Fünf Kopeken - Sarah Stricker

  • Fünf Kopeken
    Sarah Stricker
    Eichborn
    ISBN: 978-3-8479-0535-6
    506 Seiten, 19,99 Euro


    Über die Autorin: Sarah Stricker, 1980 in Speyer geboren, schrieb nach Einsätzen bei der taz und Vanity Fair für viele deutsche Zeitungen und Magazine (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Neon). 2009 ist sie mit einem Stipendium nach Tel Aviv gegangen und kurzerhand dort geblieben, sie berichtet für deutsche Medien über Israel und für israelische Medien über Deutschland. "Fünf Kopeken" ist ihr schriftstellerisches Debüt, für einen Auszug daraus ist sie 2011 mit dem Martha- Saalfeld-Förderpreis ausgezeichnet worden.


    Buchrückentext: Meine Mutter war sehr hässlich. Alles andere hätte mein Großvater ihr nie erlaubt. "Doofsein kannst du dir mit dem Gesicht wenigstens nicht erlauben"', sagte er, und wie mit Allem im Leben hatte er natürlich auch damit recht. Also machte meine Mutter das, was sie am besten konnte: alle stolz. Mein armer Großvater konnte sich kaum entscheiden, welche ihrer tollen Begabungen das gesamte Gewicht seiner übersteigerten Erwartungen am meisten verdiente. Das Einzige, wozu meiner Mutter leider völlig das Talent fehlte, war die Liebe."


    Meine Meinung: Schon nach wenigen Seiten war ich absolut begeistert von diesem Buch und konnte gar nicht genug bekommen von der großen Erzählkunst Sarah Strickers. Es geht um eine Familiengeschichte der besonderen Art. Die hochbegabte Mutter der Erzählerin ist ein Wunderkind und wird von ihrem Vater immer wieder neu zu Höchstleistungen angetrieben. Liebe ist für sie etwas, das sich ganz bestimmt mit medizinischen Fachbegriffen erklären lässt – bis es sie tatsächlich selbst umhaut.


    Eines Tages ist die Zeit gekommen, ihrer eigenen Tochter darüber zu berichten und die schreibt alles auf. Ob es sich nun um eine wahre Familiengeschichte handelt, bleibt im Verborgenen, man hat aber manchmal den leisen Verdacht, dass es so sein könne, denn die Figuren sind so lebensecht und so intensiv, dass man nach kurzer Zeit das Gefühl hat, die ganze Familie vor Augen zu sehen und zum Beispiel das Gejammer der Großmutter der Erzählerin förmlich zu hören.


    Die Geschichte macht anfänglich einen riesen Spaß – so witzig sind die Schilderungen des Familienlebens. Der Dialekt, die kleinen Eigenheiten jedes Familienmitglieds und die verschrobenen Dialoge sind oft urkomisch und teilweise auch gespickt mit schwarzem Humor. Der Schreibstil von Sarah Stricker ist so klug, fulminant und humorvoll – ein wahres Feuerwerk der Sprache, bei dem das Lesen zu einem Ereignis wird.


    Zwar kann die Autorin ihren anfänglichen Humor nicht ganz bis zum Ende aufrechterhalten und ab Buchmitte wird es zeitweise auch ein wenig zu langatmig und die Handlung fokussiert sich nur noch auf eine Person, während die anderen, mit der Zeit liebgewordenen Figuren, in den Hintergrund rücken und ihr weiteres Leben in Zeitraffer erwähnt wird, doch nachdem die letzte Seite gelesen war, kam es mir vor, als müsse ich erst einmal wieder ganz langsam auftauchen und diese intensive Familie beiseite drängen.


    Mein Fazit: Ein beeindruckendes Debüt, das mit intelligenter und humorvoller Sprache und klugem Witz mein Sommerbuch 2013 geworden ist und dem ich wünsche, dass es nicht in der Masse der Neuerscheinungen untergeht.

  • Durch Deine Rezi hab ich mir jetzt mal die Leseprobe angesehen (fällt ja sonst eher nicht so in mein Schema), und musste auf den ersten Seiten schon zwei mal laut auflachen. Ich glaube das Buch muss dringend auf die Wunschliste. *seufz* Vielen Dank fürs Vorstellen Eska. :wave

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Debütromane lese ich sehr gern, weil darin immer ein bisschen die Hoffnung mitschwingt, eine Entdeckung zu machen. Mit "Fünf Kopeken“ stellte nun die Journalistin Sarah Stricker ihren Erstling vor und dieser Roman entpuppte sich für mich als Glücksgriff. Schnell las ich mich in die Geschichte ein und schloss den kauzigen Großvater, die lamentierende Großmutter, die hässliche, aber hochbegabte Mutter und die in der Ich-Form erzählende Tochter in mein Herz. Die Figuren waren lebensecht und sehr glaubwürdig beschrieben. Namentlich werde diese selten genannt. Aber deren Beschreibungen sind so schlüssig, die Charaktere so ausgefeilt und in den Dialogen so eindeutig zuordenbar, dass dies kein Problem, sondern eher etwas Besonderes darstellte.


    Die Geschichte selbst wird von der Tochter erzählt. Ihre Mutter, die so hässlich war, dass sie sich Dummheit nicht mehr leisten konnte, erzählt der Tochter ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse, von der Liebe, für die ihr das Talent fehlte und dem, was sie am meisten hasste, die Schwäche. Das alles notiert die Tochter sozusagen für den Leser des Romans. Begegnet man zu Beginn des Romans noch häufig der Großmutter und dem Großvater, der diesem ein ganz besonderes Kolorit verleiht, so wird deren Erscheinen im Handlungsverlauf immer seltener.


    Obwohl es sich bei "Fünf Kopeken“ um das Debüt von Sarah Stricker handelt, ist die Sprache erstaunlich ausgefeilt und ausgereift. Sie spielt mit Wortgewandtheit, Witz, Ironie und bissigem schwarzem Humor. Ihr Stil ist sehr ansprechend und durchaus anspruchsvoll. Es gibt einige dialektgefärbte Dialoge, die die Authentizität besonders unterstreichen. Dabei lässt sie ihre Gedanken auch in die Tiefe gehen und betrachtet manche Dinge fast schon philosophisch, ohne dabei den Leser belehren zu wollen.


    Mit "Fünf Kopeken“ hat die junge Autorin einen äußerst beachtenswerten Roman vorgelegt, der sich sehr positiv von der großen Masse der Neuerscheinungen abhebt. Von mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung. Ich wünsche diesem besonderen Debüt viele begeisterte Leser.

  • Eine Mutter erzählt ihrer Tochter ihre Lebensgeschichte. So weit, so normal. Doch was die Tochter in "Fünf Kopeken" von ihrer Mutter erfährt, ist nicht mehr ganz so normal. Von dem Vater zu Spitzenleistungen getrieben, von der Mutter beschützt bis zum Äußersten, wächst das Mädchen auf. Aber leben...leben wird es erst sehr viel später?


    Das Debüt von Sarah Stricker hat mir gut gefallen und hält eine ganz andere Familiengeschichte in seinem Inneren verborgen. Zwar hat jede Familie so ihre Geheimnisse und Tragödien, doch die Familie, die von der Autorin beschrieben wird, übertrifft das bei weitem.


    Die Geschichte wird von der Tochter aus der Ich-Perspektive erzählt. Diese wiederum gibt die Lebensgeschichte ihrer Mutter wieder, die diese ihr im Krankenbett erzählt. Dabei kommen so viele Details ans Licht, die mich beim Lesen öfters haben stocken lassen. In dem Roman findet keine offensichtliche Misshandlung statt, es sind eher die subtilen und weitreichenden Folgen, die mich haben stocken lassen. Die Mutter wächst in einer Umgebung auf, in der Gefühle nicht gelebt, sondern analysiert werden. Und im Laufe der Erzählung merkt man auch als Leser, welche gefährlichen Folgen dies haben kann.


    Die Erzählungen halten sich dabei nicht an den gewohnten Stil. Immer wieder kommen Einwürfe der Mutter, wenn ihre Tochter etwas falsch wiedergibt oder etwas vergisst. Auch Zitate der Großeltern werden einfach so in den fließenden Text eingeworfen. Was zu Beginn das Lesen erschwerte, entpuppte sich nach einer gewissen Zeit als tolles und vor allem mir neues Stilmittel. Durch diese Erzählweise hatte ich das Gefühl, dass die Tochter mir diese Geschichte direkt erzählt und ihre Mutter im Hintergrund immer wieder dazwischen plärrt.


    Der Schreibstil von Sarah Stricker ist, bis auf die besondere Erzählweise, flüssig zu lesen. Ich konnte mich sehr gut in den Roman vertiefen und war so manches Mal schockiert, wie leidenschaftslos die Mutter mit vielen Dingen umgegangen ist. Und wie gut die Autorin diese Leidenschaftslosigkeit in Worte fassen konnte, ohne dabei langweilig zu wirken.


    Allerdings, und daher vergebe ich auch nicht die volle Punktzahlt, hat der Roman ab der Mitte einige Längen. Eine Straffung hätte hier dem Buch gut getan.


    Fazit: wer mal eine besondere und andere Familiengeschichte lesen möchte, ist mit "Fünf Kopeken" sehr gut bedient. Eine klare Leseempfehlung.

  • Fünf Kopeken - Sarah Stricker


    Mein Eindruck:
    Wieder einmal ein Romandebüt, das hochgejubelt wird, dachte ich bei Erscheinen des Buches. Das braucht die Welt nicht mehr. Doch schnell wurde ich eines besseren belehrt.


    Die guten Rezensionen haben mich neugierig werden lassen und als ich das Buch gewann, habe ich es gerne gelesen. Sarah Stricker verfügt wirklich über eine gediegene, eigenständig wirkende Sprache, die sich abhebt vom gängigen Erzählstil deutscher Jungautoren.
    Der Roman ist 500 Seiten stark, in der Mitte ein klein wenig langatmig, aber das nimmt man gerne in Kauf, da so vieles an dem Roman sonst gut funktioniert.
    Insbesondere überzeugt der Roman aber durch die teilweise ironische Erzählhaltung einer jungen Schriftstellerin in der Betrachtung ihrer ungewöhnlichen Mutter.
    Sie erzählt den Lebensweg ihrer Mutter von Kindheit an bis zur Gegenwart.


    Der Roman beginnt “Meine Mutter war sehr hässlich”, aber man sollte sich nicht täuschen lassen, es ist ein liebevolles Portrait und der Leser empfindet die Mutter nie als hässlich. Stattdessen ist sie ein intelligentes Kind, ein lebhaftes Mädchen und später eine emotionale Frau.


    Durch den Blick der Tochter erreicht man die notwendige Distanz zur Figur, die man schnell sehr mag. Eine Ich-Perspektive hätte vermutlich nicht so gut funktioniert.
    Selten hat mich die Darstellung einer Romanfigur so überzeugt.
    Man darf gespannt sein, was Sarah Stricker diesem Werk nachfolgen lässt.

  • Um dieses Buch bin ich vor ein paar Monaten in der Städtischen Bücherei immer wieder herumgeschlichen, das Cover - das m.M. nicht zum Inhalt passt - hat mich jedoch davon abgehalten. Das Mädchen auf dem Cover signalisiert in seiner komplexhaften Schüchternheit: "Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Geh weg! Starr mich nicht an!"
    Doch nun habe ich mir die Leseprobe auf den E-Book-Reader geladen und siehe da, es ergab sich eine bizarre Leseerfahrung ergeben: Als die E-Book-Leseprobe zu Ende war, tauchte ich wie ein Junkie im Delirium auf und war letztendlich total befreit. Die Sogwirkung war gewaltig. Umso glücklicher deshalb das Entkommen aus dem tödlichen Strudel.


    Mir scheint, dass der Roman (der Auszug, den ich zur Verfügung hat) eine Groteske ist.


    Das Thema Hochbegabung wird nämlich hochdramatisch und total unglaubwürdig inszeniert: Eine der geschilderten künstlerischen Höchstleistungen des "hässlichen" kleinen Mädchens ist in einem Lebensalter angesiedelt, wo "so etwas" absolut unmöglich ist: Ich meine die Bleistiftzeichnung, die die Mutter des kleinen Genies zeigt. Wie alt war sie damals angeblich noch mal ?


    Diese Episödchen zählen wirklich zum Feinsten. Irgendetwas erinnerte mich dabei an den Oskar Mazerath aus Günther Grass´ "Blechtrommel". Keine Ahnung warum...!


    Kurz und gut: Dieses Buch möchte ich nicht weiterlesen, nicht weil es so schlecht ist, sondern weil ich die Frauenfiguren nicht mag. Der Nazi-Opa, der ist der wahre Drahtzieher, der lässt die (Kleider-)Puppen tanzen. "Cooler Nazi-Opa" ... auf den hätte die Stricker ruhig mehr Scheinwerfer richten sollen.
    Den Vergleich mit den Duracell-Hasen werde ich mir als Zitat rausschreiben und plakatieren. Der sprichwörtliche deutsche Fleiß ...

  • Meine derzeitige Lieblingsautorin Sue Townsend hat bei der Schilderung eines kosmetischen Makels ihrer weiblichen Figur Adele, der Ehefrau des britischen Premierministers, die Reaktion ihres Vaters vollkommen lapidar und mit einem Augenzwinkern hingedrechselt:


    "Adeles Nase war außergewöhnlich groß. Kurz nach ihrer Geburt hatte ihr Vater, Guy Floret, bei ihrem Anblick geäußert: "Mon dieu, ma pauvre enfant! Elle est Pinocchio!" (aus: Downing Street Nr. 10)