Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon - Joyce Carol Oates

  • ab 13 J. (Altersangabe passt hier leider nicht mehr in die Überschrift)


    Originaltitel:
    After the Wreck, I Picked Myself Up, Spread My Wings, an Flew Away


    Klappentext:
    Vor dem Unglück war Jenna eine sportliche, beliebte und gute Schülerin. Nach dem Unglück fühlt sie sich jämmerlich und isoliert. Kategorisch versucht sie jede Annäherng abzuwehren und alles zu vergessen, was geschehen ist. Sie will nie wieder etwas fühlen, nie wieder verletzt sein. Bis sie Crow begegnet. Er ist der umschwärmte Star an ihrer neuen Schule, und Jenna ist sofort fasziniert von ihm. Crow will ihr Mut machen, sich ihren Ängsten zu stellen und nicht davor wegzulaufen. Doch Jenna reagiert abweisend. Sie fürchtet, Crow habe nur Mitleid mit ihr. Als sie endlich begreift, dass er vielleicht ihre letzte Chance ist, zurück ins Leben zu finden, ist es beinahe zu spät.


    Über die Autorin:
    Joyce Carol Oates, geboren 1938, studierte Literatur und Philosophie und lehrt seit 1978 an der Princeton Universität in New Jersey. Sie zählt zu den großen amerikanischen Autorinnen der Gegenwartsliteratur. Bereits mit 14 Jahren begann sie zu schreiben, doch erst im Alter von 64 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Jugendroman. "Unter Verdacht - Die Geschichte von Big Mouth & Ugly Girl" erschien 2003 bei Hanser und war sofort ein großer Erfolg bei Lesern und Journalisten. Es folgten die Jugendromane "Mit offenen Augen - Die Geschichte von Freaky Green Eyes" (2005) und "Sexy" (2006). "Mit offenen Augen" wurde 2006 unter anderem für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Der Roman ist ein überzeugendes Plädoyer gegen Gewalt und zeigt, wie wichtig Freiheit und Toleranz sind.
    Joyce Carol Oates lebt mit ihrem Mann in Princeton, New Jersey.


    Meine Eindrücke:
    Ist Jenna schuld an dem Unfall auf der Tappan-Zee-Brücke, bei dem das Auto ihrer Mutter die Seitenbegrenzung durchbrach und in 150 Metern Höhe über dem Hudson River hing, bis sie endlich nach 40 Minuten aus dem Wrack geborgen werden konnten? Sie weiß nicht mehr genau, was passiert ist, aber sie weiß, dass sie ihrer Mutter in Panik ins Lenkrad gegriffen hat, weil plötzlich etwas - ein Hund oder ein Reh? - auf der Straße war. Nun ist ihre Mutter tot. Jenna lebt, wenn man das Leben nennen kann. Schädelbruch, diverse Knochenbrüche, alles schmerzt, nichts ist mehr wie früher, nichts kann das ungeschehen machen, was passiert ist. Jenna zieht sich in sich selbst zurück, will mit niemandem reden, niemanden sehen, niemanden mehr verletzen. Nicht verletzt werden. Sie liegt im Krankenhaus und kann aus ihrem Bett ins Blaue fliegen. Das Blaue ist eine Welt, in der sie schwerelos ist, in der alles schön ist und ihre Mutter lächelt, eine Welt, geschaffen aus Drogenträumen durch die starken Medikamente, die Jenna im Krankenhaus verabreicht werden. Fortan sehnt sie sich ins Blaue zurück, will nicht zu ihrem Vater und seiner neuen Familie ziehen und auch nicht zu Tante Caroline, der Schwester ihrer Mutter. Schließlich lässt Jenna es doch geschehen, dass Caroline sie bei sich und dem Onkel und Cousin und Cousine aufnimmt, eine gute Gelegenheit, wegzuziehen, die alten Freunde nicht mehr sehen zu müssen, alles hinter sich zu lassen und manchmal eine Pille einzuwerfen, die ein wenig ins Blaue führt. Caroline hat viel Geduld mit ihr, aber Jenna will kein Mitleid, sie will einfach in Ruhe gelassen werden. Für immer. Außer vielleicht von Crow, einem älteren Jungen, der sie nach einem Sturz im Park aufliest und nicht mitleidig ansieht, sondern sie irgendwie versteht, weil er selbst einen Hang zu Unfällen hat. Aber Crow hängt mit Typen ab und mit älteren Mädchen wie Trina; Jenna kann unmöglich dazugehören - bis zu dem Tag, an dem sie Trina aus der Patsche hilft und als Freundin gewinnt. Trina ist schräg drauf, ihre Scherze könnten verletzend sein, wäre sie nicht mit Jenna befreundet. Und das ist sie doch, oder?


    Ich-Erzählerin Jenna ist abweisend, spröde, verletzlich und lässt niemanden an sich heran außer mir, die Leserin, und das ganz nah. Ich schwebe mit ihr im Blauen, weit weg von der Realität, weiß, dass wir irgendwann zurückkehren müssen, um nicht völlig abzudriften. Wir sind fünfzehn Jahre alt, zu den normalen Problemen des Erwachsenwerdens kommen die tiefen Verletzungen, die der Unfall uns zugefügt hat und die, die wir uns selbst zufügen, indem wir uns für den Unfall verantwortlich machen und Paracetamol mit Cola light herunterspülen. Wir ziehen die schmuddelige weiße Schirmmütze tief ins Gesicht, damit keiner unsere Augen sehen kann, und lassen es zu, dass Trina die Mütze, unseren Schutzschild wegnimmt, dabei könnte sie selbst ganz gut einen gebrauchen. Überhaupt stellt sich heraus, dass vieles anders ist, als es auf den ersten Blick scheint. Wir können keinen Fuß mehr auf eine Brücke setzen und wissen doch, dass wir eines Tages wieder eine Brücke überqueren müssen, um zu überleben. An keiner Stelle lassen wir zu, dass unsere Geschichte rührselig erzählt wird. Das passt nicht zu uns.


    Ein beeindruckendes Buch, brillant geschrieben. Ich vergebe 10 von 10 Punkten.

  • Vielen Dank für diese wunderbare Rezi. Dieses Buch kommt sofort auf meine Wunschliste. Außerdem finde ich die Bücher von Oates sehr gut. :wave

  • Ich habe die Taschenbuchausgabe, erschienen bei Dtv Reihe Hanser, gelesen.


    Nach dem Unglück ... - Joyce Carol Oates


    Mein Eindruck:
    Auch ich war von diesem Roman beeindruckt, da die Autorin es schafft, den Leser sehr nahe an die Figur zu führen. Man erlebt ihre Emotionen wie Ängste, Schuldgefühle und Einsamkeit und kann mit empfinden.
    Außerdem wird gut und folgerichtig gezeigt, wie Jenna sich immer mehr in ihrer Isolation gefangen fühlt und wie sich ihre Probleme nur noch verstärken.
    Es ist auch nachvollziehbar, dass es keine einfachen Lösungen gibt, wie es die Trivialliteratur vorgaukelt. Aber Joyce Carol Oates gehört zur Elite der zeitgenössischen US-amerikanischen Literatur!

    Ein intelligentes Jugendbuch!