Jazz in Town - Der Showdown mit wildem Ostblues.

  • In den 90ern hatte ein ambitionierter Musikveranstalter eine verrückte Idee. Man könne im Innenhof eines öffentlichen Gebäudes über die Sommermonate ein regelmäßiges Event stattfinden lassen, um dort erlesene Künstler rund um die Themen Jazz, Swing und Blues vor einem erlesenen Publikum auftreten zu lassen. Die Idee funktionierte, weil es gelang, die Stadtbezirksverwaltung von Berlin-Köpenick ins Boot zu holen. Im Innenhof des wunderschönen restaurierten Rathausgebäudes wurde eine kleine Bühne errichtet, Tische und Bänke aufgebaut, Gastronomie organisiert. Das Festival wuchs von Jahr zu Jahr, wegen der wirklich guten Musik, wegen des Ambientes und weil es sich ziemlich bald einen Kultstatus erarbeitet hatte, der sich in Berlin und Umgebung schnell herumgesprochen hatte.


    In diesem Jahr fand „Jazz in Town“ zum 18. Mal statt. Im Programm standen dieses Jahr unter anderem John Lee Hooker Jr., Inga Rumpf, Curtis Stigers, Manne Krug, Modern Soul, Gitte Haenning, Joy Fleming, und viele renommierte Bands, die ich nicht kenne, bis zu dem Finale an diesem Samstag mit Roger Cicero. Ich hatte es bisher noch nicht geschafft, dort hinzugehen. Ich hatte zwar schon Anfragen, ob ich da mal mitkommen wolle, aber die Musikrichtung schien mir nicht so wirklich kompatibel. Ich höre zwar gerne mal ein Bluesstück aber einen ganzen Bluesabend über mich zu ergehen lassen, war mir dann doch etwas zu viel des Guten. In diesem Jahr wurde ich dann weichgeklopft. Das Thema am Freitag: Ost-Blues. Oh je, da kamen alte Erinnerungen hoch. Da war doch mal was … Stefan Diestelmann, die Engerling-Blues-Band und wie sie alle hießen. Das versprach eine schräge Freak-Show zu werden. Ich dachte an lange Haare, merkwürdige Texte und fingerschnipsende langhaarige Zuschauer mit Schnurrbärten.


    Diestelmann ist leider verstorben, die Engerlinge waren nicht da, dafür aber die „Jonathan-Blues-Band“ mit dem Blues-Papst (Peter Pabst) und der Muddy-Waters des Ostens: Jürgen Kerth. Außerdem die „Lütte“ Angelika Mann und irgend so ein Typ von „Rockhaus“. Na ja, mal schauen, dachte ich mir. Es begann in etwa so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Das Publikum (der Hof war brechend voll, Karten waren lange ausverkauft, wir waren eine Stunde vorher da und haben uns gerade noch irgendwo hinquetschen können) war im erwarteten Alterspektrum, inzwischen weitgehend schnurrbartfrei, etwa in gleichen Anteilen haarlos bis schütter beziehungsweise weißbemattet, meist in altersmäßig dezent und geschmackssicher heruntergetunter weiblicher Begleitung. Es wurden Finger geschnipst, als zunächst Jonathan und dann Kerth Bluesklassiker souverän und stilecht herunterspielten. Auch die schrägen deutschen Texte fehlten nicht: Jonathan behauptete, dass man nicht gelebt hätte, wenn man nicht im Gleichschritt marschiere und nie mit einem Porsche an die Alster gefahren sei (Ich habe mich gefragt, ob der Text aus DDR-Zeiten stammte, denn dann wäre das so dekadent-subversiv, dass man sich nur davor verneigen kann). Jürgen Kerth brachte die längst vergessene sozialkritische Frage ins Spiel „Hallo junge Mutti, warum schlägst du denn dein Kind?“ und ließ den Kumpel „Helmut“ wieder mit seinem Liebeskummer und einem Doppelten allein in der Kneipe sitzen, weil die „Kleine“ drängelte, dass er nach Hause kommen solle.


    Und siehe da, zur Halbzeit musste ich mir eingestehen, dass ich mich doch ganz gut unterhalten hatte und sicher noch eine zweite Halbzeit überstehen würde, auch wenn mich doch schon interessierte, wie es bei Bayern gegen Chelsea stand. Leider kein Netz, also konnte ich mich wieder der Musik widmen. Nach der Pause kam die „Lütte“, noch bekannt, weil sie damals viel mit der in diesem Jahr verstorbenen Ostrocklegende Lacky „Reinhard Lakomy“ zusammengearbeitet hatte. Sie präsentierte zunächst als Hommage den Lacky-Song „Kutte“, in dem sie sich berlinernd über einen alkoholabhängigen Ehemann Sorgen macht. Aber dann wurde der Blues mal Blues sein lassen und so richtig schön gerockt. Die Lütte kann stimmlich mit Tina Turner durchaus mithalten und so war die Interpretation „Nutbush City Limits“ ein echtes Highlight. Nach Angelika wurden erstmalig Rufe nach einer Zugabe laut, aber das Programm war straff und jetzt sollte ja noch der „Rockhaus-Typ“ kommen.


    Rockhaus war zu DDR-Zeiten für mich so was wie … Nein, ich will das lieber nicht ausführen, das haben die Jungs (die inzwischen auch reifere Männer sind) nicht verdient. Jedenfalls nicht unbedingt meine Lieblingsband, mit Titeln wie „Bonbons und Schokolade“, „Disco in der U-Bahn“ und „Bärbel“ hatten sie sich nicht unbedingt in mein Herz gespielt. Der Gesang war mir zu affektiert und die Texte fand ich damals schon ziemlich DDR-provinziell (sprich peinlich). Aber dann kam dieser Mike Kilian auf die Bühne, der trotz seiner inzwischen auch über 50 Lenze noch immer einen jungenhaften Charme versprüht und ein echter Show-Man geworden ist. Zuerst machte er mit selbstironischem Understatement ein wenig Reklame für sein neues (selbstveröffentlichtes) Album „N8wache“ mit einem wunderbaren Song „Guter Rat ist teuer“. Bei solchen Texten müssen sich sogar die Naidoos und Bendzkos hinten anstellen. Das war für mich interessant genug, um mir dieses Album zu bestellen.


    Was der Kilian dann veranstaltete, verdient allerdings das Attribut Superlative. Es wurden Rock-Klassiker „gecovert“. Zum einen waren es so ziemlich meine Geheimfavoriten von Größen wie Zeppelin (Hole Lotta Love), den Beatles (While my Guitare gently weeps) und den Stones (Gimme Shelter) zum anderen machte der Mann mit seiner unglaubliche Stimme ganz eigene Sachen daraus. Und in dem Moment fiel mir auch wieder ein, woher er mir bekannt vorkam. Mike Kilian ist auch Frontmann der besten Stones-Cover-Band der Welt mit dem schönen Namen „Starfucker“. Ich hab die mal auf einem Stadtfest gesehen und schon da ist mir aufgefallen, dass Klian das Kunststück fertiggebracht hatte sowohl, Jagger als auch Richards in ihren besten Tagen leibhaftig wiederauferstehen zu lassen.


    Inzwischen hatte mich das Fußballspiel schon gar nicht mehr interessiert, aber nach einer kleinen Zugabe wo alle Beteiligte gemeinsam mit der Lütten nochmal „Mercedes Benz“ sangen war dann wirklich Schluss. Beim Rausgehen kaufte ich Jürgen, der mit einem erloschenen Zigarrenstummel und einem Köfferchen auf einem Tisch saß für einen „Zähnor“ noch eine CD ab (ich heb sie für die ganz besonderen Momente auf, wenn ich mal schräge Mucke brauche ;-) ) Alles in Allem ein sehr unterhaltsamer Abend.
    Leider sieht es im Moment so aus, als hätte das „Jazz-inTown“-Festival zum letzten Mal stattgefunden, denn der Innenhof der Köpenicker Rathaus wird aufwändig und langfristig restauriert. Jedenfalls wurde das vom Veranstalter verkündet. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man für diese Erfolgsgeschichte keine Nachfolgeveranstaltung findet. Ich wäre auf jeden Fall dabei, es wird sich doch ein anderer Ort mit Ambiente finden?