Klappentext: Von einem Freund befragt, gibt „ein großer Händler und ehemaliger Schieber“ Auskunft über seinen Aufstieg vom einfachen Arbeiter zum wohlhabenden Bankier und über seine anarchistische Gesinnung, die er nie aufgegeben hat. Mit verblüffend schlüssiger Logik legt er dem fassungslosem Zuhörer dar, daß seinem Aufstieg eine anarchistische Methode zugrunde liegt: „Geld zu erwerben, es in so großer Menge zu erwerben, daß sein Einfluß nicht mehr spürbar werden konnte.“ Der einzig logische Schluß kann denn auch nur lauten: Der wahre Anarchist muß Bankier werden, der wahre Bankier ist konsequenter Anarchist.
Portugiesischer Originaltitel - O Banqueiro Anarquista
Zum Autor: Fernando Pessoa, geboren 1888 in Lissabon, gilt als der bedeutendste moderne Autor Portugals. In Südafrika aufgewachsen, kehrte er mit 17 Jahren nach Lissabon zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1935 eine unscheinbare Existenz als Außenhandelskorrespondent führte. Er selbst publizierte nur wenig, sein literarischer Ruhm setzte mit der Veröffentlichung seines Nachlasses ein.
Wie ich auf dieses Buch gestoßen bin: Nachdem ich in einem Restaurant in Lissabon eine Postkarte mit einem alten Foto von Fernando Pessoa geschenkt bekommen hatte (es war offensichtlich eines seiner Stammlokale) und ich noch nie von diesem Mann gehört hatte, hab eine Googlesuche mich zu einem Autor geführt. Ein paar Wochen später war dann dieses Buch in der Buchhandlung meines Vertrauens, in einer Ausgabe des Verlags Klaus Wagenbach. Diese Ausgabe hat ein Nachwort von Reinhold Werner „Die Gleichgültigkeit der Gegensätze – Über Fernando Pessoa“ in dem der historische Hintergrund zu diesem Buch beleuchtet wird und ausserdem Eizelheiten über den Autor in Zusammenhang zu diesem Buch gebracht werden. Wenn man, so wie ich, noch nie von diesem Autor gehört hat, ist dies ausnehmend hilfreich.
Mit Anarchie als Theorie hatte ich mich nie besonders beschäftigt, daher hatte ich Schwierigkeiten, in das Buch hinein zu kommen. Man muss beim Lesen davon ausgehen, daß das Buch in einer Zeit entstanden ist (Erstveröffentlichung 1922), in dem ‚die Welt‘ im Umbruch war. Monarchien gingen unter und was kommt danach???? Diverse Theorien wurden seinerzeit diskutiert, darunter der Sozialismus und die Anarchie. Beide werden im Buch erwähnt.
Obwohl das Buch offiziell ein Gespräch ist, besteht die Funtion des Gesprächspartners meist aus Zustimmen und Fragen stellen, eine Funktion, der auch bei Jostein Gaarders ‚Sophies Welt‘ zu finden ist, wenn eine neue Erklärung erfolgen soll. Jeder Satz ist wohlkonstruiert und es erfordert erhöhte Aufmerksamkeit, keine Spitzfindigkeit zu verpassen. Obwohl der Gesprächspartner regelmässig zustimmen muss, frage ich mich nach dem Lesen des Buches, was den neu entstandenen Bankier von einem Nicht-Anarchisten-Bourgeoisen unterscheidet, obwohl sich der neue Bankier als Anarchist bezeichnet. Vermutlich ist dies der Effekt, den Pessoa mit seinem Buch bezweckt hatte.
Wenn man offen ist für derartige Theorien, sollte man das Buch unbedingt lesen. Aber Achtung! Es ist keine leichte Kost, die man mal eben so runterliest, auch wenn nur 55 Seiten Text (ohne Nachwort) einfach aussehen.