Ein gutes Herz - Leon de Winter

  • Diogenes 2013
    Hardcover, 512 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Ein toter Filmemacher – Theo van Gogh – auf Bewährung im Himmel und sein inhaftierter Mörder unten auf Erden. Ein dubioser jüdischer Geschäftsmann und Drogendealer und ein schwarzer Franziskanerpriester, der ihm sein Herz vermacht hat. Ein Schriftsteller namens Leon de Winter, der von seiner Frau Jessica Durlacher verlassen wurde und sich mit einem Romanprojekt über seinen Lieblingsfeind van Gogh darüber hinwegtrösten will. Wie auch mit der attraktiven Sonja Verstraete, die allerdings den Mann liebt, vor dem sie seit Jahren auf der Flucht ist. Und eine Gruppe junger radikalisierter Muslime, die eine Serie von Gewalttaten inszenieren und Amsterdam in den Ausnahmezustand versetzen. Da ist Einfallsreichtum gefragt, es braucht kriminelle oder metaphysische Synergien, um wieder Herr der Lage zu werden. Oder beides.


    Über den Autor:
    Leon de Winter, geboren 1954 in 's-Hertogenbosch als Sohn niederländischer Juden, begann als Teenager, nach dem Tod seines Vaters, zu schreiben. Er arbeitet seit 1976 als freier Schriftsteller und Filmemacher in Holland und den USA. Seine Romane erzielen nicht nur in den Niederlanden überwältigende Erfolge; einige wurden für Kino und Fernsehen verfilmt, so ›Der Himmel von Hollywood‹ unter der Regie von Sönke Wortmann. Der Roman ›SuperTex‹ wurde verfilmt von Jan Schütte. 2002 erhielt de Winter den Welt-Literaturpreis für sein Gesamtwerk, und 2006 wurde er mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet.


    Mein Eindruck:
    Ich war schon überrascht, wie verspielt und überborden dieser Leon de Winter-Roman ist. Nicht nur, dass der ermordete holländische Film-Regisseur Theo Van Gogh nach seinem Tod im Mittelpunkt steht, auch Leon de Winter selbst wirkt als Figur mit.


    Der Beginn des Romans hat das Potenzial zu provozieren. Es wird die kompromisslose Sprache van Goghs verwendet. Ungehemmt werden fanatische, zur Gewalt bereite Moslems als Bartaffen, Ziegenficker, Scheißmarokkaner bezeichnet. Mir scheint, dieses vorgebliche provokative ist Teil des Spiels, das Leon de Winter treibt.


    Theo van Gogh wird nach seiner Ermordung von einem Berater im Zwischenreich vor die Wahl gestellt, mit einem noch lebenden Menschen Kontakt aufzunehmen. Das könnten sein: eine Künstlerin, Leon de Winter oder sein Mörder. Eine kümmerliche Auswahl findet er, daher bekommt er dann Max Kohn zugewiesen.


    Die Vielschichtigkeit des Textes wird deutlich durch weitere Handlungsstränge, z.B. eben den von Max Kohn, der eine Herztransplantation hatte (daher auch der Titel) und van Gogh als Schutzengel bekommt.


    Auch die Szenen, die Leon de Winters eigene Auseinandersetzungen mit Van Gogh thematisieren, entbehren nicht einer schrägen Komik. Ich habe für dieses selbstreflexive Spiel von Schriftstellern etwas übrig.
    Leon de Winter ist im Roman (und anscheinend nur da) gerade getrennt von seiner Frau Jessica Durlacher, die ebenfalls Schriftstellerin ist. Dennoch wird gerade ihr als erste Leserin des Manuskripts ausdrücklich gedankt.


    De Winter verknüpft die verschiedenen Handlungsabläufe permanent. Das ist gekonnt, wenn auch für den Leser manchmal anstrengend. Manche Kapitel im Mittelteil haben mich auch gelangweilt, ein Vorblättern blieb nicht aus. So etwas ist immer Schade.
    Die Entwicklung der Handlung ist teilweise zäh, nicht immer so wie ich es mir gewünscht hätte, verbindet aber immerhin zum Schluss alles logisch.


    Ich hatte nach dem rasanten Start im Mittelteil meine Probleme mit dem Roman. Während die Verwicklungen und Dialoge tatsächlich amüsant sind, nerven die ganzen Übertreibungen und Überspitzungen doch schwer.
    Gegen Ende hat mir der Roman dann wieder besser gefallen.


    Immerhin ist es ein origineller Roman mit dramatisch gestaltetem Finale, den ich zwar nicht vorbehaltlos empfehlen kann, doch die literarischen Qualitäten sind unbestreitbar.

  • Ein blödes Buch


    Zeitgenössische fiktionale Literatur, eigentlich aber nicht nur diese, ist zwangsläufig immer ein wenig autobiografisch. Unterschiedliche Autoren würden die gleiche Geschichte schließlich unterschiedlich erzählen. Taucht der Autor selbst als Figur in seinem Roman auf, wird es allerdings problematisch.


    In Leon de Winters jüngstem Roman geht es um viele Themen - Terrorismus, Vater-Sohn-Beziehungen, Politik, Religion, organisierte Kriminalität, Schriftstellerei und Liebe. Aus wechselnden Perspektiven, die nicht immer gut getroffen sind (etwa, wenn der junge Nathan auftritt), erzählt der niederländische Romancier von einer Gruppe junger Marokkaner, die vorgeblich eine Fußballmannschaft sind, eigentlich aber eine Terrorzelle bilden, von einem charismatischen Großkriminellen, der das Land verlassen musste, herzkrank wurde und ein Spenderorgan bekam, von einem Staranwalt mit Verbindungen nicht nur zur rechten Szene, von einer getriebenen Frau, die bei allen Liebhabern bleibende Eindrücke hinterließ, von amtsmüden Politikern und sensationsgierigen Populisten. Und er erzählt von Leon de Winter, der mit alldem zu tun hat, langsam älter wird, nicht mehr sehr hübsch ist und seine Haltung reflektiert, irgendwo zwischen Wut, Trieb, Gestaltungswillen und Altersmüdigkeit.


    Ausgangspunkt ist der (reale) Mord an Theo van Gogh, jenem mäßig bekannten Filmregisseur, der im Jahr 2004 in Amsterdam von einem Islamisten getötet wurde. Dieser Theo von Gogh ist nun, zehn Jahre später, im Himmel - beziehungsweise an einem Ort, der die Vorstufe zu irgendwas bildet. Van Gogh muss sich bewähren, um seinen Körper zurückzubekommen, weshalb er, Halleluja!, Schutzengel wird. Seine Kontaktperson ist Max Kohn, der Kriminelle. Dieser hat soeben das Herz eines jung verstorbenen, zu Lebzeiten recht promisken Priesters erhalten, und dieser Priester hatte unter anderem ein Verhältnis mit Kohns Exfreundin. Mit dieser Frau ist Leon de Winter zur Zeit der Romanhandlung liiert. Kohns Sohn, von dem der Kriminelle nichts weiß, befindet sich ebenfalls in Amsterdam, Kohns rechte Hand war ein arabischstämmiger Mann, der eine Haftstrafe verbüßt, weil er zehn Jahre zuvor zwei Killer, die auf Kohn angesetzt waren, umgebracht hat, außerdem aber deren Auftraggeber, der wiederum ... nein, das würde jetzt zu weit führen. Der Sohn dieses Mannes ist übrigens der Anführer der jungen Terroristen. Auf seltsame und nicht immer schlüssige Weise ist in dieser diffusen Geschichte also alles miteinander verbunden. Die jungen Marokkaner verüben im Zentrum von Amsterdam einen folgenschweren Anschlag und entführen kurz darauf ein Flugzeug. Kohn, sein Anwalt und Leon de Winter werden zu Schlüsselfiguren in der Krise. Und der Schutzengel Theo van Gogh wartet auf seine Chance.


    "Ein gutes Herz" ist ein sehr persönliches Buch, ein Vehikel, das bei aller Vielfalt des Personals und der Handlungsstränge doch nur einen einzigen Gegenstand transportiert: De Winters Eitelkeit. Was der Autor, den ich bislang sehr geschätzt habe, als Understatement zu verkaufen versucht, etwa die halbironische Betrachtung der eigenen Fähigkeiten als Womanizer und Liebhaber, aber auch seine Rolle als politischer Kommentator und einstiger Widersacher Theo van Goghs, endet als fremdschamverursachendes Fishing-for-Compliments. Fraglos darf man als Literat das, was der Autor da veranstaltet, die entscheidende Frage aber lautet: Sollte man auch? Im Hinblick auf das vorliegende Ergebnis ist diese mit einem klaren Nein zu beantworten - der Roman ist ein (viel zu) langer Kommentar auf die politischen Geschehnisse der Nullerjahre, auf "Political Correctness", den Zustand der Niederlande, der Welt und der eigenen Person. Am Ende zieht de Winter so kräftig an allen Handlungsfäden, dass sie sich zu vereinen scheinen, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Die Geschichte ist keine, sondern ein halbfiktiver, zutatenüberfluteter Brei, der deutlich zu lange gekocht wurde. Besonders unappetitlich ist der Auftritt des (wiederum realen) Rechtspopulisten Geert Wilders, der die Chance wittert, zum Helden zu werden.


    Das Buch hat seine spannenden und interessanten Momente, und es hätte ein gutes Buch werden können, hätte de Winter nicht, wie er am Ende erklärt, darauf verzichtet, einen Thriller zu schreiben, sondern diese mystische, halbpersönliche, gleichsam provinzielle Posse, deren Protagonisten, ob nun real oder fiktiv, allesamt armselige, mittelalte, egomane Wichtigtuer sind. Was wiederum die Vermutung nahelegt, dass es sich um eine Satire handelt, wofür auch die fehlende Logik und die inflationären Zufälle sprechen, allerdings gibt es auch ein Ausschlusskriterium: Die völlige Humorfreiheit des Romans. Nicht einmal die Szenen, in denen sich de Winter spiegelbildlich betrachtet, verfügen über Witz.


    Bleibt ein Manifest der Selbstüberschätzung, eine kumpelhafte Abenteuergeschichte, die alle Register der Provokation zieht, ohne das Instrument selbst zu beherrschen, ein unterm Strich fast unerträglicher Roman, der auch noch das schlimmste aller literarischen Verbrechen begeht: Er langweilt. Ein wirklich blödes Buch. Mag sein, dass de Winter, wie er anmerkt, diesen Roman unbedingt schreiben musste. Aber auf die Veröffentlichung hätte er verzichten können.

  • Zitat

    Original von Tom


    Bleibt ein Manifest der Selbstüberschätzung, eine kumpelhafte Abenteuergeschichte, die alle Register der Provokation zieht, ohne das Instrument selbst zu beherrschen, ein unterm Strich fast unerträglicher Roman, der auch noch das schlimmste aller literarischen Verbrechen begeht: Er langweilt. Ein wirklich blödes Buch. Mag sein, dass de Winter, wie er anmerkt, diesen Roman unbedingt schreiben musste. Aber auf die Veröffentlichung hätte er verzichten können.


    Über diesen Ansatz habe ich mich köstlich amüsiert.
    In jedem Fall herzlichen Dank für die Warnung - denn normalerweise schätze ich Leon de Winter.
    Und wieder 22.90 EUR gespart....... :freude

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Vorsicht, ich möchte etwas Positives über dieses Buch sagen :-)


    Ich finde die Geschichte sehr originell und sogar die Selbstdarstellung von Herrn de Winter ist meiner Meinung nach nicht peinlich oder beifallheischend, im Gegenteil, ich habe mich beim Lesen auch gerade hinsichtlich der eigenen Beschreibung von Herrn de Winter eher amüsiert. Mag sein, dass der Plot haarsträubend ist, aber was soll' s? Er hat mich ab der ersten Seite abgeholt und zu über 90% macht es einfach Spaß, das Buch zu lesen. Es steckt keine großartige Botschaft dahinter (wenngleich mir dieser Auffangbereich für frisch Gestorbene schon irgendwie gefällt), ich sehe es einfach als das, was es ist: ein prima Zeitvertreib, den ich persönlich durchaus weiterempfehlen kann. Dennoch weiß ich nicht, ob meinem ersten de Winter (denn das ist er) ein weiterer folgen wird. Ich denke, dass hängt dann immer vom Thema des Buches ab.


    Sagen wir mal so: ich kann nachvollziehen, wenn jemand das Buch mag und genauso, wenn jemand es nicht mag.


    Vielleicht gibt es ja noch weitere Meinungen zu diesem Buche. Würde mich mal interessieren, ob ich denn wirklich so falsch liege :wave