'Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana' - Kapitel 05 - 09

  • Bin ich die erste??? <vorsichtig umschau>


    Bodoni fährt Solara, den Ort seiner Jugend, in das Landhaus seiner Familie, um sein Leben wiederzufinden, wieder einzutreten in die Erinnerung.
    Die oberflächliche Besichtigung von Haus und Umgebung führt zu nichts, er sucht nach Gedrucktem, nach schriftlichen Zeugnissen, um Dinge zu finden, die die geheimnisvolle Flamme der (Wieder)Erinnerung wecken.
    Auf dem Dachboden stößt er auf eine Bibliothek der Jugend- und Trivialliteratur -- ausgehend von einer sehr alten Micky Maus-Geschichte (Clarabellas Schatz), die etwas in ihm auslöste, das er selbst nicht begreift.
    Schließlich findet er einen pathetischen Schulaufsatz aus der Zeit des Faschismus -- und eine kaum ein Jahr ältere Erlebniserzählung, die eine scharfe Wende in seinem Leben zwischen beiden Schriftstücken zu dokumentieren scheint.


    Für mich versinnbildlicht Eco in der Erzählung das "kollektive Gedächtnis" (C.G. Jung), den "objektiven Geist" (G.F.W. Hegel), deren Existenz er bestreitet. Die Geschichte einer Nation -- überhaupt: die Geschichte -- ist nichts, an das wir uns erinnern, sondern die Erinnerung muß man sich erarbeiten, sich aneigenen, und schn allein durch diese Aneignung ist sie nicht mehr sie selbst, sondern ein Teil unserer Erinnerung und damit nicht mehr das Original, sondern eine verfremdete Kopie. Geschichte ist ein Konstrukt -- aber eines, ohne das man nicht wirklich Mensch sein kann.
    Toll!


    Die Bilder und Motive, die Eco benutzt, kenne ich aus allen seinen Büchern: der Nebel, der um die alte Abtei (Der Name der Rose) und die Stadt Alessandria (Baudolino) schwebt, die Bibliothek (letztendlich ist der Dachboden eine Bibliothek!) im Obergeschoß (Der Name der Rose), die irrgartenartigen Raumfluchten (Der Name der Rose, Die Insel des vorigen Tages, Das Foucaultsche Pendel) ... Irgendwie erinnert mich seit jeher vieles an Kafka -- und als er dessen Schriften anfangs erwähnte, fiel es mir wie Schuppen von den inneren Augen. :-)


    Mir gefällt es großartig! :anbet

  • Bin erst bei Kapitel 8. Deshalb wart ich noch mit einer abschließenden Meinung.


    Allerdings kann ich schon mal sagen, daß das Buch für mich hier sehr "italienisch" ist. Um ein Miterleben des Lesers zu ermöglichen, müßte er mehr von diesen Dokumenten, Liedern etc. kennen. Glücklicherweise kenne ich aber zumindest das, was nicht typisch italienisch ist...


    Eigentlich ist der Erzähler ja in einer sehr glücklichen Situation. Oder könnte jemand von Euch auf ein derartiges Archiv zurückgreifen?


    Bye
    Pelican :wave

  • Schöne 5 Kapitel! Das Buch gefällt mir immer besser, und ich werde es mir wohl doch noch gebunden kaufen, bisher lese ich ja ein Bibliotheksbuch.


    Es freut mich, dass Eco auch den großen Einfluss der Trivialkultur auf die Entwicklung eines Kindes schildert. Alles, was einem Kind begegnet, wird von diesem unbewusst mit in sein sich aufbauendes Weltbild eingearbeitet. Und dazu gehören eben auch Comics, Groschenromane, veraltete Lexika etc. Während in den ersten 4 Kapiteln ja hauptsächlich auf die "anspruchsvolle" Literatur verwiesen wird, kommt jetzt auch die andere Seite zu ihrem Recht.


    Yambo forscht hier seiner Vergangenheit, seiner Geschichte nach, und damit zugleich der Geschichte seines Landes; er versucht zu verstehen, wie sehr auch ein Kind von den aktuellen Geschehnissen in seiner Heimat und der "großen, weiten Welt" beeinflusst wird. Eine interessante Frage: ich bin jetzt am überlegen, wieviel ich von den Ereignissen der späten 60er Jahre (da tat sich ja auch 'ne Menge!) eigentlich mitgekriegt habe, wieviel (oder ob überhaupt) davon in der Grundschule oder zu Hause erwähnt wurde.


    Fasziniert hat mich auch die Darstellung des "Zwischen-den-Zeilen-lesens" in den Zeitungen. Vieles, das verschwiegen wurde, ließ sich ja doch verstehen; dabei frage ich mich aber, wieviele damalige LeserInnen das auch (wie anscheinend Yambos Großvater) taten, und ob nicht die Allermeisten das Gelesene für bare Münze nahmen.


    Pelican, mich hat es nicht so gestört, dass ich die italienischen Bücher, Lieder usw. nicht kenne, da Eco sie ja recht ausführlich schildert. Ich glaube auch nicht, dass italienische LeserInnen da einen so großen Vorsprung vor uns haben, es sei denn sie gehören zu Ecos Generation, da ja gerade die faschistische Propaganda nach dem Krieg spurlos verschwand (nehme ich zumindest an), so dass auch jüngere ItalienerInnen die entsprechenden Bücher und Lieder höchstens - wenn überhaupt - aus Erzählungen der Eltern/Großeltern, aber nicht aus eigener Erfahrung kennen.


    Jetzt bin ich sehr gespannt darauf zu erfahren, was sich in den neun Monaten zwischen den beiden Aufsätzen ereignet hat, die Zeit in denen Yambo "weise" geworden ist. Wie bringt es ein Elfjähriger fertig, sich von der massiven Beeinflussung durch die Propaganda zu lösen?


    Eine Frage: Direkt nach "Valentes Tod" (gegen Ende des 9. Kapitels) schreibt Eco, dass diese Lektüre "sein Fall auf dem Wege nach Damaskus" (oder so ähnlich) war. Worauf bezieht sich das?


    Ein großartiges Buch! Bisher kenne ich von Eco nur den Namen der Rose, das ich las, als es erschien. Aber ich denke, dass ich mich jetzt auch an seine anderen Bücher machen werde. Iris, du scheinst Eco ja gut zu kennen, was empfiehlst du mir als nächstes zu lesen?

  • Zitat

    Original von Imeneo
    Iris, du scheinst Eco ja gut zu kennen, was empfiehlst du mir als nächstes zu lesen?


    Ich bin ja ein absoluter Fan von Die Insel des vorigen Tages, aber das ist ein sperriger Brocken, eine Geschichte, die mit jeder, aber auch jeder Erzählkonvention augenzwinkernd Schlitten fährt.


    Wenn ich deine Beiträge lese, würde ich dir am ehesten den Baudolino empfehlen, das ist ein Zuckerstückchen an phantastischem Realismus, der ein Panoptikum der Vorstellungswelt des 12. Jhs. liefert.


    Wenn du Spaß an Verschwörungstheorien hast, dann schnapp dir danach Das Foucaultsche Pendel. Dazu gibt 's hier auch eine Leserunde nachzulesen.
    Viel Vergnügen damit! :knuddel1

  • Guten Morgen zusammen,


    da nun endlich freie Tage auch bei mir vorhanden sind, komme ich endlich wieder zum Weiterlesen.
    Mit diesem Abschnitt kam ich erst richtig in das Buch rein --> Und ich denke auch, ab Kapitel 5 beginnt erst der "eigentliche Versuch sich zu erinnern".
    Ich find die Bilder und die Liedtexte sehr hilfreich.. denn von den 40er - und 50er Jahren in Italien hab ich wohl so rein gar nichts mitbekommen.


    Ich habe auch versucht, mich an meine Kindheit zu erinnern.
    Hatte mir die Frage gestellt: "Was - in Sachen Politik - wurde bei mir in der Schule erwähnt?" Kein zufriedenstellendes Ergebnis!


    Jedenfalls sind mir auch die Parallelen zu Ecos anderen Büchern aufgefallen, was für mich eher ein Gefühl von "heimelig" eingestellt hat. :grin


    So, ich lese mal weiter... :-]
    Und schönen Karfreitag!


    Liebe Grüße,
    Kathrin

  • Ich schrieb zwar oben, daß ich das Buch in diesen Kapiteln 5 - 9 sehr italienisch finde, tatsächlich hat mich das aber gar nicht gestört.


    Seine Nachforschungen sind in einer sehr schönen Sprache geschrieben und lesen sich locker, leicht und flüssig. Die Einarbeitung der Trivialliteratur finde ich an der Stelle wunderbar. Zum Einen macht er bewußt, wie der Mensch auch durch die Trivialliteratur mitgeprägt wird und die Gesellschaft und Kultur die Trivialliteratur prägt, zum anderen negiert er sie nicht einfach.


    Auch die kontrastive Darstellung, die er erreicht, indem die Hauptfigur sich zunächst von Kinder- und Jugendliteratur, Comics etc. voranarbeitet zu den faschistischen Einflüssen begeistert mich, da auf diese Weise hervorragend das Spannungsfeld in dem sich die Hauptfigur befand herausgearbeitet wird.



    Bye
    Pelican :wave

  • Bin nun bei Kapitel 7. Die Entdeckungsreise auf dem Dachboden liest sich logisch und interessant. Die Figur der Amalia gefällt mir ausgesprochen gut, auch oder weil sie zum größten Teil in Dialogform an Form gewinnt.


    Gestört hat mich wieder immens die Erleichterung im Weinberg. Ich möchte so etwas wirklich nicht lesen. Solche Stellen gehören für mich zur Rubrik: Geschwätzigkeit.

  • So, jetzt bin ich mit diesem Teil auf fertig - und enttäuscht.


    Iris ,
    der Mann ist schlicht selbstverliebt und geschwätzig. Ja, ich meine jetzt Herrn Eco und nicht Yambo. In der Ausgabe 10/2004 der LITERATUREN habe ich ein Porträt und viel über die Königin Loana gefunden. Eco teilt darin mit, dass das Ding im Bezug auf Erinnerungen sehr autobiografisch ist.


    Die endlosen Aufzählungen der als Kind gelesenen Comics und gehörten Schlager, der Schulbücher und Nationalsongs haben mich ziemlich gelangweilt. M.E. hätte es durchaus ausgereicht, einen Schlager, einen Comic und ein Schulbuch in aller Ausführlichkeit abzubilden. Der Leser hätte die Botschaft gewiss verstanden.
    So kommt es mir nun vor, als träfen sich Kriegskameraden, die sich mit Sätzen wie: "Weißt du noch, damals in den Ardennen" den Ruhestand versüßen. Mag sein, dass dieser Teil für Norditaliener eines gewissen Alters einen "Aha-Effekt" hervor ruft, aber für mich mitteldeutsches Mauerkind ist er doch recht zäh, zumal die eigentliche Geschichte nicht so recht dabei voran kommt.
    Naja, ich lese trotzdem mal weiter.

  • Zitat

    Original von Ines
    der Mann ist schlicht selbstverliebt und geschwätzig. Ja, ich meine jetzt Herrn Eco und nicht Yambo. In der Ausgabe 10/2004 der LITERATUREN habe ich ein Porträt und viel über die Königin Loana gefunden. Eco teilt darin mit, dass das Ding im Bezug auf Erinnerungen sehr autobiografisch ist.


    Ich werde trotzdem nicht Yambo mit Eco identifizieren. Ich kann eigene Lektüren auch von einer anderen Person gelesen unter einer anderen Warte betrachten (diese Befühigung zur Distanz erwarte ich eigentlich von einem Literatur- und Kulturwissenschaftler).
    Außerdem hat Bodoni aufgrund des Gedächtnisverlustes eine unüberbrückbare Distanz zu Yambo.
    Daß Bodoni sich auf seiner Suche nach seinem alten Ich in diesen Fragmenten als sehr geschwätzig erweist, das will ich ja gar nicht bezweifeln. Wen das nervt, der hat ein Problem, weil Eco genau das sehr gut macht. ;-)
    Laß uns einfach unterschiedlicher Meinung sein! :knuddel1

  • Eigentlich finde ich gerade die Tatsache, Kriegszeiterinnerungen mal aus italienischer (und nicht immer aus deutscher) Sicht zu lesen, sehr interessant. Und gerade durch die Vielzahl der Dokumente, die er beschreibt, kann man doch wunderbar sehen, was damals bereits internationale Verbreitung hatte und was typisch italienisch war.


    Bye
    Pelican :wave