Über das Buch:
Ein nicht mehr ganz gläubiger Christ und ein nicht ganz ungläubiger Atheist streiten über Fragen der Religion und der Lebenskunst. Es geht um Glück und Leid, Kunst und Leben, Gesundheit und Krankheit, Zufall und Tod, Gott und die Welt.
Die beiden Autoren:
Hermann Kurzke, geboren 1943, studierte Germanistik und katholische Theologie in München und Würzburg. Als Professor für neuere deutsche Literatur war er an die Johannes Gutenberg-Universität in Mainz berufen. Autor zahlreicher bemerkenswerter und inhaltsreicher Bücher, z. B. zu Thomas Mann oder jüngst Georg Büchner.
Jacques Wirion, geboren 1944, studierte Germanistik und Geschichte in Tübingen und Heidelberg. Er war tätig als Gymnasiallehrer und wirkt als Essayist und Aphoristiker.
Meine Meinung:
Taschenbuchausgabe von 2007.
Insgesamt 280 Seiten, vorangestellt zwei Zitate, eines davon aus „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann, das zweite von Friedrich Nietzsche aus „Also sprach Zarathustra“. Es schließen sich an ein Index, der Brief- und Emailwechsel über elf Kapitel umfasst die Seiten 11 bis 255, es folgt Kapitel 12 benannt „Stichomythie“. Abgeschlossen wird das Buch durch Druckvermerke, Quellenhinweisen, Übersetzungen fremdsprachiger Zitate sowie einem Namensregister.
Das kann ja schon mal passieren: Da schreibt einer – deutlich verängert - eine Rezension (über neuere Bibelausgaben), die einem anderen sauer aufstößt. Dann setzt man sich halt hin und schreibt eine Entgegnung, nicht in aller Öffentlichkeit, aber immerhin. Der Rezensent antwortet, wie auch nicht, schließlich hatte die Entgegnung Tiefgang. Das war es dann.
Oder eben auch nicht; wenn man zwar so gar keine Zeit hat, aber „der Stachel löckt“, d. h. man einen Gesprächspartner findet, der schlicht „passt“, dann können die Voraussetzungen für eine an- und aufregende Diskussion gar nicht besser sein. Man ist höflich, gewiss, aber man weiß seinen Standpunkt zu formulieren durchaus auch mit Schärfe und Betonung, man wirft sich Worte, Zitate zu, dass es einem als Leser fast schwindelt und man manchmal Mühe hat, sie als solche zu erkennen, man weiß sich aber auch einig, solange es nicht um Religion geht.
Die beiden Herren sind hochgebildet, sie wissen sich auszudrücken. Der Briefwechsel ist auf hohen Niveau. Da nimmt man sich auch Zeit, Gedanken nicht nur anzureißen, sondern auch zu präzisieren. Das Aufeinandereingehen habe ich als nicht mehr allzu selbstverständlich angesehen, es ist selten, dass einer der Briefpartner auf eine Frage, eine Anregung des anderen nicht eingeht. Es sind nicht nur die Briefe, mittels derer man miteinander redet, man sendet sich Aufsätze, Essays oder – von Hermann Kurzke – für mich schlicht hinreißende „Totengespräche“. So lassen sich Positionen vertieft darstellen, lassen sich neue Themen für das Gespräch finden.
Natürlich geht es um „Gott und die Welt“, aber die Welt ist groß und Gott unendlich. Soweit es die weltlichen Dinge angeht, ist man sich nicht immer, aber doch fast immer einig, da weiß man sich gegenseitig - wie es einmal heißt – zu erfreuen und zu beglücken. Gutes Essen spielt eine Rolle, Krankheit resp. Gesundheit, Glück, der Klimawandel und manche Themen mehr, über Schriftsteller und Philosophen wird sinniert, wie Thomas Mann (doch, durchaus rechne ich ihn den weltlichen Dingen zu, auch wenn beide große Verehrer – sprich: Gläubige - sind), wie Goethe oder Nietzsche. Als Leser konnte ich ob solchen Wissens, solcher Belesenheit nur staunen, denn nicht nur heißt es die Zeit aufzubringen, all das im Buch versammelte Wissen, Erklärte und Berichtete zu lesen, sondern es auch zu behalten und im rechten Moment „abrufen“ zu können.
Bleibt das Thema, über das zu streiten die Menschen nicht müde werden, mit Verve und Schärfe, zustimmend oder ablehnend: Gott. Katholik Kurzke und der „halb pubertäre Atheist“ (Seite 15) Wirion bilden da keine Ausnahme, provozieren sich – so scheint mir – mit Geschick und Lust am Streit, die Grenze zur Bösartigkeit, zur Verletzung des Diskussionspartners wird dabei nie überschritten. Ob sich Kurzke mit aus christlicher Position begründeten Fragen nach einem Leben, nach Glück mit und ohne Schmerz beschäftigt, ob er sich über die Vorteile der Religion auslässt, zur Liturgie oder zum Kirchenlied, über Gott und den Gottesbegriff, Wirion steckt nie zurück und erst recht niemals auf, er weiß um seine Position, die er aus seiner „missratenen religiösen Sozialisation“ (u. a. Seite 124) herleitet, er kontert mit teils hart erscheinenden Fragen wie nach „der Vorstellung, dass wir aus dem Nichts kommen...“ und „... wieder ins Nichts verschwinden“ (Seite 166), er fragt nach dem Weg und dem Ziel, nach Zufall und nach Sinn und tieferer Bedeutung. Fragen und Überlegungen beider Gesprächspartner bedingen einander, schaukeln sich gerade in diesem Bereich quasi gegenseitig auf. Für den Leser ist es ein leichtes, den Gedanken nachzugehen, sie mit- und weiterzudenken, beide – Kurzke wie auch Wirion – fällt es nicht schwer, für ihre Position(en) Begründungen zu liefern, die mir nachvollziehbar erscheinen, ob man nun auf dieser oder jener Seite steht.
Leider endet das Buch. Sinnigerweise dann, wenn beide sich auch in Glaubensdingen gewissermaßen annähern. Glauben an den Humanismus, an die Demokratie, das, so Kurzkes Fazit, sei ihnen beiden doch eigen; er schießt die Frage an, die für mich eine der wichtigsten – nicht nur dieses Buches - ist: Ob nämlich „die Frage Atheismus oder Christentum am Ende gar nicht so wichtig“ sei (Seite 254). Man muss, so meine Überzeugung, nicht gläubig im Sinne der Positionen christlichen Kirchen sein, um gleichwohl glauben zu können, nämlich – im besten Fall, unter anderem - an die zuvor zitierten Dinge.
Ich habe mich, auch wenn ich weder zu Kurzkes noch zu Wirions Positionen meine ungeteilte Zustimmung geben mag, schlicht in dieses Buch verliebt und ihm flugs das Etikett „Lieblingsbuch“ verpasst. Zum einmaligen Lesen ist es viel zu schade!
Das Buch ist für mich ein Glücksfall. Warum ich ihm trotzdem die Höchstpunktzahl verweigert habe? Nun, zum einen hätte ich den Anhang gerne etwas ausführlicher gehabt. Zum anderen, und da muss ich mir den Vorwurf der hemmungslosen Subjektivität erst recht gefallen lassen: Für mich ist das Buch schlicht und ergreifend zu kurz.
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