Was ist Kunst?

  • Liebe Eulen,


    heute morgen hatte ich eine interessante Diskussion über den Begriff Kunst.


    Ich erinnere mich noch gut an früher, als Muddern mich an die Hand nahm und zur Frisörstube Pupke schleifte, damit ich einen Messerformschnitt verpasst kriegte.
    Heute gibt es keine Frisörstuben mehr, dafür jede Menge Hairartists. Blumenläden heißen "Flower Art", Tischlereien Holzkunststudios und ein jeder von uns ist ein Kreativer.
    Kreativ kochen, backen, lieben, schminken, verreisen, waschen mit Kreativ-Shampoo usw.
    Habt Ihr auch den Eindruck, dass inzwischen beinahe jedes Handwerk zur Kunst "entartet" ist? Kann man noch irgendetwas stinknormales tun, ohne gleich rumzukünstlern? Was ist der Unterschied zwischen Handwerk und Kunst? Ist wirklich jede pensionierte Grundschullehrerin, die in der Toskana einen schiefen Napf zusammen klatscht, gleich eine Künstlerin?


    Was ist heute Kunst? Welche Voraussetzungen müssen da sein, um von einem Produkt als Kunstwerk zu sprechen? Es kann ja wohl wirklich nicht sein, dass ich mal ein Sonnenblumenkernbrot backe und gleich eine Plakatte mit dem Titel "Teilnehmer am Kreativkurs Kunstbrot" umgehängt bekomme. Bin ich da empfindlich oder empfindet ihr die Begriffe "kreativ" und "Kunst" auch als entwertet?


    Iris ,
    was sagen deine Lexika dazu? Und du selbst?

  • Zitat

    Original von Ines
    Iris ,
    was sagen deine Lexika dazu? Und du selbst?





    Du hast mich ja nun doch neugierig gemacht mit dem Thema. Alles in allem hat Kunst selbstverständlich etwas mit Handwerk zu tun -- man sollte schon das Handwerkliche grundlegend beherrschen, um mit diesem Material unter Zuhilfenahme eines möglichst reichen Arsenals an Werkzeug an der eigenen Werkbank etwas zu erschaffen, was dann doch mehr ist als nur ein zusammengeschraubtes nützliches Ding. :grin


    Anders gesagt: Die Inspiration macht aus dem wirklich guten Handwerker einen Künstler -- vorausgesetzt, er kann die Idee umsetzen.


    Wobei Inspiration für mich nicht eine spontane Fremdeinwirkung ist, sondern das meist unerwartet bewußt werdende Ergebnis eines langen gedanklichen Prozesses.


    Hilft dir das was?


    Denk mal an den Matthias und seine Grisaillen! :grin

  • Aber danach wäre ja wirklich jeder, der z.B. an eine stinknormale Bohnensuppe Rosinen oder so was macht, ein Künstler, oder?
    Und jeder Friseur ein Hairartist, wenn sein Schnitt sich nicht 100%ig an eine Vorlage hält? Und jeder Bäcker, der irgendwas in den Teig schmeißt, was im gerade in die Finger kommt, auch.


    Das kann doch nicht sein, oder?

  • Zitat

    Original von Ines
    Das kann doch nicht sein, oder?


    Nein, das kann auch nciht sein, und das habe ich auch nciht gesagt, sondern:

    Zitat

    Original von Iris
    Anders gesagt: Die Inspiration macht aus dem wirklich guten Handwerker einen Künstler -- vorausgesetzt, er kann die Idee umsetzen.


    Wobei Inspiration für mich nicht eine spontane Fremdeinwirkung ist, sondern das meist unerwartet bewußt werdende Ergebnis eines langen gedanklichen Prozesses.


    Die handwerklichen Fertigkeit sind m.A.n. eine conditio sine qua non, d.h. ohne sie geht nix, und je besser sie jemand beherrscht, desto weiter kann er auch gehen.
    Der hinreichende Grund, das künstlerische Element, liegt allerdings woanders.


    Ohne Können hilft die beste Inspiration nix -- aber Können allein bringt auch kein Kunstwerk hervor.


    Naja, jetzt schiebe ich die Inspiration auf die Persönlichkeit des Künstlers und komme mit so diskriminierenden Sachen wie Intelligenz, Einfühlungsvermögen, Bildung ...

  • Kunst hat für mich vorallem mit Kreativität zu tun, die untrennbar mit einer "handwerklichen" Fertigkeit zusammen hängt.


    Ich habe mich ja bereits schon mehrfach negativ über die wohl jedem bekannten "Kunstwerke", die in diversen Museen zu finden sind geäussert. Ein einzelner gelber Strich auf weisser Leinwand ist für mich definitiv keine Kunst. Genausowenig, wie ein zusammengekehrter Müllhaufen hinter Glas oder ein leerer Bilderrahmen für 15.000 Euro (gibt's alles bei uns im Neuen Museum zu sehen). Das hat weder mit Kreativität, noch mit einer Fertigkeit etwas zu tun. Das ist in meinen Augen schlichtweg Leute für dumm verkaufen.


    Eine Geschichte zu Papier bringen und sei es für einen Julia-Roman, eine selbst getöpferte Blumenvase, das im Kartoffeldruck hergestellte Bild eines Schulkindes haben manchmal mehr mit Kunst zu tun, als das, was uns sogenannte Experten diverser Galerien präsentieren.


    Gruss,


    Doc

  • Ich ergehe mich mal in einem höchst passenden Zitat:


    Natur und Kunst.



    Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
    Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;
    Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
    Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.


    Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
    Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
    Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
    Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.


    So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
    Vergebens werden ungebundne Geister
    Nach der Vollendung reiner Höhe streben.


    Wer Großes will, muß sich zusammen raffen;
    In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
    Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.


    (Quelle)



    Der alte Goethe hat schon recht -- und auch ein einziger Strich kann zum Kunstwerk werden, wenn er nur richtig gesetzt ist, um genau das in verständlicher Weise auszudrücken, was damit ausgedrückt werden soll.


    Kunst ist keine Frage dessen, wieviel Aufwand man macht. Da kann jemand ein Leben lang an einem Bild gerackert haben, und trotzdem bleibt es handwerklich ordentlicher Kitsch.


    Es muß einfach alles passen ... um so besser wird es.

  • Wahrscheinlich ist es sehr schwierig, Kunst zu definieren. Für den einen ist der "röhrende Hirsch vor der Bergkulisse" Kunst, für den anderen ein einfacher Pinselstrich. Bei uns zuhause hängt auch abstrakte Kunst von einem Maler aus unserem Bekanntenkreis. Manche Leute finden es schrecklich, anderen gefällt es. Allerdings haben diese ganz einzelnen Pinselstriche auf ansonsten weißer Leinwand, dafür aber mit einer ellenlangen künstlerischen Interpretation oft so einen Hurzeffekt. Da kommt man sich dann doch vergackeiert vor, weil man das Gefühl hat, der Künstler hat mehr Mühe in die Erklärung des Werkes investieren müssen, als ins Werk selbst, weil es nur so zur Kunst wird.


    Ich mag es nicht nur am Zeitaufwand festmachen, den ein Bild zur Entstehung benötigt, aber manches wirkt einfach dahingehudelt.

  • Zitat

    Original von Idgie
    Ich mag es nicht nur am Zeitaufwand festmachen, den ein Bild zur Entstehung benötigt, aber manches wirkt einfach dahingehudelt.


    Da hast du m.M.n. schon recht. :grin


    Ich meinte ja mit der "Beschränkung" nicht, daß es beliebig wird und die Interpretation wichtiger wird als das Werk selbst. Für mich muß es einfach stimmen -- das kann "abstrakt" sein oder "gegenständlich".

  • Ich bin der Meinung, jeder sollte für sich entscheiden, was Kunst ist.
    Ich mag z.B. Picasso und Dali überhaupt nicht, dafür mag ich die Bilder Rebrandts, und so.
    Die beiden Ersten sind für mich nur Geklecksel und das andere Gemälde.
    Ich habe mich auch schon mit einer Lehrerin dewegen gestritten, so mit anschreien und allem, was dazu gehört.

    Du mögest arm sein an Unglück und reich sein an Segen, langsam im Zorn, schnell in der Freundschaft. Doch ob arm oder reich, langsam oder schnell, nur das Glück sei dein Begleiter von heute an
    Irisch

  • Ich schließe mich Idgie an, und behaupte : *Kunst, ist das Vermögen, seinen selbstgebastelten Krempel zu Geld zu machen*


    Im Ernst, Kunst kommt doch tatasächlich von Können, und ohne handwerkliches Geschick, keine Kunst.


    Hat der Künstler erstmal bewiesen, dass er was KANN, dann darf er auch mal Schrott herstellen....das wird dann eben auch bewundert :grin

  • Stichwort Schrott. An unserer Uni errichtete der "Künstler" Serra eine Plastik, bestehend aus 16m hohen Stahltafeln, die langsam vor sich hinrosten. Der Schrotthaufen kostete das Land sage und schreibe 1 Mio DM und nochmal 500.000 DM für die Aufstelllung. Einer unserer Studenten nutzte die Nacht vor der Einweihung und stellte in den Innenraum eine Kloschüssel. Unsere "Kunstexperten" waren darüber entsetzt und sprachen von Entweihung eines Kunstwerkes. Serra hingegen lachte und meinte, das sei eine Vervollkommnung seines Kunstwerkes.
    Ich schließ mich Sirius Black völlig an. Rembrand, van Gogh und die Brueghels oder unsere Maler wie Riemenschneider oder die Bodenseeschule, das verstehe ich unter Kunst. Sobald etwas seine Gegenständlichkeit verliert und der Betrachter rätseln muß, was das sein soll, ist für mich die Kunst dahin. Da habe ich dann eher den Eindruck, der "Künstler" ist nicht imstande, etwas detailgetreu wiederzugeben und muß deshalb auf diesen Schwachsinn zurückgreifen.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • irgendwie finde ich mich in allen antworten ein stück wieder.
    allerdings möchte ich das ende deines postings, demo, insofern ergänzen, dass ich persönlich es schön finde, wenn ich ein wenig nachdenkspielraum habe.

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • Hier mal ein Beispiel von Kunst.... :wow


    "Zieht euch aus, stellt euch in eine lässige Pose und reagiert nicht auf die Blicke des Publikums", so lautet die Standard-Anweisung, die Vanessa Beecroft an die Statistinnen ihrer Nackedei-Kunst gibt. Seit zehn Jahren arrangiert die Italienerin jetzt schon nackte Frauen in unschuldigen Kunsthallen. Nach New York und Wien soll jetzt auch Berlin in den umstrittenen Genuss kommen. Am 8. April in der Neuen Nationalgalerie. Motto: So viel Nackte wie nie zuvor.



    Um freiwillige Meldungen professioneller Models und gut gebauter Amateurinnen wird gebeten. Denn: Wenn die Künstlerin Vanessa Beecroft etwas nicht leiden kann, dann sind es überflüssige Pfunde. Zulässige Haarfarbe: schwarz, rot oder gold. Dann klappt es auch mit dem Nacktsein im Museum.


    Mit der Haarfarbe könnte es ja klappen, aber..... mal ein großes Marzipanei in den Mund stopf......if glaub if hab pfu fiel Pfunde.. :grin


    Naja, ein altes Rezept der feinen Welt heißt: Gib dem Ding einen französischen Namen und schon ist es gesellschaftsfähig. "Tableaux vivants" ist so ein Name. Heißt eigentlich "lebendige Bilder". Gemeint sind aber nackte Mädchen.
    Aber ist das deswegen gleich Kunst???
    Worin liegt da das künstlerische? Lange genug stille zu stehen? Schlank wie eine Gerte zu sein um teilnahmeberechtigt zu sein? ;-)


    Heaven versteht die Künstler wohl nicht.:rolleyes

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Zitat

    Original von Heaven
    Heaven versteht die Künstler wohl nicht.:rolleyes


    Nicht?


    Kannst du nicht verstehen, dass man Nacktheit, geile Bilder, Sachen, die die niederen Instinkte ansprechen, zu Kunst hochstilisiert werden?
    So kann auch der biedere Mensch sich mal ne halbe Stunde vor so ein ähh Kunstwerk stellen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben...ist schließlich Kunst, kein Schweinkram :lache

  • Beecroft wieder am Werk?
    Ob es Kunst ist, wage ich nicht zu entscheiden.
    Was es sicher nicht ist, ist sinnlich. Es ist beziehunslos, kalt, in der Häufung regelrecht 'körperlos'.
    Die Frau ist besessen von Form an sich. Form hat bei ihr viel mit Gleichförmigkeit zu tun. Verlust von Form, Auflösung ist ihr Horror.
    Wie es auf Betrachter wirkt, weiß ich nicht. Mich erschreckt's .
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus