Rechenschaft vor El Greco - Nikos Kazantzakis

  • Autor
    Nikos Kazantzakis (* 2. März 1883 in Iraklio, Kreta; † 26. Oktober 1957 in Freiburg im Breisgau) war einer der bedeutendsten griechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.


    Nachdem ich von Kazantzakis bereits mehrere Romane gelesen habe, war ich besonders nach den Dialogen und Gedanken in "Alexis Sorbas" neugierig geworden, etwas über den Autor zu erfahren. Diese Autobiografie beschreibt nicht nacheinander die wichtigsten Stationen in seinem Lebenslauf, sondern seine geistige, philosophische und religiöse Entwicklung. Personen und Ereignisse finden sich in diesem Buch nur soweit wieder, wie sie bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung haben.


    Inhalt
    Sein ganzes Leben bestand aus Kampf und Suche nach der Pflicht, die er zu erfüllen hatte, nach seiner Glaubensidentität. Was für ihn als Kind der Kampf der Kreter gegen die Türken war, wurde später der Kampf vom Guten gegen das Böse, von Geist gegen Fleisch, von lichten gegen dunkle Mächte.
    Auf ausgiebigen Reisen wandte er sich nacheinander verschiedene Ideologien zu. Zunächst war sein Lebensideal das eines christlichen Asketen, der sich von menschlichen Leidenschaften lossagt, später ein Leben nach der Lehre von Buddha, um sich vom Leiden zu befreien. Er studierte die Schriften von Nietzsche und ließ sich von den Ideen Lenins begeistern. Doch alle diese Wege führten ihn in eine Sackgasse, so dass er sich enttäuscht von ihnen abwendete.
    Im späteren Leben erkannte er jedoch, dass diese Phasen in seinem Leben keine nutzlosen Irrwege waren, sondern Wege, die logisch aufeinander folgten und Bestandteile seines "Anstiegs zum Gipfel" waren. Er sah es als Aufgabe des Menschen an, die vorgegebenen Grenzen zu überschreiten zu versuchen, so wie einst Affen sich auf zwei Beine aufzurichten versuchten, um Mensch zu werden, oder die Frühmenschen begannen Funken zu schlagen, um Feuer zu machen. Diese Grenzüberschreitung bedeutet "Gott sein". Dabei ist nicht das Ziel wichtig, sondern der Weg, der Kampf. Denn Ziele sollte man sich nicht so setzen, dass man sie erreichen kann.
    Jesus, Buddha und Lenin waren für ihn bis zuletzt die drei großen Seelen. Odysseus wurde zum Symbol für den richtigen Lebensweg, lange Irrfahrten, um endlich nach Hause zu kommen.


    Obwohl sich sein Schreibtalent schon sehr früh zeigte, wollte er es nicht zu seinem Beruf machen. Denn Schreiben war für ihn lange Zeit nur etwas für Schwächlinge. Schließlich erkannte er, dass er durch Schreiben am Kampf teilnehmen konnte, und akzeptierte es als Weg zur Erfüllung seiner Pflicht. Er sah seine Zeit (1. Hälfte des 20. Jahrhunderts) als eine Zeit des Umbruchs an, in der er durch seine Schriften den Weg für neue Ideen bahnen konnte.


    Meinung
    Bereits nach den ersten Seiten gewinnt man den Eindruck, dass der Autor etwas ungewöhnlich bis heftig durchgeknallt war.
    Dass mag einerseits daran liegen, dass er schon als ungewöhnliches Kind geboren wurde. Eine intensive Wahrnehmung seiner Umgebung und eine überaus lebhafte Phantasie ließen ihn in eine eigene Welt abtauchen. Realität und Phantasie verschwammen. Er verschlang Heiligenlegenden und wollte schließlich selbst seine Heimat verlassen, um Heiliger zu werden.
    Seine Erziehung tat ein übriges. Er bekam von seinem Vater eingeimpft, dass er für die Freiheit seines Vaterlandes Kreta kämpfen müsse, wenn schon nicht körperlich, dann geistig.
    Befremdlich wirkte auf mich, wie er hin- und hergerissen war zwischen überschäumendem Glück beim Anblick von Natur und gleichzeitiger Angst, dass zu viel Glück bestraft wird. Bereits in jungen Jahren, in denen man normalerweise sein Leben auskosten möchte, begeisterte er sich für ein asketisches Leben. Es folgte Ernüchterung über das, was von der Lehre Jesu übriggeblieben ist, und dann doch der Wunsch nach einem Leben voll irdischer Freuden.


    Hätte ich diese Autobiografie vor seinen anderen Romanen gelesen, hätte ich letztere wohl links liegen lassen, was aber definitiv ein Verlust gewesen wäre. Ich hätte vermutlich irgendetwas geistig Abgehobenes erwartet, denn der Autor wirkt auf mich nicht "normal".
    Eindeutig merkt man, dass Kazantzakis seine Werke nicht geschrieben hat, um einen Leserkreis anzusprechen, sondern um seine Seele von quälenden Themen zu befreien. Überschäumende Gefühle finden ihren Ausdruck in einer entsprechend bildhaften Sprache, für die sehr geschätzt wird (auch von mir).


    Ich halte dieses Buch für empfehlenswert für Leser, die bereits andere Werke des Autors wie "Alexis Sorbas" oder "Die letzte Versuchung" gelesen haben, denn alle seine Werke sind Ausdruck seines Lebens und Denkens. Man darf sich nicht scheuen, längeren Gedankengängen zu folgen.
    Ich bin von diesem Buch genauso begeistert wie von den anderen, die ich von ihm gelesen habe, auch wenn oder gerade weil es sehr anstrengend ist. Es ist keine Gute-Nacht-Lektüre. Es verlangt Zeit, Ruhe und Konzentration.


    Ergänzung: Um einen Eindruck von seiner Sprache zu vermitteln, zitiere ich den Beginn des Buches, bei dem ich schon Gänsehaut bekommen habe.


    Ich räume mein Werkzeug zusammen: Gehör, Gesicht, Geruch, Geschmack, Gehirn. Es ist nun Abend geworden, der Arbeitstag geht zu Ende, ich kehre wie der Maulwurf nach Hause, in die Erde zurück. Nicht, als ob ich des Arbeitens müde geworden sei, ich bin nicht müde, aber die Sonne ist untergegangen.