Aaron Frisch: Das Mädchen in Rot
Illustrator: Roberto Innocenti
Gerstenberg 2013. 32 Seiten
ISBN-13: 978-3836957427. 16,95€
Vom Verlag empfohlen: ab 5 Jahre
Originaltitel: Girl in Red
Übersetzer: Ulli und Herbert Günther
Verlagstext
Gute Geschichten sind magisch. Sie können sich verändern wie die Wolken am Himmel. Sophia will zu ihrer Großmutter. Es geht ihr nicht besonders gut, bestimmt würde sie sich über Besuch freuen. Das Mädchen packt Kekse, Honig und Orangen in ihren Rucksack, knöpft den roten Kapuzenmantel zu, den Großmutter ihr genäht hat, und geht los. Aber der Weg ist weit und überall lauern Gefahren. Ein Unwetter braut sich zusammen; im Großstadtdschungel treiben Schakale und Wölfe ihr Unwesen und laute, grelle Konsumtempel locken mit ihren Versuchungen. In eindrücklichen Bildern interpretiert der große Künstler Roberto Innocenti die jahrhundertealte Geschichte von Rotkäppchen für unsere Zeit.
Der Autor
Aaron Frisch, 1975-2013, stammte aus Minnesota/USA. Er schrieb zahlreiche Bücher für Kinder und Erwachsene, vor allem Sachbücher und Bilderbuchtexte für namhafte Künstler.
Der Illustrator
Roberto Innocenti, geb. 1940 in der Nähe von Florenz, hat nie eine Kunstschule besucht. Mit 18 Jahren ging er nach Rom und arbeitete in einem Trickfilmstudio, bevor er sich ganz der Kinderbuchillustration zuwandte. Damit begann eine Weltkarriere, die für das Illustrieren von Klassikern immer wieder neue Maßstäbe gesetzt hat. Innocenti lebt und arbeitet in Florenz.
Inhalt
Ein gnomenhaft winziges Ömchen tront strickend in einem spielzeuggefüllten Raum und erzählt einer staunenden Kindergruppe das Märchen vom Mädchen im roten Kapuzenmantel. Aus einer Ecke glotzt ein Ork, ein Würfel kann sich auf Händen und Füßen vorwärts bewegen, aus dem Maul eines Spielzeug-Hais ragt ein Fuß. Morbides und Lustiges ist auf Innocentis detailreichen Bildern zu entdecken. Das Märchen von Sophia im roten Mantel spielt in einer Großstadt. Hier wohnen Menschen wie in Bienenwaben über- und nebeneinander. Der Ausschnitt aus der Fassade eines Mehrfamilienhauses zeigt die mögliche Vielfalt: einsame Menschen, aber auch Idylle pur auf blumenberankten Balkons. Warum sich jemand wohl durch Gitter schützt und Säcke auf dem Balkon lagert? Sophia lebt hier mit Mutter und Schwester in einer modernen Wohnung. Sophia soll auf ihrem Weg zur Großmutter "am anderen Ende des Waldes" nicht vom Weg abkommen, mahnt die Mutter. Ein Schritt ins Treppenhaus führt das Mädchen an Graffitti vorbei, der Schritt aus dem Haus konfrontiert sie mit Obdachlosigkeit und beginnendem Verfall. Welches Sophias Weg ist, ist im Verkehrsgewühl einer Großstadt mit Straßenmusik und blinkendem Glanz der Einkaufsmeilen nur schwer zu erkennen. Ohne erkennbaren Übergang zwischen Glanz und Verfall befindet Sophia sich plötzlich in einer düsteren Ecke der Stadt, in der Menschen auf der Straße und unter Brücken leben. Auch die Großmutter lebt in einem betagten Wohnwagen direkt unter der Autostraße. Gruselig gekleidete Cliquen lauern in Hinterhöfen und wecken Assoziationen an Rudel. Von wolfsgleichen schwarz gekleideten Motorradfahrern hat Sophias Mutter nichts gesagt. Der Betrachter wird zurückgeführt zu Sophias Wohnhaus, wo als sicherer Hafen in der Dunkelheit nur noch ihre Mutter Licht hat und auf Sophias Rückkehr wartet. Im Spielzeugzimmer ist der gestrickte Schal inzwischen auf einige Meter angewachsen - während bei den abgebildeten Zuhörern aus Angst um Sophia Tränen geflossen sind.
Fazit
Mit der Konfrontation von neonleuchtendem Wohlstand, privater Idylle und den verrufenen, verfallenen Ecken einer Großstadt ist Roberto Innocento in seiner Rotkäppchen-Adaption ein beeindruckendes Bilderbuch gelungen, das die Freude am Entdecken von Details weckt. Die Altersempfehlung des Verlages ab 5 Jahre bedeutet nicht, dass das Buch ohne Rückhalt durch Erwachsene für jedes Kind geeignet ist. Gerade die nächtlichen Szenen und die schwarz gewandeten Gestalten können kindliche Ängste wecken.
9 von 10 Punkten