Ruth Vander Zee/Roberto Innocenti: Erikas Geschichte [ab 10 Jahre]

  • Ruth Vander Zee: Erikas Geschichte
    Illustrator: Roberto Innocenti
    Verlag: Gerstenberg 2013. 24 S.
    ISBN-13: 978-3836957700. 16,95€
    Vom Verlag empfohlen ab 5 Jahre, von mir empfohlen: ab 10 Jahre
    Originaltitel: Erica's story (2003)
    Übersetzerin: Gabriel Haefs


    Verlagstext
    »Ich wurde irgendwann während des Jahres 1944 geboren. Ich kenne mein Geburtsdatum nicht. Ich kenne meinen Geburtsnamen nicht. Ich weiß nicht, in welcher Stadt oder in welchem Land ich geboren wurde. Was ich weiß ist, dass ich nur einige wenige Monate alt war, als ich vor dem Holocaust gerettet wurde.« Erikas Familie lebte vermutlich in einem Getto. Zusammen mit vielen anderen Juden wird sie zum Bahnhof getrieben und in einen Viehwagen gepfercht. Irgendwann während der Fahrt begreift die Mutter, wohin die Reise geht. Als der Zug in einem Dorf sein Tempo verlangsamt, wickelt die Mutter ihr Kind in ein Tuch und wirft den Säugling hinaus. Eine fremde Frau nimmt das Mädchen auf und gibt ihm einen Namen: Erika. Knappe, kraftvolle Worte und eine zurückhaltende, intensive Bildsprache führen die Ungeheuerlichkeit von Erikas Geschichte vor Augen.


    Die Autorin
    Ruth Vander Zee, geb. 1944 in Chicago, ist Lehrerin und schreibt für Buch- und Zeitschriftenverlage. Sie lebt heute mit Ihrem Mann in Florida.


    Der Illustrator
    Roberto Innocenti, geb. 1940 in der Nähe von Florenz, hat nie eine Kunstschule besucht. Mit 18 Jahren ging er nach Rom und arbeitete in einem Trickfilmstudio, bevor er sich ganz der Kinderbuchillustration zuwandte. Damit begann eine Weltkarriere, die für das Illustrieren von Klassikern immer wieder neue Maßstäbe gesetzt hat. Innocenti lebt und arbeitet in Florenz.


    Inhalt
    Ruth Vander Zee erzählt die Geschichte einer Frau, die sie auf einer Europareise in Rothenburg o. T. getroffen hat oder getroffen haben könnte. Es ist das Schicksal eines Kindes, das als Säugling vor dem Holocaust gerettet und von Fremden aufgezogen werden konnte, weil seine Mutter das Babybündel aus dem fahrenden Zug warf, der sie selbst in ein Konzentrationslager brachte. Das Findelkind, das seine Pflegeeltern - allein durch seine Existenz - in Gefahr brachte, bekam einen Vornamen, es wurde geliebt und umsorgt. Die Frau von heute erinnert sich im letzten Bild des Buches an eine Szene ihrer Kindheit, als sie in einer friedlichen Umgebung selbst den Zügen nachsah. Erikas Geschichte wird mit großem Zeilenabstand erzählt, die ihr Zögern beim Erzählen symbolisieren könnten. Roberto Innocentis photorealistische Illustrationen würden in ihrer Eindringlichkeit ganz ohne Worte auskommen.


    Fazit
    Die routinemäßige Verlags-Empfehlung des Buches für Kinder ab 5 Jahre - ungeachtet des Buchinhalts - macht mich hier ziemlich ratlos. Kinder im Vorschulalter fragen von sich aus selten nach dem Holocaust, wenn in der Familie nicht schon darüber gesprochen wurde. Die Situation von Menschen, die nichts über ihre Herkunft wissen, ist dagegen zeitlos und vermutlich in allen Famililen Thema, in denen einer der Vorfahren seine Eltern nicht kennengelernt hat, weil derjenige als Säugling "weggegeben" wurde. Die Holocaust-Thematik empfehle ich Eltern, denen das Thema nicht als Teil der Familiengeschichte vertraut ist, für ihre Kinder erst ab 10 Jahre.


    10 von 10 Punkten