Die Informationen innerhalb der Spoilermarkierungen kann man mitlesen, muss es aber nicht tun. Sie enthalten keinen Geheimnisverrat, sondern lediglich weitere Informationen bzw. Beispiele.
* * * * *
Christina Berndt: Resilienz – das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out, München 2013, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-24976-8, Softcover/Klappenbroschur, Format: 20,8 x 13,4 x 3 cm, EUR 14,90 (D), EUR 15,40 (A).
„’Resilienz’ nennen Psychologen die geheimnisvolle Kraft, aus einer deprimierenden Situation wieder ins volle Leben zurückzukehren, Widerstand zu leisten gegen die Zumutungen der Umwelt; den Blick optimistisch nach vorn zu lenken, aus einer Selbstsicherheit heraus zu handeln, die den Großteil der Kritik abprallen lässt und gezielt nur das verwertet, was konstruktiv ist.“ (Klappentext)
Für manche Menschen ist jeder Fliegenschiss ein Drama, bei anderen fragt man sich, wie sie ihr bisheriges Leben überstehen konnten, ohne komplett durchzudrehen. Die erstrebenswerte Fähigkeit, Krisen ohne großen Schaden zu überstehen, nennt man Resilienz. Bleibt die Frage, woher diese Fähigkeit kommt und ob man sie erlernen und trainieren kann. Kann man ... im Prinzip, aber einfach ist es nicht. Da spielen nämlich, wie wir gleich sehen werden, eine ganze Menge Faktoren mit.
1. Hier ist Stärke gefragt
Im ersten Kapitel erfahren wir einiges über den Stress. Diesen Begriff erfand 1936 der in Wien geborene Arzt Hans Selye. Gab es das Phänomen vorher nicht? Wird es wirklich immer schlimmer mit dem Alltagsstress? Wie kann man ihn reduzieren? Wie hängen Stress und Gesundheit zusammen? Interessant: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Stress und Wohnort! Das Risiko, an einer Depression, einer Angststörung oder Schizophrenie zu erkranken, ist mancherorts bis zu 39% erhöht. Wie sehr wir selbst durch Stress belastet sind, können wir auf den Seiten 32 ff. testen.
2. Was zeichnet die Widerständigen im Alltag aus?
Es gibt Studien und Langzeitbeobachtungen, die sich mit Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen befassen. Wie gelingt es manchen, sich trotz widriger Startbedingungen zu selbstbewussten, fürsorglichen und leistungsfähigen Erwachsenen zu entwickeln, die im Beruf Erfolg haben und stabile Beziehungen führen können? In allen Erfolgsfällen gab es zumindest eine enge Bezugsperson, die sich um die Kinder kümmerte und ihnen Orientierung bot. Das ist wichtig, aber natürlich nicht alles. Was die psychische Widerstandskraft stärkt oder schwächt, wird ausführlich beschrieben und in der Tabelle auf den Seiten 82 ff. zusammengefasst. Auf den Seiten 112/113 kann man dann testen, wie resilient man selber ist.
3. Die harten Fakten zu den starken Menschen: Woher kommt die Widerstandskraft?
Im dritten Kapitel wird es recht wissenschaftlich und wir erfahren: Was den Menschen resilient macht, ist eine komplizierte Mischung aus Umwelteinflüssen, Neurobiologie, Genetik und Epigenetik – also dem, was die Eltern ihren Kindern (ungewollt) weitervererben.
Dafür sorgen chemische Prozesse (Methylierung). Die Folgen unseres Tuns und Erlebens geben wir also möglicherweise an unsere Kinder und Kindeskinder weiter! Die erben dann unsere Probleme. Eine erschreckende Vorstellung. „Doch die Epigenetik hat durchaus auch ihre positiven Seiten: Die Gene sind formbar! Was uns von unseren Eltern mitgegeben wurde und was wir unseren Kindern mitgeben, lässt sich in viel stärkerem Maße verändern, als dies lange Zeit vermutet wurde.“ (Seite 154).
Bis zur Entwicklung einer Pille, die die Methylierung hemmt und verhindert, dass sich ein Trauma in den Nervenzellen niederschreibt, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern.
4. Wie man seine Kinder stark macht
Nach dem sehr theoretischen dritten Kapitel wird es jetzt wieder konkreter. Warum wir Kinder nicht „in Watte packen“ dürfen, wobei wir ihnen helfen oder nicht helfen sollten und wie viel „Mutti“ ein Kind tatsächlich braucht, das lernen wir hier.
5. Lehren für den Alltag
Auch wenn der Grundstein für die Resilienz schon sehr früh im Leben gelegt wird, kann man auch als Erwachsener noch einiges dafür tun. Basierend auf der Arbeit des Psychologen Martin Seligman hat die American Psychological Association einen 10-Punkte-Plan zur Stärkung der seelischen Widerstandskraft entwickelt.
1. Bauen Sie soziale Kontakte auf
2. Sehen Sie Krisen nicht als unlösbare Probleme
3. Akzeptieren Sie, dass Veränderungen zum Leben gehören
4. Versuchen Sie, Ziele zu erreichen
5. Handeln Sie entschlossen
6. Finden Sie zu sich selbst
7. Entwickeln Sie eine positive Sicht auf sich selbst
8. Behalten Sie die Zukunft im Auge
9. Erwarten Sie das Beste
10. Sorgen Sie für sich selbst (Seite 201/202)
Wie man das alles anstellen soll, steht im Buch. Praktische Tipps zur Stressbewältigung liefert ein Interview mit dem Psychologen Gert Kaluza vom GKM-Institut für Gesundheitspsychologie in Marburg. Auch die Beträge über das Achtsamkeitstraining (Seite 221 ff.) und die „Anleitung zum Abschalten“ (Seite 225 ff) bieten hilfreiche Anregungen.
RESLILIENZ von Christina Berndt ist kein pragmatischer Ratgeber nach dem Muster „Wenn dies das Problem ist, dann mach das“. Es ist ein fundiertes Sachbuch, das dem Thema auf den Grund geht und sich mehr darauf konzentriert, das Problem zu verstehen als Übungsanleitungen für dessen Bewältigung zu liefern.
Vor allem im dritten Kapitel steht vielleicht mehr als so mancher interessierte Laie wissen möchte. Neurobiologie? Hippocampus? Präfrontaler Cortex? Neurotransmitter? Epigenik? Hilfe! Aber wenn man sich konzentriert, kann man den Ausführungen schon der Spur nach folgen, auch wenn man kein Wissenschaftler ist. Dies sei hier ausdrücklich erwähnt für den Fall, dass jemand locker-flockige Ratgeberprosa mit vielen Anekdoten erwartet. Dass dieses Buch mehr wissenschaftliche Substanz hat, darauf deuten schon die über 40 Seiten Anhang hin mit Verzeichnis der genannten Wissenschaftler, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis, Personen- und Sachregister.
Die Autorin
Christina Berndt studierte Biochemie und promovierte in Heidelberg. Als Wissenschaftsjournalistin berichtete sie über Medizin und Forschung für ›Der Spiegel‹, ›dpa‹, ›Süddeutscher Rundfunk‹ und ›Süddeutsche Zeitung‹, wo sie seit 2000 als Redakteurin arbeitet. 2006 wurde sie mit dem European Science Writers Junior Award ausgezeichnet. Sie deckte den Organspendeskandal auf und erhielt dafür den renommierten Wächterpreis der Tagespresse. Zudem ist sie für den Henri-Nannen-Preis 2013 in der Kategorie ›Investigation‹ nominiert.