Wer braucht noch die Kulturkritik?

  • Zitat

    Original von beowulf
    Ein Klassiker ist ein Buch, dass dem Leser auch nach vielen Jahren noch etwas zu geben mag, das obwohl unter Umständen Jahrhunderte alt neu und modern und für viele Leser lesbar bleibt.


    Dem kann ich nicht widersprechen.

  • Zitat

    Original von Bodo


    Dem kann ich nicht widersprechen.


    :write und genau deswegen liebe ich Tolstois Anna Karenina - mein Leben koennte nicht weiter entfernt sein vom Russland im 19. Jhd. und dennoch hab ich mich so oft drin wieder erkannt.


    Mein Mann meint uebrigens, dass Shakespeare mit seinen Komoedien nicht mehr modern ist, weil sie zu sehr die Sozialstrukturen seiner Zeit spiegeln und nicht auf die heutigen uebertragbar sind. Anders die Tragoedien, die grundsaetzliche Fragen des Menschseins behandeln, die nie aus der Mode kommen werden.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von BriannaFraser
    Waren das nur die Fachleute, die entschieden haben, was heute ein Klassiker ist?
    Oder vielleicht doch die breite Masse der Leser?
    :gruebel


    Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich denke, in den meisten Fällen eher nicht die breite Masse der Leser.


    Für viele ältere Bücher kommt "breite Masse" gar nicht in Frage, weil es zu ihrer Zeit keine breite Masse von Lesern gab, sondern immer nur einen relativ kleinen Kreis von Leuten, die wohlhabend und gebildet genug waren, um sich Bücher zu leisten. Als sich das ändert, als Bücher allgemein verfügbar werden und Lesen nicht mehr nur ein Nachweis von Bildung und Lebensart ist, sondern simple Unterhaltung, werden die meisten Leute "einfache" Literatur bevorzugt haben. So wie heute auch.


    Nur ein Beispiel: Jane Austen macht sich in etlichen ihrer Romane, namentlich in "Northanger Abbey", über die Romane einer zeitgenössischen "Bestseller-Autorin" lustig: Anne Radcliffe. Eine Kollegin von mir wurde so neugierig, daß sie sich (unter vielen Mühen!) das meistgenannte Werk der Dame besorgt hat. "The Mysteries of Udolpho". Auf englisch, in deutsch nicht zu kriegen. Kein Wunder, der Schinken ist, wie meine Kollegin mir versichert, vollkommen unlesbar. :grin Aber damals sind die Leute offensichtlich drauf geflogen. Das wäre dann wohl die "Twilight"-Saga von damals.


    Dagegen gehört es ja fast schon zum Klischee des verkannten Genies, daß ein richtiger Künstler zu Lebzeiten arm bleibt wie eine Kirchenmaus und erst nach seinem Tod die Wertschätzung erfährt, die ihm gebührt. Womit ich nicht sagen will, daß das wirklich immer so war. Aber daß Bücher, die schwierig sind, die weniger die Gefühls- als die Verstandesebene ansprechen, die viel Mitdenken und womöglich eine gewisse Vorbildung erfordern und die - ich schreib's jetzt hin - schlicht und ergreifend über manche Passagen weg stinklangweilig sind, daß solche Bücher zunächst einmal weniger Leser finden als ein Roman, bei dem man einfach nur wissen will, wie's weitergeht, das scheint mir doch sehr wahrscheinlich.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Ich finde Shakespeares Komödien sehr witzig. Twelfth Night und Midsummer Nights Dream ec. sind doch egal in welcher Epoche wir uns befinden zum schreien komisch. :grin

    Nenne dich nicht arm, weil deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat. - Marie von Ebner-Eschenbach

  • Vielleicht sollte Sibylle Berg statt depressive Romane zu schreiben, lieber die Kulturkritik um ihre messerscharfe Zunge bereichern. Diese Kolumne ist einfach herrlich überzeichnet und rührt gnadenlos in der Wunde. Die Welt braucht einfach viel mehr von solch anmaßender Arroganz. :anbet

  • Habt ihr den gleichen Artikel wie ich gelesen?
    Ich finde darin weniger Arroganz als eher einen ordentlichen Schuss Selbstironie.
    Und was für professionelle Literaturkritiken sind denn so verquast, dass man sie nicht verstehen kann? Mag sein, dass ich einer Rezension zu Adornos „Vorlesungen zur negativen Dialektik„ vielleicht nur bedingt würde folgen können, aber die Krimirezensionen von Tobias Gohlis oder Thomas Wörtche, die selbst in so verkopften Feuilletonseiten wie der Zeit zu finden sind, lese ich oft und gerne, die Empfehlungen von Denis Scheck dagegen, so gerne ich den mag, kann ich vergessen. Ohne, dass ich seine Kritiken gleich als pseudointellektuellen Schmonzes bezeichnen und seine sofortige Entlassung fordern würde.
    Durch die Rezensionen im Deutschlandradio bin ich schon auf tolle Bücher gestoßen, aber auch auf viele, von denen ich gleich wusste, ne, das is nix für mich.


    Warum so aggressiv? Nur wenn ich Quantenmechanik nicht verstehe, sind doch Physiker nicht gleich verquaste Egozentriker. Wenn ich nicht verstehe, was James Joyce mir sagen will, heißt das doch lange nicht, dass er nix zu sagen hat. Wenn mir ein Profi dabei hilft, zu verstehen: gerne. Wenn mich das nicht interessiert, auch recht.


    Für mich sind Literaturkritiken Anregungen für Menschen, die sich gerne mit Literatur beschäftigen. So wie Fahrberichte was für solche, die sich für Autos interessieren, und der Sportteil eben für Sportfans. Da fällt mir ein: wie wäre es, wenn man zunächst mal aller Sportredakteure rausschmeißen würde? Interessiert mich nämlich nicht. Die hocken bloß rum und gucken zu, wie andere sich abrackern.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ein interessanter Beitrag von Sybille Berg. Und in der Sache ist ihr durchaus zuzustimmen. Auch wenn Literaturkritik zuweilen sehr elitär rüberkommt, so sollte sie doch ihren festen Platze neben den doch oftmals unglaublich dummen Laienkritiken in Blogs und Foren haben. Und was hindert einen Leser denn daran einem professionellen Literaturkritiker zu widersprechen? Angst das man diesem intellektuell nicht gewachsen ist? Man reduziere eine vermeintlich kaum verständliche Literaturkritik auf die reine Aussage - so sieht man welcher Blödsinn dort oftmals abgelassen wird. Und dann nimmt man sich den Kritiker und dessen Blödsinn zur Brust und zeigt wie man auch mit einfachen Worten und verständlich seine Meinung äußern kann.


    Auch Literaturkritiker sind Fachidioten, die sich genau wie Ärzte, Juristen, Soziologen u.ä. "Gesindel" einer eigenen Sprache bedienen und die meinen sie würden sich durch ihre eigene Sprache erhöhen - merken aber nicht, dass sie sich einfach sehr oft nur lächerlich machen.


    Professionelle Literaturkritik ist notwendig und wichtig. Gebe es sie nicht, dann wäre man wirklich diesen teilweise unsäglichen Blog- und Forenkritiken hilflos ausgeliefert.


    Und wenn man etwas nicht versteht, dann muss das nicht auch automatisch schlecht oder unverständlich sein; dann hat man entweder die Grenzen des eigenen Denkens und Verstehens erreicht oder man versucht halt durch Nachfragen oder auch durch konzentriertes Lesen den Sinn des Gelesenen zu erfassen. Manchmal muss man eben bei Literaturkritiken ein wenig Gehirnschmalz investieren.


    Berg ist zwar eine arrogante Tussi - aber ihre Beiträge sind immer wieder sehr lesenswert.


    Und professionelle Literaturkritiker haben genau das Recht wieder jeder Blogger und jeder Forumsteilnehmer Unsinn zu schreiben - aber das bedeutet nicht, dass man auch auf sie verzichten könnte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Voltaire ()


  • Voltaire, ich stimme Dir ja zu...aber es geht gar nicht darum, ob sie existieren dürfen oder nicht. Ich würde mich mit einem studierten Fachidioten niemals anlegen, wenn ich weiß, dass ich auf seinem Gebiet ein Laie bin. Um Gotteswillen. Es wird ja beklagt, daß der Arbeitsplatz der Kritiker abgebaut wird und das Feld jetzt nur noch Vollidioten wie uns überlassen wird, die einfach keine Ahnung von haben aber trotzdem Ihre Meinung in Blogs, Foren etc. niederschreiben..


    Die Frage ist doch, warum sollten Kulturkritiker von einem freien Markt und vor der Härte des Arbeitsmarktes von Trends und Hypes und sonstigen Katastrophen im Leben ausgenommen sein? Und warum, wenn sie tatsächlich keiner mehr lesen möchte, automatisch alle anderen doof sein müssen? Diese Bewertung und vorallem Abwertung finde ich unmöglich.

  • Zitat

    Original von Sibel
    Die Frage ist doch, warum sollten Kulturkritiker von einem freien Markt und vor der Härte des Arbeitsmarktes von Trends und Hypes und sonstigen Katastrophen im Leben ausgenommen sein? Und warum, wenn sie tatsächlich keiner mehr lesen möchte, automatisch alle anderen doof sein müssen? Diese Bewertung und vorallem Abwertung finde ich unmöglich.


    Weil wir sie brauchen. Und nur weil es anderen an den Kragen geht, muss ja nicht auch allen anderen an den Kragen gehen.


    Und - ich möchte sie lesen, ich möchte mich über sie aufregen, ich möchte ihnen vors Schienbein treten (so wie vielen anderen auch) - und wären sie nicht da, ich könnte das nicht mehr. :-(


    Ach ja - ich habe die Aussage Frau Bergs Beitrag schon begriffen - manchmal begreife sogar ich etwas. :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.


  • Ich habe nie das Gegenteil behauptet. :grin
    Ich wollte nur erklären, daß ich nicht der Meinung bin, daß Kulturkritiker überflüssig sind - sondern dass ich mich nur darüber aufrege, daß offensichtlich eine Erwartungshaltung besteht, sie seien unantastbar. Nur der Pöbel darf vor die Hunde gehen aber nicht unsere Riege..


    So eine Haltung finde ich einfach doof. Man darf das durchaus schade finden, aber das muss nicht gleich bedeuten, daß man dafür andere runter machen machen muss.


    :-)

  • Zitat

    Original von Sibel
    Ich wollte nur erklären, daß ich nicht der Meinung bin, daß Kulturkritiker überflüssig sind.......


    Nun kommt einer fürs Phrasenschwein:
    Kein Mensch ist überflüssig, nicht einmal der Kulturkritik-Mensch. :grin :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich frage mich, warum sich viele hier angegriffen fühlen durch den Text.
    Ich fand ihn witzig und hatte nicht den Eindruck, dass ich hingestellt werden soll als Vollidiot, der keine Ahnung hat.


    Ich lese gerne Literatur- und sonstige Kulturkritiken. Gerne auch von "Profis". Und ich denke, dass es da (häufig) schon qualitative Unterschiede gibt zwischen einer Rezension eines Literaturwissenschaftlers und der eines Hobby-Rezensenten. Auch da gibt es viele, die toll sind, aber es gibt noch sehr viel mehr, die wirklich blöd sind und nicht sehr aussagekräftig. Zu einer Rezension gehört eben ein bisschen mehr als nur: Das Buch finde ich toll, es ist spannend und die Hauptfigur gefällt mir. Das sagt mir ja im Grunde nicht wirklich was, denn nur weil ein Buch 100 Leuten gefällt oder mehr, muss es mir ja noch lange nicht gefallen.
    Der "Profi" geht da - so sollte es jedenfalls sein - etwas mehr ins Detail und ermöglicht mir, selbst wenn das Urteil vernichtend sein sollte, selbst zu entscheiden, ob das Buch für mich persönlich vielleicht trotzdem was ist. Darum erkennt man auch manchmal nicht sofort, ob der Kritiker das Buch nun lobt oder nicht, weil er auf die Stärken eingeht und aber auch auf die Schwächen, damit dann hinterher jeder selbst entscheiden kann.

    Mir würde was fehlen ohne die "Profi"kulturkritik. Weil sich dann vielleicht wirklich am Ende immer das durchsetzt, was die meisten gut finden. Und Bücher etc., die eh schon nicht gut verkauft werden, würden vielleicht ganz vom Markt verschwinden, wenn keiner mehr auf sie aufmerksam macht.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Die Frage ist doch ganz einfach zu beantworten- warum kaufen die Menschen eine Zeitung- wegen des Kulturteils offensichtlich nicht, also investiert der Verleger in die Sparten mit denen er Umsatz macht.

  • Der Artikel vergleicht doch Äpfel mit Birnen. Was hat anspruchsvolle Literatur mit Unterhaltungsliteratur und Trivialromanen zu tun? Ähnlich wie beim Essen (bspw. reines Sattwerden, gesunde Ernährung und Haute Cuisine) hat das alles unterschiedliche Berechtigungen und Zielgruppen. Und das anspruchsvolle ist halt meist auch nicht massenkompatibel.

  • Zitat

    Original von Frettchen


    Mir würde was fehlen ohne die "Profi"kulturkritik. Weil sich dann vielleicht wirklich am Ende immer das durchsetzt, was die meisten gut finden. Und Bücher etc., die eh schon nicht gut verkauft werden, würden vielleicht ganz vom Markt verschwinden, wenn keiner mehr auf sie aufmerksam macht.


    Das sehe ich ganz ähnlich. Gerade die "freie" Internet-Konkurrenz, also die Buchblogs und -foren, besprechen meist genau die Bücher, die mir Amazon und Co. schon bei jedem Besuch offerieren und die bei Hugendubel und Thalia ohnehin stapelweise auf den Tischen liegen. Meist, natürlich gibt es Ausnahmen. Aber wenn ich mir mal anschaue, was mir in den Lovelybooks-Newslettern an Büchern vorgestellt wird ... da war noch nicht ein einziges Mal was dabei, wo ich mir gedacht habe: hey, das schauste dir mal genauer an.


    Wohlgemerkt, ich finde es sehr gut, daß in Blogs und Foren auch der "trivialen", im Feuilleton verpönten Unterhaltungsliteratur endlich Aufmerksamkeit gegönnt wird und daß dort jeder mal ein bißchen Kulturkritiker spielen darf. Überhaupt nichts dagegen zu sagen. Es ist außerdem sehr praktisch und bequem, wenn ich als Krimi-Leser einfach den Krimi-Blog ansurfen kann und als Leser von Liebesromanen einen anderen, in dem meine bevorzugte Lektüre besprochen wird.
    Aber man kocht halt im eigenen Saft. Es wird automatisch immer nur das ohnehin schon vorhandene Interesse bedient. Während ein Blick ins Feuilleton (oder in manche Buchbesprechungen hier im Forum) in mir zumindest gelegentlich den Ehrgeiz wecken könnte, mich mal nach der Decke zu strecken.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.