtliche rechte abgegeben hätte.
Das ist mir neu ... Das Urheberrecht ist grundsätzlich gültig, ob mit oder ohne Vertrag.
Wenn du Geld erhalten hast, dann besteht ein Vertrag, wenn auch nur per "Handschlag". Aber mündliche Absprachen sind nun mal gültig, und die Zeitung hat das durch die Zahlung auch anerkannt.Zitatwenn ich jetzt versuchen würde, etwas zu schreiben, dann deshalb, weil ich über bestimmte geschichtliche epochen sehr viel gelesen habe. dabei bin ich auf einige zusammenhänge gestoßen, die vermutlich in keinem geschichtsbuch stehen, eigentlich auch nicht wichtig sind, aber "gut aufgemacht" und mit einem verbindenden element versehen (dazu habe ich auch schon eine idee) vielleicht für einige geschichts- und geschichteninteressierte leser unterhaltend sein könnten.
Denk mal darüber nach, wie sich das gut verpacken läßt, und dann: Nur zu! -
Zitat
Das ist allerdings ja sehr subjektiv, da die Leseansprüche bei jedem Leser anders sind.
Das hat mich Leseransprüchen nichts zu tun, es geht um die Ethik des Autorenberufes!
Diejenigen, die keine Ansprüche auf Genauigkeit, Richtigkeit haben, lassen sich halt belügen.
Aber ist einfach die Verantwortung des Autors, so sorgfältig wie möglich zu arbeiten, und wenn etwas verändert wird, zB wie Rebecca Gable im Anhang des Buches darauf hinweisen.
Autoren wie Brown, Cross usw. sind für mich keine Autoren. Sie sind verantwortungslos, und ziehen den Autorenberuf in den Dreck.
Gruß