'Vaterland' - Teil 5

  • Dem 5. Teil ist ein Zitat Himmlers vorangestellt, das ich sehr bezeichnend fuer die Einstellung der Nazis finde: sie loben sich selber fuer die Faehigkeit und menschliche Staerke *notwendige* Graueltaten zu verueben und gleichzeitig dabei ehrbar und anstaendig zu bleiben ... da kann es einen nur gruseln. Wobei ich hier gerne gewusst haette, ob es ein echtes oder angedichtetes Zitat ist.


    Fuer Maerz ist inzwischen klar, dass es ihm nur dann gelingen kann ehrbar und anstaendig zu bleiben (bzw. wieder zu werden, wenn er an die U-Boot Socken denkt), indem er seinem bisherigen Leben den Ruecken kehrt - mit allen Konsequenzen.


    Und die Konsequenzen sind schwerwiegend. Er versucht zwar zusammen mit Charlie alle Risiken abzuschaetzen und seinen Feinden ein Schnippchen zu schlagen, doch man spuert deutlich: er tut es um sie und die Dokumente zu retten, seine eigenen Ueberlebenschancen schaetzt er nicht sonderlich hoch ein.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Leider ist das alles wahr und tatsächlich passiert und gesagt: http://de.wikipedia.org/wiki/Posener_Reden


    Nightingale wird wohl der Verräter gewesen sein. Wer auch sonst.
    Beatrix : Haben die Amerikaner wirklich kaum Ahnung von diesem Teil der europäischen Geschichte? Die hatten doch die Holocaust-Filme.


    Bedrückend ist das jedes Mal wieder zu lesen. Wer noch Lesestoff in dieser Richtung sucht: Die Akte Odessa von Frederick Forsyth. Da gibt es interessante Innenansichten aus einem KZ und wie jemand zumindest körperlich überlebt hat. Die Verwendung der Körperhaare war dort auch ein Thema.


    Ich bin nun auf das Ende und das Schicksal von März gespannt.

  • Ich bin gerade mit diesem Teil fertig geworden und wurde nur von der Onleihe abgelenkt.


    März wird jetzt ganz klar, was genau mit den Juden passiert ist. Ich frage mich, ob es in der Realität ähnlich war, dass die Einzelnen nicht wussten, was mit den Juden passiert. Oder einfach nicht wissen wollte, wie der Soldat im KZ, der das Schreien in der Gaskammer mit zu heißen Wasser erklärt. Im Buch wird es aber auch sehr gut vertuscht.
    Im Dokument steht ja auch, dass Erschießen die Soldaten doch etwas mitnimmt.

  • Beatrix : In der deutschen Übersetzung gibt es noch eine Anmerkung des Übersetzers, in der die genauen Herkünfte der Zitate geklärt sind. Aber teilweise hat Harris sie auch an seine Geschichte angepasst und nur Teile aus dem Original übernommen.


    Mir ist die Beschreibung im Tagebuch von Auschwitz nahegegangen. In der Schule habe ich damals zwar Bergen-Belsen besucht und war auch zwei Mal bei Riga beim heutigen Mahnmal samt Erinnerung an die Barracken gewesen, aber die Vorgangsbeschreibungen, wie alles wie in einer Fabrik abläuft, zusammen mit den Bildern, die ich aus Bergen-Belsen kenne, haben mir eine Gänsehaut verursacht.


    Nun ist auch eindeutig, dass Harris in seinem Roman vor allem das Schicksal der Juden aufnimmt. Und das ist ihm infolge der Ermittlungshandlung meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Hier fiel es mir schon schwer das Buch noch aus der Hand zu legen.

  • Zitat

    Original von xexos
    Beatrix : Haben die Amerikaner wirklich kaum Ahnung von diesem Teil der europäischen Geschichte? Die hatten doch die Holocaust-Filme.


    Filme wie "Schindlers Liste" sind natuerlich bekannt. Und in den Schulen wird auch "etwas" Nazizeit durchgenommen. Aber es ist kurz und bezieht sich in erster Linie auf die militaerische Perspektive (D-Day etc).

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich habe nun auch den 5. Teil durch (ich habe das Buch gestern sogar komplett zu Ende gelesen).


    Nun bin ich irgendwie besser in der Geschichte drin. Ich finde die Abläufe jetzt spannend. Was mich immer noch nervt ist die entsetzlich kleine und noch kleiner werdende Schrift (gerade bei den Tagebuch- und Protokollauszügen ist es sooo anstrengend, dass ich mir ein Vergrößerungsglas an die Hand wünsche).


    Für mich ist es nicht wirklich erstaunlich, dass die Deutschen so uniformiert sind, was mit den Juden und den anderen Minderheiten geschehen ist. Sie vermuten alle irgendwas, geben sich aber nur zu gern mit den Erklärugnen zufrieden, die ihnen vorgegaukelt werden. Somit haben sie die Absolution der Unschuldigkeit auf ihrer Seite (denken sie zumindest). Keiner will es wirklich wissen. Das ist ja heute in der Realität auch bei den älteren Leuten noch zu beobachten. Meine Großeltern beharrten auch darauf, nichts gewusst zu haben.... geahnt schon irgendwas - aber niemals dass es so schlimm war.


    Von dem her ist auch diese Erkenntnis nichts überraschendes für mich gewesen.

  • Zitat

    Original von imandra777
    Mir ist die Beschreibung im Tagebuch von Auschwitz nahegegangen.


    Mir auch, diesen Teil empfand ich als sehr bedrückend. Leser, die wenig Ahnung vom Holocaust haben, müssen doch nach dieser Lektüre sehr schockiert sein!


    xexos : Danke für den sehr interessanten Wikipedia-Link zum Holocaustbekenntnis von Zeitzeugen. Ein sehr schwieriges Thema. Heute tun wir uns leicht zu sagen, wir hätten das alles ganz anders gemacht! Aber wenn man in dieser Situation ist???

    Ansonsten finde ich das Buch wirklich gut, weil es eine ganz andere Art der Aufarbeitung der NS-Zeit ist. Allerdings auch sehr mühsam, ich komme nur sehr, sehr langsam vorwärts und empfinde das Lesen als anstrengend.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    xexos : Danke für den sehr interessanten Wikipedia-Link zum Holocaustbekenntnis von Zeitzeugen. Ein sehr schwieriges Thema. Heute tun wir uns leicht zu sagen, wir hätten das alles ganz anders gemacht! Aber wenn man in dieser Situation ist???


    Ich würde mich da keiner Illusion hingeben. Wir Menschen erkennen das Problem oft nur, wenn das neue genauso aussieht wie das alte. Erscheint es hingegen im anderen Kleidchen, reift die Erkenntnis meist erst, wenn es zu spät ist.